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West-Ost-Aktion

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Im Monat Juli sind im Nahen Osten mehr Hürden überwunden und bisher unantastbare Tabus aus dem Wege zu einer friedlichen und gerechten Lösung geräumt worden als in all den Jahren seit dem Beginn der zionistischen Landnahme in Palästina. Von Präsident Nassers geheimnisvollem Aufbruch nach Moskau über seine Friedensrede vom 23. Juli und die Überwindung des irakischen und palästinensischen Widerstandes bis zum Einlenken Israels am Monatsende waren die ganzen Vorgänge so unglaublich und phantastisch erschienen, daß mehr als ein Beobachter nur an einen diplomatischen Schachzug oder anderweitige Tricks glaubte, hinter deren Seifenblasen von Stunde zu Stunde die kriegerische Wirklichkeit an Kanal und Jordan, im Golan und Südlibanon aufplatzen müßte.

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Im Monat Juli sind im Nahen Osten mehr Hürden überwunden und bisher unantastbare Tabus aus dem Wege zu einer friedlichen und gerechten Lösung geräumt worden als in all den Jahren seit dem Beginn der zionistischen Landnahme in Palästina. Von Präsident Nassers geheimnisvollem Aufbruch nach Moskau über seine Friedensrede vom 23. Juli und die Überwindung des irakischen und palästinensischen Widerstandes bis zum Einlenken Israels am Monatsende waren die ganzen Vorgänge so unglaublich und phantastisch erschienen, daß mehr als ein Beobachter nur an einen diplomatischen Schachzug oder anderweitige Tricks glaubte, hinter deren Seifenblasen von Stunde zu Stunde die kriegerische Wirklichkeit an Kanal und Jordan, im Golan und Südlibanon aufplatzen müßte.

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Daß die feindlichen Nachbarn Ägypten, Jordanien und Israel dem Waffenstillstand nicht nur ernsthaft zugestimmt, sondern ihren Entschluß auch standhaft durch eine Welle innerer und äußerer Kritik aufrecht erhalten haben, so daß UN-Vermilt-ler Gunnar Jarring inzwischen schon zur Vorbereitung der Einzelheiten des Friedensplanes schreiten konnte, hat gründlich mit den Schablonen vom kriegerischen Wüterich Nasser und der gefährlichen Unterstützung der Sowjetunion für die Araber aufgeräumt, wie sie seit Jahren zu den vereinfachenden, daher verwirrenden Vorstellungen des Westens zählten.

Die Friedensbereitschalt Präsident Nassers kann zur Stunde weniger denn je als das Ereignis einer inneren Notlage oder einer Intervention von außen betrachtet werden. Die ägyptische Wirtschaftslage ist sogar etwas besser als in den Jahren vor dem Krieg von 1967, und das Wiederaufleben der seit damals ausgesetzten Verstaatlichungs- und Kontrollmaßnahmen auf dem Agrar-,Großhandels- und Banksektor ist mehr Gleichziehen mit der raschen Sozialisierung bei den Föderationspartnern Sudan und Libyen als ökonomische Torschlußpamik. Noch viel rosiger sieht es auf dem militärischen Sektor aus, wo sich die VAR nicht mehr vor der israelischen Luftwaffe zu fürchten braucht und in aller Ruhe abwarten könnte, bis das eigene Landheer stark genug und die Aufrüstung der anderen arabischen Staaten weit genug, gediehen ist, um einen Krieg riskieren zu können. Auf der anderen Seite waren weder der amerikanische Plan verlockend genug, noch die letzten, recht araberfeindlichen Ausführungen Präsident Nixons psychologisch das Richtige gewesen, um Nasser versöhnlich zu stimmen, wenn er . nicht schon vorher, wohl schon seit 1967 grundsätzlich zu einer politischen Lösung bereit gewesen wäre. Zu seiner Erklärung muß paradoxerweise an erster Stelle das militärische Erstarken der VAR herangezogen werden. Nasser hatte wiederholt betont, daß er sich keinen Frieden diktieren lassen wolle, und darauf wären ja alle Verhandlungen hinausgelaufen, solange Israel neben dem Faustpfand in Sinai auch noch über den Trumpf seiner Bombenflüge ins Herz Ägyptens verfügte. Jetzt, da die israelischen Einflüge wenige Kilometer hinter dem Kanal im Abschußsystem der sowjetischen SAM-Raketen hängen bleiben, braucht sich Nasser weder von seinem Volk, das im Stillen ohnedies den Frieden will, noch von den jungen Heißköpfen in Damaskus, Aden und Algier den Vorwurf der Kapitulation machen zu lassen, wenn er auf Befriedungskonsultationen eingeht. Außerdem hat die Unterstützung Ägyptens durch Libyen und den Sudan Nasser erst jetzt die Basis gegeben, auf der er notfalls auch ohne Unterstützung der untereinander zerfallenen und im Inneren von den Palästina-Partisanen aufgewühlten astarabischen Staaten eine Lösung ansteuern und auch durchsetzen könnte.

Daneben ist natürlich die Geburtshilfe nicht zu unterschätzen, die in Moskau während des dreiwöchigen Nasser-Besuches dem Zustandekommen dieser Entspannungsoffensive für den Nahen Osten geleistet wurde. Man hat lange in den sowjetischen Waffenlieferungen an Kairo und Damaskus den einzigen Beitrag Moskaus zum Palästinaproblem erblickt, und um so größer war jetzt das Erstaunen vieler „kalter Krieger“, als Nassers versöhnliche Geste von der sowjetischen Führung ganz entschieden unterstützt wurde. Sicher ist die Sowjetunion stark an einer Wiedereröffnung des Suezkanals interessiert, die ihrer Flottem-position im Mittelmeer sehr zu statten käme. Aber es ist für die Strategen der Roten Armee mindestens ebenso interessant, die eigenen Waffen am Suezkanal mit den letzten amerikanischen Rüstungsspitzen auf der israelischen Seite zu messen. Dies ist den Russen nun sofort von den im arabischen Raum präsenten Chinesen angekreidet worden. Pekings Botschafter und die Büros der Agentur „Neues China“ sammelten von Bagdad bis Algier in fieberhafter Eile „Beweismaterial“ dafür, daß die „Sowjetunion Ägypten zum Verrat am palästinensischen Volksbefreiungskrieg gezwungen habe“. In der Hoffnung, sich im Nahen Osten auf Kosten der arabisch-sow-jetüschem Freundschaft wieder fester einnisten zu können, verbrüderten sich die Sendboten Maos sofort mit jenen Splittergruppen des extremen palästinensischen Widerstandes, die jeden Frieden ablehnen und zumindest in Jordanien durch Kundgebungen und Unruhen die Ausweitung des ägyptischen Friedensangebotes auf Israels Ostflanke zu verhindern suchten.

Daß ihnen das bisher offenbar noch nicht gelungen ist, kann als gutes Vorzeichen für die weiteren Entspannungsschritte gewertet werden. Wie im europäischen Bereich in der Deutschlandfrage, sind von Nasser jetzt auch im Nahen Osten erstmals ungeschriebene Gesetze der Feindseligkeit durchbrochen worden, und hier wie dort bahnt sich eine begrenzte Aktionsgemeinschaft von Ost und West an, die den betroffenen Völkern nur zum Vorteil gereichen kann. Worauf diese Aktion zwischen West und Ost im letzten freilich beruht, wird erst die Zukunft zeigen. (Siehe auch den Beitrag unseres Israel-Korrespondenten Shraga Har-Gil / Tel Aviv auf Seite 8.)

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