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Wer wird jetzt „stillgelegt“?

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Zu den am meisten umkämpften Bestimmungen des ASVG-Entwurfes gehörten bekanntlich die Rentenstillegungsbestimmungen, die in ihrer ursprünglichen Form so hart und untragbar waren, daß die gesamte Oeffentlichkeit gegen sie Stellung nahm. Das führte auch zu dem Erfolge, daß man sie bei den Verhandlungen der Regierungsparteien im Juni fallen ließ und durch andere, weitaus mildere Bestimmungen ersetzte, die nunmehr einen Bestandteil des Regierungsentwurfes bilden, der am 20. Juli dem Nationalrat zugeleitet und sofort dem sozialpolitischen Ausschuß zugewiesen wurde. Dieser Ausschuß wird in diesem Monat den Entwurf noch einmal durchberaten und verbessern, worauf eine außerordentliche Parlamentssession in der ersten Septemberdekade ihn zum Gesetz erheben wird, womit sein Inkrafttreten mit 1. Jänner 1956 absolut gesichert erscheint.

Ein Fortschritt ist es vor allem, daß man nunmehr bei den Stillegungsbestimmungen einen Unterschied macht, je nachdem, ob die Rente vor oder nach dem Tage des Inkrafttretens des ASVG angefallen ist. Mit vollem Recht, denn die vorher angefallene und lediglich nach dem vorjährigen Rentenbemessungsgesetz errechnete Rente stellt ja zumeist nur einen Bruchteil des letzten aktiven Gehaltes des Rentners dar, während die Rente nach dem ASVG in Hinkunft nach einer 40jährigen Beitragsleistung etwa 72 Prozent des Höchsteinkommens bzw. der Bemessungsgrundlage des Rentenwerbers betragen wird. Damit erscheint aber auch die in den Entwurf neu aufgenommene Bestimmung gerechtfertigt, daß von nun an die Altersrente, die bekanntlich Männern mit dem vollendeten 65., Frauen aber mit dem vollendeten 60. Lebensjahr anfällt, nur dann zur Auszahlung gebracht wird, wenn der Bezugsberechtigte sein bisheriges Dienstverhältnis gelöst hat und aus der Versicherung abgemeldet worden ist. Man ist hier, wie auch sonst vielfach, dem Vorbild des Pensionsrechtes der öffentlichen Beamten gefolgt und will damit auch für die nachrückenden jüngeren Jahrgänge Platz schaffen. Niemand, der sozialpolitisch denkt, wird dieser neuen Bestimmung, die sich — es sei hier nochmals betont — nur auf künftige Rentenfälle bezieht, die Berechtigung versagen können.

Nun die sonstigen neuen Ruhebestimmungen, soweit sie bekannt sind! Während bis jetzt beim Bezüge einer Alters- oder Invaliditätsrente neben einer Unfallrente diese zur Hälfte ruhte, kann sie zukünftig in vollem Ausmaß bezogen werden. Verlor bisher ein Rentner, der auch nur das geringste Nebeneinkommen aus einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit bezog, bei Direktrenten 239; bei Hinterbliebenenrenten aber 147 S, so wird ihm in Hinkunft bei einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (Anstellungsverhältnis) — die selbständige bleibt in Hinkunft auf den Rentenbezug ohne Einfluß — ein Freibetrag von 500 S gegönnt, der nicht auf die Rente angerechnet wird; erst wenn das Nebeneinkommen den Freibetrag übersteigt, dann ruhen bei den bisherigen (Alt-) Rentnern 239 bzw. 147 S; bei den Neurentnern (solchen Personen, die nach Inkrafttreten des ASVG-Entwurfes be-rentet werden) ruht, wenn Rente und Nebeneinkommen 1300 S übersteigen, der Grundbetrag der Rente mit dem 1300 S übersteigenden Betrag; die Steigerungsbeträge müssen aber auch in diesem Falle voll zur Auszahlung gelangen. Auch den Pensionisten des öffentlichen Dienstes, die auch auf eine Rente Anspruch haben, wird, soweit sie schon dieselbe beziehen, der Freibetrag von 500 S zugestanden. Beim Uebersteigen desselben werden bei Direktrenten 239 S, bei Hinterbliebenenrenten 147 S zum Ruhen gebrächt. Bei Rentenanfällen an öffentliche Pensionisten nach dem Inkrafttreten des ASVG gibt es jedoch keinen Freibetrag, da erfolgen sogleich die Abzüge in der vorgenannten Höhe.

Es ist nun die Frage, welche praktische Bedeutung diesen Ruhcnsbestimmungen, soferne es sich um Rentenanfälle nach Inkrafttreten des neuen. Gesetzes handelt, überhaupt zukommt. Für Invaliditätsrentner kommen sie nicht in Betracht, denn diesen wird die Rente automatisch eingestellt, sobald sie wiederum irgendeine Erwerbstätigkeit beginnen. Altersrenten-Anspruchsberechtigte erhalten aber, wie oben angeführt, ihre Rente in Hinkunft überhaupt erst dann, bis sie aus ihrer Anstellung ausgetreten sind. So finden also die Stiilegungsbcstimmungen nur auf Hinterbliebenenrentner (Witwen und Waisen) Anwendung und für jene wohl ganz unwahrscheinlichen Fälle, daß der über 65 Jahre alte Arbeitsrentner noch irgendwo eine neue Anstellung finden sollte. Was aber die Rentenanfälle vor dem Inkrafttreten des ASVG anbelangt, also jene Renten, die nicht erhöht werden und auch weiterhin durchschnittlich nur 650 S monatlich betragen, da gibt es doch nur die einzige Lösung, hier von allen Still-legungsbestimmungen überhaupt abzusehen und ihren Beziehern volle Bewegungsfreiheit zu gewähren.

Die beiden Regierungsparteien haben wiederholt betont, sie seien grundsätzlich gegen jede Rentenstillegung, und Nationalrat Hillegeist, der ja voraussichtlich im Nationalrat die Berichterstattung über die ASVG-Vorlage übernehmen wird, betonte erst vor kurzem in einer Grazer Angestellten- und Rentnerversammlung, es sei, sehr zu bedauern, daß das neue Gesetz für alle schon vorher angefallenen Renten, also für die nunmehr neu geschaffenen Altrentner, keine Besserstellung bringe; er werde sich aber jederzeit bemühen, für sie noch etwas zu erreichen. Wohlan — hier ist Gelegenheit dazu geboten.

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