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Wer war Saint-Exupery?

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Was hatte Antoine Jean-Bab-tiste Marie Roger Graf von Saint-Exupery mit Fjodor Dostojewski gemeinsam? Literarisch fast nichts, doch biographisch dies mit Sicherheit: Beiden brannte das Geld „Löcher in die Tasche”, beide kämpften gegen drückende Geldnot, beider Dichtungen entstanden unter dem Zwang, Geld zu verdienen.

Die Amerikanerin Stacy Schiff schrieb eine Biographie über Saint-Exupery. Es gibt schon etliche, ihre ist die bisher kritischeste, schonungsloseste. Die Schwächen Saint-Exuperys werden nicht ausgespart, auch nicht sein finanzielles und eheliches Chaos. Trotzdem - liebenswerter wurde er kaum je dargestellt.

Aber wer war dieser Saint-Exupery? Dichter und Flieger natürlich, wie jeder weiß. Bekanntestes Buch: „Der kleine Prinz”. Aber hat er uns noch etwas zu sagen? Viele junge Menschen kennen ihn gar nicht mehr. Andererseits hat er noch immer viele Bewunderer.

Als Pilot galt er als brillant in Gefahrensituationen, doch gefährlich in der Routine. Seine Zerstreutheit war legendär. Ursache einer Notlandung in Indochina: Er hatte nach der letzten Notlandung nicht genug nachgetankt. Nach dem Testflug mit einem neuen Flugzeug, bei dem er fast abgestürzt wäre, wußte er später nicht mehr, nach welcher Seite die Maschine ständig zu kippen gedroht hatte. Seine Karrierre als Testpilot endete, als er ein Schwimmerflugzeug wie ein Landflugzeug aufsetzte. Es überschlug sich, ein Passagier wurde ins Wasser geschleudert, einer entkam durch die Maschinengewehrluke, einer, der nicht schwimmen konnte, wurde aus dem Wasser gezogen, er selbst war eingeschlossen und fand das Sterben, das ihm dann überraschenderweise doch erspart blieb, „in Wahrheit ... nicht halb so unangenehm, wie wir meinen”.

Viele seiner schönsten Passagen über das Fliegen schrieb er in den Jahren der Arbeitslosigkeit, am Kaffeehaustisch, ein Glas Wein oder Schnaps neben sich. Die Gesellschaft, für die er jahrelang Post von Frankreich nach Nordafrika und zurück transportierte, hatte ihn entlassen - niemand hatte bessere Pu-

blicity für sie gemacht, aber einige Stellen wurden als kritisch ausgelegt und übel genommen.

Um seinen chronischen Geldproblemen abzuhelfen, reiste er als Reporter nach Moskau und - während des Bürgerkrieges - nach Spanien. Wenn er nicht die richtigen Zigaretten hatte, konnte er nicht schreiben, und seine Berichte handelten oft nicht von dem, wovon sie handeln sollten, sondern von zwei alten Damen in Moskau, von einem schlafenden Kind im Zug. Die Geschichte vom schlafenden Kind wollte der Chef der Zeitung zuerst nicht drucken, er tat es, weil die Sekretärin bei der Aufnahme des Diktats heulen mußte, und das tat dann auch das Publikum. Saint-Exupery traf als Reporter den Nerv der Zeit.

Zeitalter der Buchhalter?

Einer Zeit, in der er sich gegen Ende seines Lebens, vor allem nach dem Absturz mehrerer Kameraden, nicht mehr heimisch fühlte. Er war Technik-versessen und liebte komplizierte Uhren, nicht aber mit Instrumenten vollgestopfte Cockpits. Die seien für Buchhalter und überhaupt sei der Buchhalter der Typ der Zukunft, befand er.

Um zu Geld zu kommen, wollte er den Geschwindigkeitsrekord Paris -Saigon von 98 Stunden und 52 Minuten um 20 Stunden unterbieten. Er hatte kein Funkgerät mit, daher konnte man ihm nicht mitteilen, daß er gegen einen ungewöhnlich starken Gegenwind anflog. Während er nachts nach den Lichtern von Kairo Ausschau hielt, raste er mit 250 Stundenkilometern gegen die Kuppe einer Sanddüne in der ly-bischen Wüste. Das Flugzeug rollte auf glücklicherweise in großer Zahl herumliegenden runden Steinen und wurde völlig zertrümmert, er und sein Begleiter blieben fast unverletzt. Uberzeugt, Kairo längst überflogen zu haben, marschierten sie 50 Kilometer nach Norden und dann nach Westen, wo Kairo liegen mußte (und dazwischen immer wieder zum Flugzeugwrack zurück), bis sich Saint-Exupery unwiderstehlich nach Nordosten gezogen fühlte -worauf sie wider alle Berechnung von Beduinen gerettet wurden. Auf die Frage nach seinen Empfindun-

gen antwortete er: „Man ist keiner Gefühlsregung mehr fähig. Gefühle brauchen Luftfeuchtigkeit!”

Das Drehbuch nach einem seiner Bücher forderte einen Start quer zur Senke zwischen zwei Sanddünen. Der Stuntpilot stieg aus und erklärte: „Selbstmord!” Saint-Exupery stieg ein und brachte das Flugzeug zentimetergenau über die Düne. Nachher wurde festgestellt, daß es von einem mit Sand bedeckten, schrägen Stein in die Höhe katapultiert worden war. Ob er diesen Effekt einkalkuliert oder bloß Glück gehabt hatte, blieb sein Geheimnis.

Wenige Jahre später gewann er beim Start in Guatemala City nicht schnell genug Höhe und kollidierte mit der Flughafenbegrenzung. Daß die Maschine nicht in Flammen aufging, grenzte an ein Wunder, die Unfallstelle war im weiten Umkreis benzingetränkt. Es war der einzige Unfall, den Exupery in keinem seiner Bücher erwähnte. Er hatte gewußt, daß das Flugzeug wegen der zu kurzen Piste nicht voll betankt werden durfte, dies auch seinem Mechaniker gesagt, aber die Tanks nicht selbst überprüft. Was der Mechaniker (der ebenfalls schwer verletzt wurde) nicht bedachte: Die US-Gallone faßte knapp vier Liter, die in Guatemala übliche britische fast fünf, sie hatten um ein Viertel zuviel Treibstoffgewicht.

Saint-Exupery überlebte mit einer schweren Gehirnschütterung und so-vielen Verletzungen und Brüchen, daß, nebst anderen, eine Fraktur der linken Schulter übersehen wurde. Als er 1939 einberufen wurde und auf Dienst in einer Aufklärungsstaffel bestand, verbarg er, daß er den linken Arm schon lange nicht mehr über Kopfhöhe heben konnte. Die jungen Flieger empfingen den 39-jährigen mit Zurückhaltung, doch verwandelte sich ihre Haltung schnell in Liebe und Bewunderung. Nach der Rückkehr vom ersten Aufklärungsflug in 10.000 Meter Höhe erklärte er allerdings, in seinem Schutzanzug überhaupt nicht gefroren zu haben - obwohl er vergessen hatte, ihn zu schließen. Wenige Monate nach der Kriegserklärung kamen 10 bis 20 deutsche Flugzeuge auf ein französisches, weshalb die Franzosen auf alles schössen, was flog, und einmal ums Haar Saint-

Exupery abgeschossen hätten.

Alles deutet darauf hin, daß er fünf Jahre später nicht nur aus Abneigung gegen die Nazis oder Liebe zu Prankreich und zum Fliegen auf immer weiteren Aufklärungseinsätzen bestand. Er hatte in der Zwischenzeit in New York gelebt und sich zwischen alle französischen Sessel gesetzt. Er war für keinerlei Fanatismus zu haben, nicht einmal im Kampf gegen Hitler, und er sah auf der Seite der Gaullisten nicht nur Idealisten und Patrioten und im besetzten Vichy-Frankreich nicht nur Verräter und Verbrecher am Werk.

Vereinsamt und enttauscht

Als er aus New York zu seiner nach Nordafrika verlegten Abteilung zurückkam, war er zwar berühmt und eine Art Nationalheld, fühlte sich aber enttäuscht, alt und verlassen. Die ihm liebsten Kameraden waren tot. Er hielt wenig von der Welt, die er heraufdämmern sah. Der Flug, von dem er nicht zurückkehrte, sollte der unwiderruflich letzte sein. Es war beabsichtigt, ihn am nächsten Tag in die alliierten Landungspläne einzuweihen, was ein sofortiges Startverbot und damit Sicherheit für Saint-Exupery bedeutet hätte. Daß er mit seinem Lightning-

Aufklärungsflugzeug ins Mittelmeer stürzte, gilt als sicher. Doch niemand weiß, wo und wie es geschah. Es war der Tod, den er sich gewünscht hatte. Plötzlich und nicht im Spital.

Kein Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts verbindet wie er das grundsätzliche Vertrauen in Technik und Fortschritt mit Humanität und Verantwortungsgefühl für Mensch und Natur und mit dem Erleben der Natur, keiner verband soviel grundsätzlichen Optimismus mit soviel Skepsis im Detail.

„Der kleine Prinz” ist eines der schönsten Bücher über Liebe und Partnerschaft. „Flug nach Arras” ist das bewegendste literarische Dokument aus der Zeit des besiegten Frankreich von 1940. Angeblich wurde es auch von den deutschen Berufskollegen des Autors mit Begeisterung gelesen, die deutsche Zensur strich nur einen einzigen Satz: „Hitler ist ein Idiot.” Nur über Saint-Exuperys letztes, sein aristokratisch-philosophisches Werk „Die Stadt in der Wüste” („Citadelle”) ist, vorerst, die Zeit hinweggegangen.

SAINT-EXUPERY

Eine Biographie. Von Stacy Schiff. Deutsch von Eva Brückner-Tuckwiller. Albrecht Knaus Verlag, München 1994. 670 Seiten, Ln, öS 5)1,-.

Ultima Irratio

Wer sich das antun will, kann den Zweiten Weltkrieg noch einmal durchleben: Dokumentiert von Monat zu Monat, jeweils mindestens eine Seite, meist mehrere, eine geballte Ladung Kriegsgeschehen, auf dem hohen Standard der Werke aus dem Bertelsmann Chronik-Verlag.

Nichts wird beschönigt, weder die Ausrottung der Bevölkerung von Lidice noch das Massaker von Oradour, Verantwortung seriös gewichtet, es ist ein absolut seriöses Buch. Und eines, dem man seine Existenzberechtigung bescheinigen kann, weil es sich durch die chronologische Struktur hervorragend als Nachschlagewerk eignet und frühere Gesamtdarstellungen durch Objektivität und Ausgewogenheit aussticht.

Als ultima ratio, letztes Mittel, galt einst der Krieg - Willy Brandt setzte dem das Wort von der ultima irratio entgegen. Es hätte gut auf den Einband gepaßt. TTB.-

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