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Westungarn — Burgenland

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Zu dem unter dem Titel „Das verschacherte Burgenland” in der „Furche” vom 17. Februar veröffentlichten Beitrag von Ihr. Rennhofer sei auf Grund von Dokumenteneinsicht im österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv das Problem der österreichisch-ungarischen Verhandlungen über das Burgenland noch ergänzt.

In einer Note Dr. Gratz’ an Doktor Renner1 vom 14. Februar 1920 teilte der ungarische Gesandte dem Staatskanzler, der gleichzeitig das Staatsamt für-Äußeres leitete, mit, daß er nun offiziell von der ungarischen Regierung beauftragt sei, die künftige staatliche Zugehörigkeit dieses westungarischen Streifens, der seit dem Friedensvertrag von St-Ger- main ein Element der Zwietracht sei, auf neuer Basis zu verhandeln.

Die ungarische Regierung wäre bereit, unter Verzicht auf ihre historischen Rechte, die Entscheidung über die künftige staatliche Zugehörigkeit der Bevölkerung frei von jedem Zwang zu übertragen; allerdings müßte sich die österreichische Regierung — bei gleicher Erklärung — dem Ergebnis der Volksabstimmung unterwerfen. Für den Fall des Verbleibens bei Ungarn würden die Interessen der deutschen Bevölkerung auf gesetzlichem Wege sichergestellt. „Ungarn ist des weiteren bereit, der deutschen Bevölkerung Westungarns zur Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten eine weitgehende Autonomie zu gewähren, welche ihren deutschen völkischen Charakter für alle Zeiten sicherzustellen geeignet ist.” Schließlich werde das künftige wirtschaftliche Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn auf der Grundlage des völlig freien gegenseitigen Handelsverkehres abgewickelt, wobei Österreich seine wirtschaftlichen Bedürfnisse nicht nur auf Westungarn, sondern auf ganz Ungarn stützen könnte.

Es ergeht an die österreichische Regierung die Einladung, das Problem auf dieser ganz neuen Basis zu regeln.

Staatskanzler Dr. Renners Erwiderung

Auf diese Note des ungarischen Gesandten antwortete Dr. Karl Renner am 19. Februar 1920:

Das deutsche Volk habe sich mit Einmütigkeit zum reinen Nationalstaat bekannt und die Beherrschung eines fremden Volkes abgelehnt, ja sogar deren müdeste Form, die Autonomie. Eine Autonomie könne nur für „versprengte oder eingeschlossene Minderheiten in Betracht kommen”, nicht jedoch für in geschlossenen Siedlungsgebieten zusammen wohnende Völker; diese hätten ein Recht auf eigene Staatlichkeit, Obzwar der Friedensvertrag von St-Germain dieser Rechtsauffassung in vielen Punkten nicht Rechnung trage, sei die geschlossene, ununterbrochene, uralte Siedlungs- einheit der deutschen Haidbauern unbestritten.

Für Wien, Niederösterreich und Graz sei das westungarische Gebiet aus geographischen, wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Gründen unbedingt nötig. Obwohl diese Gründe nicht an erster Stelle zu setzen seien, würden sie dennoch die nationale Auffassung Österreichs unterstreichen.

Österreich habe nie an eine gewaltsame Besetzung gedacht, sondern an den Schiedsspruch der großen Mächte appelliert und auf Vollzug des gefällten Spruches gewartet. Dann wird die augenblickliche Situation erörtert

Die völkerrechtliche Grundlage

Der Friedensvertrag von St-Ger- main sei die völkerrechtliche Grundlage des Staates, daher sei Deutschwestungarn de jure ein Bestandteil Österreichs. Und über eine Sache, die einem gehöre, könne man doch nicht verhandeln.

„Es ist, wie die alle Zweifel ausschließende Note des Obersten Rates vom 16. Dezember 1919 dartut, diese Regelung nicht nur unser, sondern der Wille aller Mächte, den ein einseitiger Willensakt von uns gar nicht aus der Welt schaffen könnte.”

Es bestehe die Absicht, daß Burgenland als eigenes Land zu konstituieren, und zusammen mit den übrigen deutschen Alpenländern würde ein Bundesstaat nach Schweizer Muster gegründet werden. Im freien Burgenland werde jeder Nichtdeutsche volle Freiheit genießen. Aus diesen Gründen möge sich Ungarn spontan entschließen, der Bedrückung der deutschen Bevölkerung ein Ende zu machen. Auf dieser Grundlage sei Österreich sofort bereit, über die Durchführung des Friedensvertrages von St-Germain zu verhandeln. Des weiteren strebe Österreich, ebenso wie Ungarn, einen völlig freien gegenseitigen Organisationen sowie die politischen Parteien selbst eine Lösung des Problems zu erreichen. So liegt im Staatsarchiv ein Bericht auf, in dem von einer Massenversammlung zum Zwecke eines sofortigen Anschlusses Deutschwestungarns an Österreich die Rede ist. Diese Versammlung, die am 17. Juli in der Volkshalle des Wiener Rathauses in Anwesenheit aller politischen Parteien, nämlich der Christlichsozialen, der Deutschnationalen und der Sozialdemokraten, unter der Leitung von Professor Dr. Alfred Walheim stattfand, sandte eine Entschließung an die Reparationskommission.

In einem Interview, das Doktor Renner dem Londoner „Daily Herald” am 16. März 1920 gab, spiegelt sich auch Parteipolitik. Es heißt dort unter anderem: „Wir waren nicht in der Lage, auf diesen Vorschlag (Note des ungarischen Gesandten Dr. Gratz vom 14. Februar 1920) einzugehen. Die Gründe hierfür waren in unserer Antwortnote ausgeführt. Außer den sachlichen und prinzipiellen Bedenken, die gegen die von Ungarn propagierte Lösung sprechen, hat bei unserer Antwort — wie ich ollen sagen will — auch der Umstand mitgewirkt, daß wir dem gegenwärtigen ungarischen System nicht das volle Vertrauen entgegenbringen können, das notwendig wäre, wenn aus Verhandlungen dauerhafte Lösungen hervorgehen sollen.”

Angesehene christlichsoziale Politiker (Bürgermeister Weißkirchner, Landeshauptmann Dr. Rintelen) verhandelten in Budapest und schienen, auf Grund der politischen Sympathien für das damals in Ungarn herrschende Regime, einige Zusagen gemacht und erhalten zu haben. Die Entwicklung zeigte jedoch, daß es nur bei Gesprächen geblieben war.

In einem telephonischen Bericht der österreichischen Gesandtschaft in Budapest an das Außenamt in Wien4 teilt Cnobloch mit, daß man in Budapest in offiziellen Kreisen noch immer glaube darauf rechnen zu dürfen, das Problem im Wege von Verhandlungen zu lösen. Hierbei hoffe man offenbar, daß sich Österreich gegen politische und wirtschaftliche Konzessionen bereit finden werde, wenigstens auf einen Teil des fraglichen Gebietes zu verzichten: „Der Ausgang der österreichischen Wahlen (Herbstwahlen 1920, bei der die Christlichsozialen Stimmengewinne erzielten) hat diese Hoffnung anfangs noch verstärkt; die jüngste diesbezügliche Kundgebung vom christlichsozialer Seite hat daher hier einigermaßen enttäuscht.”

Obwohl mannigfache Besprechungen bezüglich Westungarns stattgefunden haben, kam es nicht zu der von Ungarn gewünschten Lösung. Die im Dezember 1921 erfolgte Scheinabstimmung in Ödenburg steht mit diesem hier aufgezeigten Problem nicht im Zusammenhang.

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