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„Wer nicht den Feind schlägt...

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„Wer nicht den Feind schlägt bis ins Mark...“: das ist eine Stelle aus dem Marsch von Karl Pühringer „Heil dem deutschen Schulverein“. Dieses Dokument ruht in einer Archivmappe aus dem Jahre 1912. Gedruckt wurde dieser markige Kantus bei C. G. Räder in Leipzig. Ehe in der zweiten Strophe die Feinde bis ins Mark getroffen weiden müssen, um eigene Knechtschaft zu verhindern, wird uns im ersten Absatz noch folgendes verkündet:

„Ich bin ein Deutscher, wer steht dem gleich? an Kraft und Mut und Sieg, wenn Kette sich an Kette reiht, in Sturm und Krieg. Ob Eichen splitternd niederwehn, die deutsche Schule bleib bestehen, Heil! dem Schulverein, dem deutschen Schulvereini.“

Versetzen wir uns in das Jahre 1912. Die im besonderen auf die jeweilige Muttersprache konzentrierten Nationalitätenkämpfe sind eine historische Tatsache der österreichisch-ungarischen Monarchie. Der Schutz der eigenen Muttersprache, besonders in Grenzgebieten, in Ehren, doch ein solches Liedgut überschreitet — auch wenn man dem Stil der Zeit Rechnung trägt — bei weitem die Grenzen der Selbstbehauptung. Weitere Lieder, etwa des „Deutschen Schulvereins Südmark“, stoßen in ähnliche Hörner.

War „der deutsche Schulverein“ im Gründungsjahr 1880 noch weitgehend ein von breiteren Kreisen getragener Schutzverband, dessen führende Persönlichkeiten aus dem Klerus (Kaplan Mitterer) und dem liberalen und späteren sozialdemokratischen Lager stammten (Viktor Adler und Pernerstorfer), so läßt sich eine zunehmende Fanatisierung in den kommenden Jahrzehnten nicht leugnen. Noch 1888 finden sich in einem Selbstschriftenalbum der Ortsgruppe Wien-Margareten des „Deutschen Schulvereins“ markige Aussprüche von Persönlichkeiten der Monarchie aus Politik, Kultur und Wirtschaft, denen man teilweise romantisch-gchwärmerischen Charakter zubilligen kann. Es klingen allerdings vereinzelt auch schon kämpferisch-politische Töne an, die dann in der Ersten Republik mit der Einführung der Arierparagraphen einen gewissen Höhepunkt erreichen sollten. 1925 war dann, gewissermaßen als Dachverband, neben der schon bestehenden „Südmark“ (Graz), auch der „Deutsche Schulverein Südmark“ gegründet worden.

Die weitere Entwicklung 1934—1938 war dann eine drastische Bestätigung für die historische Tatsache, daß der Deutschnationalismus, besonders in Österreich, für den Nationalsozialismus eine Brückenfunktion erfüllt hat. Vielfach mögen es romantische Schwärmer geblieben sein, über deren Rücken man zum „Dritten Reich“ schritt, doch läßt das zitierte Liedgut bei manchen Trägern dieser Organisationen auch den gegenteiligen Schluß zu. So war es nicht verwunderlich, daß laut Wortlaut der Urteilsbegründung der Rückstellungsoberkommission beim Oberlandesgericht Wien vom 16. Mai 1957 der Obmann des „Deutschen Schulvereins Südmark“, Ministerialrat Dr. Mayer, in der Hauptversammlung am 8. Mai 193 8 unter „nicht endenwollendem Beifall“ sagen konnte:

„Der Kampf ist zu Ende: Der deutsche Mensch der Ostmark steht im Tor einer neuen Zeit, das einer aufgeschlagen hat, dessen Kraft und Größe noch überhöht werden durch seine tiefe und klare Menschlichkeit, und wenn der Deutsche Schulverein Südmark heute seine in hartem Kampfe errungene Gegenwart seinem Willen einordnen darf, geschieht dies in tiefer Dankbarkeit, daß es wieder ein Fest ist, Deutscher mit Deutschen zu sein.“

Zu dem einstimmig beschlossenen Antrag dieser Hauptversammlung, im VDA aufzugehen,

weiß die Urteilsbegründung der Rückstellungsoberkommission folgendes zu berichten:

„... nach dem Wortlaut dieses Beschlusses kann an dem Willen sämtlicher Funktionäre der Hauptversammlung zur bedingungslosen Eingliederung des DSS in den VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) unter der Übertragung des Wereinsvermögens nach Ansicht der Oberkommission kein Zweifel bestehen.“

Auf Grund dieser Sachlage mußten die Rückstellungsoberkommission beim Oberlandesgericht Wien, die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und schließlich die Oberste Rückstellungskommission beim Obersten Gerichtshof (29. September 1956) einige Rückstellungsanträge, die den sogenannten Nachfolgevereinen Vermögenswerte gebracht hätten, ablehnen. Die heute mit ähnlicher, deutschnationaler Zielsetzung bestehenden Organisationen sind der „Alpen-ländische Kulturverband“ in Graz, die „Österreichische Landsmannschaft“ in Wien und die „Südmark“. Der letztgenannte Verband ist auf Grund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahre 1953 (wegen eines seinerzeitgen Formfehlers) als existent zu betrachten und hat sein Vermögen zurückerhalten. Die übrigen Werte des VDA. in den also der „Deutsche Schulverein“ und der' „Deutsche Schulverein Südmark“ freiwillig übergegangen sind, sind nach dem Verbotsgesetz der Republik Österreich verfallen und werden von einem von der österreichischen Bundesregierung eingesetzten Bevollmächtigten verwaltet.

In den letzten Monaten wird nun eifrig einer „Schenkung“ (an die im Zug der Zeit wiederbelebten deutschnationalen „Nachfolgevereine“) aus den Taschen der Republik das Wort geredet, durch welche die Rechtslage umgangen wer-

P?iirf *m??rif/“ rmriön . ürb<! bmi muravic Damit ist der auf Grund der Rechtslage bereits vorgesehene Plan zur Liquidierung vorläufig nicht zur Durchführung gekommen. Es war geplant, die Grenzlandschulen in der Steiermark und\in Kärnten an die Gemeinden zu einem kleinen Anerkennungspreis zu verkaufen und den Baitplatz in der Favoritenstraße in Wien an die Bundesgebäudeverwaltung zu übergeben, welch letzteres geschehen ist. Das Haus Fuhrmannsgasse 18 a in Wien wurde amtlich geschätzt und sollte veräußert werden; in erster Linie käme als Interessent die Gemeinde Wien in Frage, die ein Baurecht an diesem Hause besitzt, wonach das Gebäude 1983 unter besonders günstigen Bedingungen an die Gemeinde fallen wird.

Durch das rasche Eingreifen österreichischer Kreise ist verhindert worden, daß die geplante Schenkung unter dem politischen Unstern der „bürgerlichen Einheit“ im Verwaltungswege verfügt wurde.

Aber wie lange wird die Waffenruhe dauern?

Bald wird man wieder antreten, „um den Feind zu schlagen bis ins Mark“. Man wird sich dabei der verhängnisvollen Dialektik des österreichischen Geisteslebens und unserer Innenpolitik in der Ersten Republik entsinnen. Auch heute noch — oder besser gesagt: wieder — stehen manche Mitbürger nur mit den Füßen auf dem Boden des österreichischen Staates. Herz und Geist gehören der „deutschen Nation“. Parteipolitisches „Zweckdenken“ gesellt sich hinzu. Wie anders wäre sonst der Satz zu deuten, den der hervorragende Vertreter der neuen Führung der ersten Regierungspartei gegenständlichen Frage in mehreren Briefen geschrieben hat:

„Die Republik hat es nicht nötig, sich mit unredlichem Cut zu belasten, sie hat es aber sehr wohl notwendig, dieses Zweckvermögen seinem ursprünglichen Zweck nicht länger zu

Statistik weit hinten stehend, nur 5,2 Wohnungen für 1000 Einwohner gegenüber zehn Wohnungen etwa in der Bundesrepublik Deutschland. Prinke nannte die Ursachen in offener Kritik beim Namen: Die Uneinheitlichkeif, das Gegeneinander der verschiedenen einander konkurrierenden Fonds, das Fehlen eines Generalbauplans, die immer wieder auftretende Bevorzugung anderer Investitionsvorhaben gegenüber der Wohnbaunotwendigkeit. Viele, allzu viele berechtigte Wünsche der Freunde des Wohnungseigenfums müssen immer wieder zurückgestellt werden, auf Jahre und Jahre. Aber der Gedanke lebt weifer und gewinnt immer wieder neue Anhänger. *

PROBEALARM IN BERLIN. Ins Zwielicht droht die nicht nur mit offen auftrumpfender Drohung, sondern mehr noch mit dem Ausspielen vorhandener Schwächen und Wirrungen arbeitende Sowjetpolifik nun die Berlin-Frage hineinzumanövrieren. Man weiß in Moskau sehr gut, dafj man weder in Washington noch in Paris noch gar in London deutsch-preußische Interessen zu verteidigen wünscht, wenn man sich für Berlin stark macht. Und man weif} auch im Kreml, besser als dies vielleicht Ulbricht beurteilen kann, dafj man durch eine offene Bedrohung Wesf-Berlins die Westmächfe mit dem Rücken gegen die Wand treibt. Also suchte man einen anderen Anlafj. Ein Treffen des Deutschen Heimkehrerverbandes, der sich seit vielen Jahren hauptsächlich mit sozialen Unterstützungsproblemen befafjt, eine Gedenkstunde zum ^Tag der Heimat“, die ein so untadeliger Demokrat wie Altpräsident Heuss mit seinem Erscheinen auszeichnete, wurden in hämmernder Propaganda allesamt zu „Revanchisten- und Kriegshetzertreffen“ erklärt und mit scharfen Zernierungs-maßnahmen beantwortet. Die Antwort des Westens war so, wie sie das Prestige verlangte. Protestnoten, kleine Luftbrücken, erneute Treueversprechen. Dies betraf die Stäbe und Regierungskanzleien. In der öffentlichen Meinung, vor allem der empfindlichen Englands, blieb aber dennoch „etwas hängen“. Wieder einmal tauchte der Name Berlin in soldatischem Zusammenhang auf, wieder war von der ominösen „Reichshauptstadt“ die Rede, von Kriegsgefahr

STAAT UNTER KURATEL. Das Wort „reif“, im Sinne einer abschließenden Schulzensur verstanden, ist in den letzten hundert Jahren sehr off mißbräuchlich angewandt worden, wenn es die Kolonialmächte je nach ihrem Augenblicksinteresse dem einen oder anderen farbigen Volk zu- oder aberkannten. Gerade jene Europäer aber, die sich diesen überheblichen und pharisäischen Gouvernantenfon ganzen Völkern gegenüber nicht zu eigen machen wollen,

stehen angesichts der jüngsten Kongo-Ereignisse in wachsender Verzweiflung vor einer Entwicklung, die den Reaktionären hier und in Ubersee mehr und mehr Recht zu geben scheint. Das, was sich zur Stunde dort abspielt, bedeutet den Rückfall eines riesigen, für die Weltwirtschaft lebenswichtigen und daher nicht sich selbst zu überlassenden Territoriums in eine vor-stqatliche Existenz, wie sie Europa seit dem Ende des ersten Jahrtausends nicht mehr kennt. Die Begriffe des normalen politischen Lebens, wie „Präsident“, „Premier“, „Parlament“, „Senat“, werden angesichts der immer stärker durchbrechenden Realität zu leeren Worten, mit denen zynisch auf Verwirrung bedachte ausländische Drahtzieher eine Schattenkomödie aufführen. Nun ist aber das einzige noch intakte Instrument des internationalen Nebeneinander, die UNO, in ihrem Funktipnieren von solchen staatlichen Bauelementen abhängig. Die für die Welt dramatische Frage lautet also, ob ein sich immer deutlicher deklarierender „Nicht-Staat“, wie das Kongoterritorium, überhaupt im Zusommenspiel der Staaten mitwirken kann. Zur Zeit hat sich die UNO gezwungen gesehen, das Kongoterritorium unter Kurafel zu stellen. Wie lange aber kann ein solches Interim dauern? entziehen, sondern es wieder widmungsgemäß zu verwenden.“ (I)

Wie heißt es doch im Beitrittsformular der „österreichischen Landsmannschaft“:

„Die österreichische Landsmannschaft' hat in Zielsetzung und Arbeit die Nachfolge nach dem .Deutschen Schulverein angetreten. Die volkliche Kultur- und Schutzarbeit in Österreich hat alte und neue notwendige Aufgaben vor sich. Jeden, der sein Volk liebt, gehen sie an.“

Unter den Förderungsrnöglichkeiten lesen wir dann die alte Botschaft: „für Grenz- und Auslandsdeutschtum“. Das Organ der österreichischen Landsmannschaft „Eckartsbote“ trägt im Untertitel den Zusatz „deutscher Kultur- und Schutzarbeit“ und beschäftigt sich u. a. mit einer langwierigen Diskussion über die Probleme des geteilten Deutschlands.

Man lebt also in den alten Vorstellungen des geistig-kulturellen und völkischen Deutsch-nationalismus.

Nun unterscheidet sich aber die Erlebniswelt des „Deutschen Schulvereins“ grundlegend von jener der jüngeren und jüngsten Generation unseres Vaterlandes, also der Altersstufen vom 14. bis zum 40. Lebensjahr. So ist es nicht verwunderlich, daß in den programmatischen Publikationen des heutigen Deutschnationalismus in Österreich, den „Eckartschriften“, im Heft 5 Dr. Josef Papesch in seinen „Briefen an die Jugend dieser Zeit“ auf Seite 9 bekennen muß:

„ ... als ich kürzlich vor einem unserer Bünde über Gott, die Welt und unser Volk in dieser Zeit sprach, dabei, mehr nebenbei, auch das Wort .national' gebrauchte, sagte einer der jungen Zuhörer: Alles gut und schön,

Herr Doktor, aber das Wort, natioftal'i köttnen wir nicht mehr hören.

Ich war zuerst sehr betroffen,'als aber das Hin und Her von Frage und Antwort richtig in Gang kam, entdeckte ich bald, daß die Jugend, mit der ich sprach, dem Wort .national' deshalb so scheu aus dem Weg geht, weil sie ihm einen bedrohlichen, unheimlichen Sinn gibt.“

Diese instinktsichere Jugend, die wohlgemerkt sogar innerhalb der deutschnationalen Bünde und Korporationen so deutlich eine vernünftige Haltung einnimmt, mag den rückwärtsgerichteten Politikern der „bürgerlichen Einheit“ eine wenig schmeichelhafte Bestätigung dafür sein, daß sie schlechte Strategen und Österreicher mit beschränkter Haftung sind.

Die gesamte österreichische Jugend hat keine Feinde mehr, die sie „unter niedersplitternden Eichen bis ins Mark treffen“ möchte. Sie ist daher an einer offiziellen Restauration des Deutschen Schulvereins durch geschenkweise Überlassung bedeutender materieller Güter nicht interessiert. Ja, sie muß ihr sogar im Interesse unseres 1945 wiedergewonnenen Vaterlandes entschieden widersprechen.

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