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Weniger arbeiten...

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Das Verlangen der Arbeiter nach Kürzung der Arbeitszeit steht seit Jahrzehnten- auf der Tagesordnung. Schon seinerzeit — 193 5 — gerieten Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Genf im Rahmen der Tagung des Internationalen Arbeitsamtes in der Arbeitszeitfrage scharf aneinander. Die Front war aber auf der Arbeitgeberseite keineswegs dicht. Die US-Amerikaner — schon damals im Ausmaß der Produktivität weit voran — und die Italiener (diese im Interesse der Milderung der Arbeitslosigkeit) waren gemeinsam mit den Arbeitnehmern für eine Revision der Arbeitszeitbestimmungen.

Im Prinzip besteht auch heute noch — im Durchschnitt — in den Betrieben die 4 8-Stunden-Woche. Viele Betriebe aber haben bereits kürzere Wochenarbeitszeiten. In Rheinland-Westfalen arbeiten in der Metallindustrie 42 Prozent der Beschäftigten von 1274 untersuchten Betrieben unter 48 Stunden, 8 Prozent unter 45 Stunden. Die Kölner Ford-We.rkc haben schon 1928 mit Erfolg die 40-Stunden-Woche eingeführt.

Die Frage der generellen Kürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden ist nun neuerlich durch ein Manifest des Deutschen Gewerkschaftsbundes Gegenstand ernster Diskussionen geworden. Auch in Oesterreich wurden in der Angelegenheit erste Besprechungen (im Bergbau) aufgenommen.

Die Reduktion der Arbeitszeit soll selbstverständlich mit einem vollen Lohnausgleich verbunden sein. In allen Branchen. Praktisch läuft diese Forderung, wenn man von der 48-Stun-den-Woche ausgeht, auf eine Lohnsteigerung je Arbeitsstunde (bzw je Akkordsatz) um 20 Prozent hinaus.

Aus diesem Grunde ist die Frage der Arbeitszeitkürzung nicht allein ein sozialpolitisches, sondern auch ein betriebs- und volkswirtschaftliches Problem. Eine Lohnerhöhung um 20 Prozent stellt eine beachtliche Kostenerhöhung dar, deren Gewichtigkeit freilich von Kostenträger (Erzeugungsstück) zu Kostenträger sehr verschieden ist. Soweit nun die Lohnerhöhungen nicht zu Lasten des Gewinnes gehen oder in kurzer Zeit durch entsprechende Produktivitätssteigerungen aufgewogen werden können, müssen sie — so befürchtet man — auf die Preise überwälzt werden und dadurch zu einer allgemeinen Reduktion des Reallohnes führen, wodurch der beabsichtigte Lohnausgleich im Rahmen der Arbeitszeitkürzung gefährdet ist. Das aber heißt, daß die Arbeitnehmer ihr Mehr an

Freizeit mit einer Kürzung des Reallohnes zahlen.

Nach einer oberflächlichen Schätzung beträgt der Lohnanteil im Durchschnitt ungefähr 50 Prozent der Gesamtkosten. Bei Kürzung der Arbeitszeit um ein Sechstel und Lohnausgleich ergäbe sich eine durchschnittliche Kostensteigerung um ungefähr 10 Prozent. Wie weit die Kostenerhöhung auf den Anbotspreis überwälzt wird, hängt freilich von verschiedenen Faktoren ab, obwohl die Erfahrung zeigt, daß manche Kostensteigerung durch eine zusätzliche Gewinnsteigerung ,,überkompensiert“ wird. Am stärksten werden die Lohnsteigerungen sich wohl bei Dienstleistungsbetrieben auswirken.

Für die Arbeit szeitkürzung sprechen verschiedene Tatsachen:

1. Bringt die Reduktion der Arbeitszeit mehr Freizeit, das heißt auch: Vergrößerung der Gelegenheit für die Arbeiter, sich aus der Monotonie des arbeitsteiligen Leistungsvollzugs so lange zu lösen, daß sie sich ausreichend erholen und seelische Widerstandskräfte aufspeichern können, um das sogenannte „Arbeitsleid“ ertragen zu können. Gleichzeitig wird das, was ein westdeutscher Autor die „Angina temporis“ nennt, und die Leistungsplatzangst (eine Folge so mancher Leistungsanreizmethoden) erheblich verringert. Es ist jedenfalls falsch, anzunehmen, daß die „Managerkrankheit“ nur ein Privileg der wirklichen Manager sei. Dazu kommt, daß die Erweiterung der Freizeit ein Mehr an Freiheit des Arbeiters vom betrieblichen nursachlichen Apparat darstellt, eine Reduktion der „Selbstentfremdung“ des Menschen durch die Maschine. Der Arbeitsmensch hat so mehr „Muße“ und Chance zu einem sachlich zwecklosen Tun, um auf diese Weise zu erfahren, daß er mehr ist als ein denkender Maschinenfortsatz, mehr ajs eine Figur aus dem Figurenkasten der modernen Arbeitsvorrichtungen. 2. Kann man ein Absinken der Berufskrankheiten und in manchen Sparten vor allem der Arbeitsunfälle erwarten. Zwischen Arbeitszeit und Arbeitsunfall besteht ein innerer Zusammenhang, der beachtlich ist. So sind im westdeutschen Steinköhlenbergbau als Folge einer Kürzung der Arbeitszeit die Unfälle um ungefähr 10 Prozent zurückgegangen. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß es nicht allein auf die nominelle Arbeitszeit ankommt, sondern auf die tatsächliche (produktive) Arbeitszeit (das heißt nominelle Arbeitszeit abzüglich Arbeitsausfälle und zuzüglich Mehrleistungen). Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit betrug in Westdeutschland 1953 47,9 und in den USA 40,5 Stunden. Durch die Kürzung der Arbeitszeit wird sich also wahrscheinlich das Ausmaß der Arbeitsausfälle erheblich verringern, wodurch der Leistungseffekt je gezahlte Arbeitsstunde ansteigen wird.

3. Weiter läßt der Umstand eine Arbeitszeitkürzung gerechtfertigt erscheinen, daß die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnte zwar zu einem Teil in Form von Lohnsteigerungen abgefunden wurden, nicht aber durch Reduktion der Arbeitszeiten. Die österreichische Industrieproduktion ist im September 1954 um 291 Prozent höher gewesen als 1937. Der österreichische Produktionsanstieg ist der stärkste unter den OEEC-Staaten (Italien 188, deutsche Bundesrepublik 148 Prozent, gemessen an der Produktion 1938). Wenn dieser Anstieg auch mit einer erheblich größeren Arbeiterzahl als sie 1937 im Einsatz gewesen war, erzielt wurde, müßte doch eine Teilkompensation in einer Kürzung der Arbeitszeit erwogen werden. Es geht daher darum, dem Arbeiter für den Konsum seines offensichtlich angestiegenen Reallohnes ein Mehr an Pause zur Verfügung zu stellen.

4, Steigen die Kosten, sind die Unternehmer gezwungen — so ein Argument — rationeller, das heißt unter verstärktem Einsatz von Maschinen zu arbeiten. An die Stelle des Arbeiters soll teilweise der billiger arbeitende Roboter treten und die Kosten der Lohnerhöhung hereinbringen helfen.

Gegen eine zu rasche und einmalige Kürzung der Arbeitszeit um ein Sechstel und eine aliquote Lohnerhöhung je Arbeitsstunde um ein Fünftel sprechen:

1. Die Gewißheit, daß eine Erhöhung der Löhne, welche die Gewinnspanne erheblich kürzt, überwiegend auf die Preise und damit auf die Lebenshaltung der „Massen“ überwälzt wird. Mehr Freizeit heißt aber dann mehr Zeit, uin Bedürfnisse zu äußern, und dies bei einem gesunkenen Reallohn! Das hat unbefriedigte Bedürfnisse und eine Vermehrung der Unzufriedenheit, verbunden mit neuen Lohnforderungen, die dann unmittelbar mit der Arbeitszeitkürzung zusammenhängen, zur Folge.

2. Wird die Bewegung des Preisanstieges durch allzu rasche Kürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auch dadurch intensiviert werden, daß mangels ausreichender Rationalisierungsmöglichkeiten und wegen des Fehlens von Arbeitsreserven die bisher während der Normalarbeitszeit getätigten Leistungen jetzt in Form von Ueberstunden vollzogen werden. An der tatsächlichen Arbeitszeit je Arbeiter würde sich in vielen Betrieben — man denke an die Bauwirtschaft in der Saison — nichts ändern.

Ein Rechenbeispiel: Bisher 48 Stunden zu 6 S, das sind 288 S. Jetzt 40 Stunden zu 7.20 S, das sind 288 S plus acht Ueberstunden zu 10.80 S (7.20 S zuzüglich dem 50prozentigen Mehrarbeitszuschlag), ergibt 374.40 S. Die Lohnkosten je Arbeiter und Lohnwoche haben sich im Beispiel um 30 Prozent erhöht. In diesem Fall wäre also die Arbeitszeitreduktion nur eine l ohnsteigerung mit einem anderen Argument gewesen.

Daß es zu solchen Entwicklungen in Zeiten der ansteigenden Konjunktur kommen muß, beweisen die Erfahrungen der Gegenwart. Gab es doch in der letzten Bausaison Betriebe, die an die 80 Stunden je Woche arbeiteten. Die Durchschnittsarbeitszeit der Männer betrug schon im September 195 3 50,4 Stunden und zeigt eine volle Auslastung der Beschäftigten. Ganz abgesehen davon, daß manche Arbeit -wenn nicht mit Ueberstunden gearbeitet wird — einfach nicht geleistet werden könnte, besteht derzeit in der Deutschen Bundesrepublik nach den Mitteilungen des wirtschaftswissenschaftlichen Institutes des DGB (August 1954) eine Tendenz zur strukturellen Mehrarbeit, wobei in der eisenschaffenden Industrie und in der Papierindustrie im Durchschnitt 4,5 bis 5 Ueberstunden geleistet wurden. Im deutschen Bundesdurchschnitt ergeben sich nach den Mitteilungen des gleichen Organs (Juli 1954) im Februar 1954 2,2 Ueberstunden. Die im Interesse der Verpersönlichung des Arbeitsprozesses so notwendige Freizeiterhöhung wäre dann bei Ersatz von Normalarbeit durch gleichlang dauernde Ueberstundenarbeit durch eine Lohnerhöhung abgekauft worden.

3. Wird die Differenz zwischen den Preisen für die Agrar- und für die Industrieprodukte anwachsen (von den sogenannten „Kostenpreisen“ ausgehend), da das Ausmaß der bäuerlichen Arbeitsleistung durch die beabsichtigte Arbeitszeitregelung kaum berührt wird. (Das gilt, soweit es die Arbeit der Selbständigen betrifft.)

Die Arbeitszeit der Landarbeiter kann dagegen kaum gekürzt werden. Wer für die bäuerliche Arbeit, bei Bedachtnahme auf ihre gegenwärtige technische Ausstattung, die 40-Stunden-Woche verlangt, beweist, daß er sich einem Bauernhofe noch nicht auf Reichweite genähert hat. Eine Erhöhung der Landarbeiterlöhne aber hätte wieder eine Erhöhung der Preise der Grundnahrungsmittel zur Folge.

4. Widerspricht es der betriebswirtschaftlichen Erfahrung, anzunehmen, daß alle Unternehmungen die Produktivität des Betriebsprozesses ruckartig so zu steigern vermögen, daß der (durchschnittliche) zehnprozentige Kostenanstieg_ kompensiert wird. Jeder übermäßige spekulative Lohnvorgriff auf künftige Mehrergebnisse der Produktion geht zu Lasten der Werktätigen, falls nicht etwa ungenützte Kapazitäten vorhanden sind. Wie ist es etwa mit der Produktivitätssteigerung bei den Dienstleistungsbetrieben, deren Kosten durch vollabgegoltene Arbeitszeitkürzungen besonders stark steigen würden?

5. Sind die Folgen je Branche sehr unterschiedlich. Jede allgemeine Lohnerhöhung ist — erinnern wir uns an die Lohn-Preis-Abkommen — Anlaß von Verzerrungen des Preisgefüges und führt zu branchenartigen Krisen, deren Folgen nicht die für Wahlversammlungen immer wieder hervorgeholten sagenhaften „Reichen“ zahlen, sondern stets die kleinen Leute tragen müssen. Die gewissen „Reichen“ und ein unternehmerischer Mob konnten sich fast durchweg schadlos halten, wenn sie nicht gar an der Kostensteigerung ihren zusätzlichen Gewinn hatten.

Eine Maßnahme aber, die formell sozial ist, jedoch schließlich zu einer Kürzung des Sozialproduktes und im besonderen zu einer Reduktion der Reallöhne führt, ist faktisch unsozial.

Damit soll aber nicht gesagt sein, daß wir auf Dauer bei der 4 8-Stunden-Woche bleiben sollen. Im Gegenteil. Eine Arbeitszeitkürzung ist ein wesentlicher Bestandteil der Sozialreform. Wozu Reallohnsteigerungen, wenn der Arbeitnehmer zu wenig Pause und behagliche Ruhe hat, um das Mehr an Lohn genießen zu können?

Die Arbeitszeitkürzung muß aber stufenweise durchgeführt werden. Im Ausmaß des erzielten oder kurzfristig erzielbaren Produktivitätsfortschrittes. Dabei könnte je Betrieb nach einem Plankalender vorgegangen werden, so daß die Unternehmer in der Lage wären,, vorweg die Erhöhung der Lohnkosten mit ihren auf die Steigerung der Produktivität abgestellten Maßnahmen einigermaßen abzustimmen. Das gilt, soweit nicht eine Produktivitätssteigerung den Arbeitern im Lohne bisher nur unzureichend abgegolten wurde. Dabei muß auf die Eigenart der Branche und die einzelbetriebliche Gewichtigkeit der Lohnkosten (ihr jeweiliges Verhältnis zu den Gesamtkosten) Rücksicht genommen werden.

Auch die deutschen Gewerkschaften sind gegen eine allgemeine und sofortige Reduktion der Arbeitszeit auf 40 Stunden. (Vergleiche K. Schayer in „Gewerkschaftliche Monatshefte“, Februar 1955). Eine solche Maßnahme würde nach Ansicht von Schayer auf „erhebliche Schwierigkeiten“ stoßen. Im Interesse der Erhaltung der Stabilität der Preise wird daher ein Dreistufenplan vorgeschlagen: 1. Etappe 45, 2. Etappe 42,5 und 3. Etappe 40 Stunden.

Die Etappentermine wieder müßten meines Erachtens von Betrieb zu Betrieb verschieden angesetzt werden. Jedenfalls wäre es bei der Durchführung der Arbeitszeitkürzung zur Bedingung zu machen, daß jede direkte oder indirekte Weiterwälzung der Folgen der Verringerung der Arbeitszeit auf die Preise zu unterbleiben hätte. Die Einhaltung dieser Bedingung wäre zu überwachen. Jede Maßnahmedie den Reallohn kürzt, ist arbeiterfeindlich. Auch wenn sie „sozial“ etikettiert ist.

Das heißt aber: Die Arbeitszeitkürzung wäre zeitlich (terminmäßig) und in ihrem Ausmaß jeweils so anzusetzen, daß der Reallohn, wie er vor der Arbetszeitkürzung bestanden hat, zumindest nicht geschmälert wird.

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