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Wenn die Vision verblaßt...

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Die jugoslawischen Kommunisten wollen in unseren Tagen das Volk davon überzeugen, daß sie sich in einem Stadium der Humanisierung befinden. Diese Behauptung möchten die ideologischen Propagandisten auch mit der neuen jugoslawischen Verfassung stützen. Sie spricht bekanntlich auch über die Freiheit des Gewissens und des Schreibens. Daß aber diese „Freiheitsparagraphen“ in der Verfassung eigentlich nur Schall und Rauch sind, beweist schon die Tatsache, daß der Schriftsteller Milovan Djilas weiterhin im Gefängnis bleiben muß, während anläßlich des Tages der Republik (29. November) hunderte „Politische“ amnestiert worden sind. Die politische Struktur Jugoslawiens ist in Bewegung geraten. Das sagt noch nicht, daß das bisherige System von seinen diktatorischen und brutalen Methoden läßt. Die KP Jugoslawiens hat eine zu blutige Geschichte, um vor der demokratischen Welt schon heute reingewaschen dazustehen. Bis zur freien und vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist es noch weit. Die korrigierten Begriffe des Marxismus genügen nicht.

Daß heute in den Reihen der KP Jugoslawiens eine Demoralisierung und ideologische Desorientierung vorherrscht, bestätigt dem Beobachter die Zeitschrift „Der Kommunist“. Die obersten Parteitheoretiker haben in letzter Zeit dem mittleren Parteikader gegenüber ihren Mißmut deutlich gemacht; sie werfen diesen Leuten Streben nach persönlichem Reichtum vor, während sie ihren politischen und ideologischen Pflichten nicht mehr der alten revolutionären Tradition entsprechend nachkämen. Nach einem aufsehenerregenden Artikel im „Kommunist“ (Oktober 1963) verlören diese Kommunisten die Vision der kommunistischen Zukunft.

Diese Ära der Kritik an der verblichenen Gestalt des jugoslawischen Kommunisten hat Präsident Tito mit seiner bekannten Rede in Split im Sommer 1962 eröffnet. Seine Worte haben bei vielen Kommunisten Verwirrung und Befremdung hervorgerufen. Die Sekretäre der Partei haben in der Folgezeit diese Kritik wiederholt. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen nach wie vor Kunst und Religion, vor allem aber die uralte nationale Frage. Die ideologische Festigkeit der Partei wird durch diese Probleme immer wieder angenagt.

Wie akut die nationale Frage in Jugoslawien wieder einmal ist, beweist am besten die Häufigkeit, mit der in den letzten zwei Jahren die Partei- und Staatsführer in ihren öffentlichen Reden darauf zu sprechen kamen. Besonders Präsident Tito sucht zu vermitteln und betont in seinen Reden immer wieder, daß der Staat mit den Nationen nicht identisch sei. Damit anerkennt er grundsätzlich das Eigenleben der Nationen in Jugoslawien. Das dämpft etwas die wachsende Opposition, besonders in den Reihen der kroatischen Kommunisten, die als Opposition viel gefährlicher als die „Bürgerlichen“ wären.

Nichtsdestoweniger hält der Kampf der kroatischen Kulturschaffenden um die Erhaltung und Bewahrung der Eigenart der kroatischen Schriftsprache an, der von Seite des Regimes eine gefährliche Ausrottung droht. Mit dem Verdrängen der kroatischen Variante in der Schriftsprache der Serben und Kroaten will man höchste taktischpolitische Ziele ergreifen: Die innere Emigration der Serben und Kroaten soll gebrochen werden.

Widerstand aber leisten nicht nur die Kroaten, sondern auch die Slowenen, wie ein Prozeß in Slowenien gegen eine illegale Opposition bewies. Aus Slowenien werden immer wieder Flugzettel der slowenischen illegalen Widerstandsbewegung nach dem Westen geschleust, die Belgrad den Kampf ansagen. Auch in der slowenischen Emigration wird die Forderung nach einem selbständigen Slowenien immer lauter und bestimmter.

Angesichts dieser tiefen Zwiste müssen natürlich die streng kommunistischen Kroaten und Slowenen etwas zusammenrücken. Sie nennen sich „Reformisten“. Ihre Exponenten sind der Slowene Edvard Kardeij, Präsident der jugoslawischen Nationalversammlung, und Vladimir Bakaric, Chef der Kommunistischen Partei Kroatiens. Sie verlangen eine stärkere Anlehnung an den Westen. Die „Reaktionäre“ befinden sich in den Reihen der Kommunisten. Ihr Exponent ist Alexander Rankovic, ehemals ge-fürchteter und verhaßter Chef der serbischen und montenegrischen Polizei und heute Stellvertreter Titos. Manche Kreise behaupten, sie seien orthodox-kommunistisch orientiert, und zwischen ihnen und den „Reformisten“ tobt der Kampf um die Nachfolgeschaft Titos.

Die wunde Stelle des titoistischen Experiments liegt vor allem darin, daß das Tito-System den jugoslawischen Staat mit Polizeiterror beherrscht. Tito als Staatschef handelt nach dem Rezept der alten serbischen Könige. Die Geschichte aber lehrt, daß die Polizeigewalt dieser Könige und die nationale Unduldsamkeit immer zum Scheitern verurteilt waren. Und weil Titos wirtschaftliche, politische und kulturelle Integration mit Gewalt durchgeführt wird, hat der gegenwärtige kroatische Widerstand dieselben Motive wie im Zwischenkriegs-J ugoslawien.

Er bedient sich bekanntlich vieler erlaubter und unerlaubter Mittel. Am wirksamsten ist das der Literatur. Die ganze Frage der kroatischen Nation muß und wird eines Tages für das Regime und das Einparteisystem gefährlich werden. Denn sie dringt in alle Bereiche des täglichen Lebens ein. Kein Wunder, daß sich in letzter Zeit ausgesprochene Terroristengruppen bilden, deren Vorbild jene sind, die den „jugoslawischen“ König Alexander in Marseille im Jahre 1934 zu Fall brachten. Der nationale Antagonismus dieser Völker läßt sich durch zweifelhafte administrative Methoden weder lindern noch beseitigen. Die durch die Gewaltpolitik Enttäuschten rebellieren immer.

In diesen Tagen wurde in Jugoslawien der zwanzigste Geburtstag des neuen Staates gefedert. Am 29. November 1943 haben sich die Kommandanten und politischen Kommissäre der Partisanenbewegung auf ihrer zweiten Tagung des AVNOJ-a (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) in Jajce (Bosnien) versammelt und den Grundstein für die zukünftige gesellschaftliche und staatspolitische Ordnung auf kommunistischer Basis gelegt. Aus diesem Anlaß brachten die Tageszeitungen die Erinnerungen jener Leute, die die geschichtlichen Träger der Ereignisse vor 20 Jahren waren. Die jungen Menschen fragen sich: Was nützt das alles, wenn die alten Unterdrücker, die alten Imperalisteh, die alten großserbischen Karadjordjevic-Royalisten jetzt durch neue Gewalt und Unterdrückung ersetzt werden?

Die Kunst, besonders die Literatur, ist eine Herzenssache der jugoslawischen Kommunisten. Daß aber der sogenannte sozialistische Realismus der Nachkriegszeit in eine nur wenig neuorientierte Strömung oder völlige Leere mündete, macht die Führer der Partei stutzig, vor allem Tito selbst, der in einer seiner Reden zu Beginn dieses Jahres die Maler und Schriftsteller schroff kritisierte. Seiner Meinung nach haben die meisten jugoslawischen Schriftsteller und Maler das Gespür dafür verloren, was in einer sozialistischen Gesellschaft erlaubt oder nicht erlaubt ist. Gegen die neuen Auffassungen in der Literatur und Malerei haben in diesem Jahr fast alle hohen republikanischen Parteifunktionäre Stellung genommen. Sie können es nicht verstehen, daß der literarischen und darstellerischen Kunst die „revolutionäre kommunistische Leidenschaft“ fehlt.

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