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Wer war Pontius Pilatus?

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Der römische Präfekt hatte die Macht, sich für Jesus einzusetzen. Doch er erscheint als ein widersprüchlich Zerrissener und von den Juden Getriebener.

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Der römische Präfekt hatte die Macht, sich für Jesus einzusetzen. Doch er erscheint als ein widersprüchlich Zerrissener und von den Juden Getriebener.

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Er war der fünfte Römer, der als Prokurator Judäa, Samaria und Idumäa beherrschte, nachdem der Herodes-Sohn Archelaus im Jahre sechs nach Christus von den Römern wegen übertriebener Grausamkeit abgesetzt und verbannt worden war: Pontius Pilatus, Praefectus Iudaeae, mit Residenz in Caesarea maritima.

Der 1961 im ehemaligen Theater von Cäsarea gefundene Pilatus-Stein mit der Widmungsinschrift eines (typisch hellenistischen) Kulturgebäudes („Pontius Pilatus, Präfekt von Judäa, hat den Einwohnern von Cäsarea dieses Tiberieum geschenkt") läßt darauf schließen, wessen Geisteshaltung dieser Mann aus dem Rittergeschlecht der Ponier gewesen ist. Daß er von Seianus, dem Präfekten der kaiserlichen Garde, für diese Aufgabe nominiert worden war, spricht nicht für besondere Sensibilität gegenüber der Bevölkerung in den Provinzen. Auf jüdische Belange nahm Pilatus wenig Bücksicht, als Kaiser Tiberius ihn in seinem zwölften Begierungsjahr (26 n. Chr.) zum Prokurator in Judäa einsetzte.

Zeitgenössische Schriftsteller wissen von seiner Bücksichts-losigkeit zu berichten und klagen über den Mangel an Einfühlungsvermögen gegenüber seinen Untertanen und deren Beligions- und Gefühlswelt: Schon bei seinem ersten Besuch in Jerusalem konfrontiert er die Juden mit einem Kaiserbild und mißachtet dabei ihre Abscheu vor bildhaften Darstellungen; ohne Bücksicht auf die jüdische Beligion läßt Pilatus Votiv-schilder mit dem Namen des Kaisers im herodianischen Palast aufstellen; für den Bau einer Wasserleitung beschlagnahmt er Geld aus dem Tempelschatz. Sein Verhalten provoziert verschiedene Bittschriften nach Born, sodaß ihn nach dem Tod seines Förderers Seianus (31 n. Chr.) sogar der keinesfalls als Judenfreund bekannte Kaiser selbst ermahnt, den Landessitten größeren Respekt entgegenzubringen.

Als Pilatus 36 n. Chr. mehrere Sa-maritaner wegen ihrer religiösen Aktivitäten auf dem Berg Garizim hinrichten läßt, führen die Beschwerden bei Vitellius, dem Legaten in Syrien, zu seiner Entmachtung. Pilatus wird nach Born zurückbeordert. Sein weiteres Schicksal liegt im dunkeln. In der Tradition der christlichen Apokryphen wird es gegensätzlich ausgestaltet: So weiß die Schrift Mors Pila-ti von seinem Freitod zu berichten, während in der Traditio Pilati von seiner Bekehrung und seinem Ende als reumütiger Christ zu lesen ist.

In das Bild dieses Mannes, der ga-liläische Juden sogar während der Opferhandlung im Tempel umbringen ließ (vgl. Lk 13,1), fügt sich die Hinrichtung Jesu von Nazaret im Jahre 30 n. Chr. nahtlos und ohne Auffälligkeit ein. Auch Tacitus berichtet davon mit großer Selbstverständlichkeit (Ann. XV 44). Angesichts der damaligen Praxis in den römischen Provinzen zählte ein zusätzlicher zu Tode Gemarterter nicht viel. Dennoch: Mit dieser Gewalttat kam Pontius Pilatus in das christliche Credo.

Gegenüber dieser Charakterskizze fällt die Zurückhaltung jener ersten christlichen Schriften auf, die ausführlicher auf das Passionsgeschehen eingehen. In den Evangelien begegnet uns Pilatus als distanzierter Zauderer, der fast mit Widerwillen und ohne amtliches Interesse das Verfahren gegen Jesus ermöglicht. Dies wird anhand der zögerlichen Durchführung der Pascha-Amnestie zugunsten des Barrabas besonders deutlich (vgl. Mk 14,6-15).

Markus läßt überdies erkennen, daß die Anklage vor dem Hohen Bat und jene vor Pilatus nicht übereinstimmen (vgl. Mk 14,61 mit 15,3). Lukas schildert Pilatus sogar als Fürsprecher für die Unschuld Jesu: „Ich finde keine Schuld an ihm" - dreimal findet sich dieser Satz des Pilatus in der Lukas-Passion (Lk 23,4.14.22, vgl. ähnlich Apg 3,13). Der Verfasser des Matthäusevangeliums baut um die Traumepisode der Frau des Pilatus eine offenbarungsähnliche Szene auf, die in der Symbolhandlung des Händewa-schens gipfelt (Mt 27,24) - Ausdruck größtmöglicher Distanz und NichtBeteiligung an dem, was dennoch in der untertänigen Stadt Jerusalem nur mit römischer Zustimmung gesche-heu kann, und zugleich Schuldzuweisung an andere.

Im Johannesevangelium geht der Übergabe Jesu an das Kreuz ein philosophisch anmutender Dialog über Königswürde, Wahrheitsverständnis und Herkunft Jesu voraus, in dem einander zwei hoheitsvolle Gesprächs-partner, jeder auf seine Weise mit Vollmacht und Würde ausgestattet, gegenüberstehen (vgl. Joh 18,33-38a.l9,4-ll). So proklamiert Pilatus Jesus - trotz allem! -zum „König der Juden" (Joh 19,19), und er bleibt dabei: Der Kreuzestitu-lus ist unabänderlich: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben" (Joh 19,22).

Die berühmte Frage „Was ist Wahrheit" (Joh 18,38a) faßt der Evangelist nicht als polemisch-spöttische Bemerkung auf, sondern als die Frage eines suchenden Menschen, der freilich in den Machtverhältnissen und -intrigen seiner Zeit gefangen bleibt und den befreienden Schritt des Glaubens daher nicht vollziehen kann. Wider besseren Wissens überläßt Pilatus daher den Unschuldigen seinen Anklägern und übergibt ihn der Tötung.

Das Bild ist also widersprüchlich. Weder wollen (und können) die Evangelisten den römischen Statthalter von jeder Beteiligung am Tod Jesu salvieren. Noch ist ihnen an einer historisch differenzierten Beurteilung gelegen: Auch in diesem Kontext behält der literarische Charakter der Evangelien seine Bedeutung und Gültigkeit. Als Verkündigungsschriften verfolgen sie konkrete, jeweils auf die Adressaten bezogene Anliegen.

Anhand der wenigen verläßlichen Angaben ist mit Vorsicht weiterzufra-gen. In zwei Punkten scheint es den jüdischen Verantwortungsträgern trotz aller wohl auch sachlichen Distanz des Börners gelungen zu sein, das Interesse des Prokurators gegen den Angeklagten zu mobilisieren: Wer selbst als Günstling des Kaisers in seine Position kam, darf keine Königsprätendenten in seinem Bereich dulden (vgl. Joh 19,12). Und wer ehrgeizige Projekte verfolgt, wird schon aus finanziellen Gründen Interesse an der Aufrechterhaltung'der Tempelordnung und des Tempelbetriebs haben und daher jede Infragestellung dieser Institution unterbinden (vgl. Mk 11,15-19; 14,56-58).

Tatsächlich scheint die Frage der Stellung Jesu zum Tempelkult in der damals praktizierten Weise in weit stärkerem Ausmaß ein Kernproblem in der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den religiösen Autoritäten in Jerusalem gewesen zu sein als uns dies die Evangelien glauben machen. Denn auch für die jüdische religiöse Führungsschicht stand mit der Tempelkritik Jesu viel auf dem Spiel; die Infragestellung ihrer Position war damit jedenfalls unmittelbarer gegeben als hinsichtlich der möglichen Frage, ob Jesus tatsächlich der Messias sei. So ergab sich in diesem Bereich eine merkwürdige Allianz und Interessenübereinstimmung, die letztlich zum Tod Jesu führte.

Diese Allianz im verfolgten Ziel könnte auch der Grund dafür sein, daß Verfahrensmängel jüdischer- und römischersei ts offensichtlich gegenseitig toleriert wurden und Konsens bezüglich einer möglichst schnellen Abwicklung dieser Tötung angenommen werden muß, selbst unter Inkaufnahme eines denkbar ungünstigen Termins, nämlich zum Paschafest. Nach der Qualität der Mittel wurde da nicht gefragt - warum sollte auch ein Gekreuzigter mehr oder weniger wirklich wichtig sein ...?

Pilatus erscheint dabei als ein widersprüchlich Zerrissener und als ein beeinflußbar Getriebener, der er vermutlich auch tatsächlich war. Bein rechtlich gesehen und aus der Perspektive der Machtverhältnisse hätte er die Möglichkeit gehabt, eine Option zugunsten von Jesus voll durchzusetzen. Aber: War ihm dieser eine Angeklagte eine solche Verstimmung wert? Wollte er ihn tatsächlich freigeben? Oder ist der Tod Jesu nicht eher das Ergebnis seines Utilitarismus im Bemühen, weder sich beim Kaiser anschwärzen zu lassen noch es sich mit den jüdischen Autoritäten unnöti -gerweise zu verscherzen?

„... sub Pontio Pilato passus et se-pultus est": Dieser Satz aus dem Credo ist mehr als bloß eine zeitgeschichtliche Einordnung. Er markiert die Beteiligung dieses Mannes am tragischen Schicksal Jesu. Was mit diesem Tod ausgelöst wurde, konnte auch Pilatus nicht ahnen. Seine tiefere Bedeutung wurde erst aufgrund des folgenden Ostertages erahnbar und ist es bis heute geblieben. Damit aber hat Pilatus nichts mehr zu tun. Auf der Bildfläche der Ostergeschichten scheint er nicht mehr auf, allenfalls als eine Antithese: Denn selbst die letztentscheidende Macht des Börners, die menschlich einen scheinbaren Schlußpunkt im Leben Jesu veranlaßt, kann gegen die Leben stiftende Vollmacht Gottes nicht an.

Diese Antithetik begleitet die diesbezügliche Verkündigung der Apostelgeschichte (vgl. 4,27, ähnlich 13,28), und sie bleibt über den historischen Augenblick und die beteiligte Person hinaus maßgeblich für die österliche Botschaft: Allen menschlichen Widerwärtigkeiten und auch allem personifizierten Versagen zum Trotz gibt Gott seinem Sohn neues Leben. Deshalb erhält die Art, wie Pilatus nach der Darstellung des Johannesevangeliums Jesus dem Volk präsentiert, ihre verbindliche und wahre, weil österliche Bedeutung: „Siehe: der Mensch! Sieh, euer König!" (Joh 19,5.14).

Der Autor ist

Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät Luzern.

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