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Widerstand war nicht geplant

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Vor 50 Jahren wurde Ungarn von Hitler-Deutschland militärisch besetzt. Die Deutschen setzten auf Kollaborationsbereitschaft.

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Vor 50 Jahren wurde Ungarn von Hitler-Deutschland militärisch besetzt. Die Deutschen setzten auf Kollaborationsbereitschaft.

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Am 23. September 1943 ließ Joseph Goebbels in seinem Tagebuch in bezug auf den Frontwechsel Italiens vermerken: „Was nun die Verratsmöglichkeiten bei den anderen Sa-teUitenstaaten anbelangt, so möchte Horthy zwar gern abspringen: aber der Führer hat schon die nötige Vorsorge dagegen getroffen!"

Ungarn und Deutschland hatten während des Zweiten Weltkrieges kein Militärbündnis miteinander geschlossen. Zwar wurde Ungarn, wie manche europäische Staaten im Schatten des Großdeutschen Reiches, Mitglied des Antikomintem-und später des Dreimächte-Paktes, aber entgegen der hier eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Deutschland (die sehr vage formuliert waren), ersetzten diese Verträge kein Militärbündnis mit Berlin, so wie dies im Ersten Weltkrieg der Fall war. Ungarn konnte somit seine staatliche Souveränität - eigentlich bis zum 19. März 1944 - gegenüber Deutschland bewahren.

Im Jänner 1944 begann in Ungarn insgeheim die Mobilisierung der Ersten Armee. Sie sollte den Karpatenschutz übernehmen. Die Rote Armee stand damals kaum 120 Kilometer vor der Grenze Ungarns. Horthy verfaßte einen Brief an Hitler, in dem er die Rückführung der ungarischen Besatzungsdivisionen aus der Ostfront zwecks Heimatverteidigung forderte. In Berlin machte man vorerst gute Miene zum bösen Spiel der Ungarn, obwohl alle antideutschen Maßnahmen in Budapest sorgfältig registriert wurden. Aber man war sowohl militärisch als auch wehrwirtschaftlich daran interessiert, daß Ungarn ja nicht dem Beispiel Italiens folgen sollte. Daher gab Hitler bereits Anfang September 1943 Anweisung, Pläne für eine militärische Besetzung Ungarns vorzubereiten.

IN EINEM WIENER NOBELHOTEL

Unter dem Decknamen „Margarethe" begann das OKW Ende September 1943 mit der Ausarbeitung der Operationspläne. Man rechnete kaum mit einem ernsthaften ungarischen Widerstand, denn über den Stand der Honved-Armee war man sich in Berlin im klaren. Hitlers politisches Konzept lief darauf hinaus, die konstitutionelle Ordnung Ungarns weitgehend unangetastet und das Land formal als selbständigen Staat, in dem sich „auf ungarischen Wunsch" zeitweilig deutsche Truppen aufhalten, bestehen zu lassen.

Seit Ende Jänner 1944 wurden deutsche Truppen für das „Unternehmen Margarethe" bereitgestellt. Aus Belgrad, Zagreb, Wien und Krakau sollten acht Divisionen schlagartig Ungarn besetzen. Als OB dieser Streitmacht von etwa. 120.000 Mann wurde Generalfeldmarschall Freiherr Maximilian von Weichs vorgesehen. Er hatte ursprünglich sein Hauptquartier als OB Südost in Belgrad. Anfang März 1944 mußte er incognito nach Wien kommen und -in einem Nobelhotel „versteckt" -, auf die Stimde „X" warten. Dienststellen der SS und des SD wurden mobilisiert und für ihre Aufgabe „irgendwo auf dem Balkan" (die meisten dachten dabei an Bulgarien) in der „Ostmark" bereitgestellt.

Generalleutnant Szilärd Bakay, Korpskommandant in Szombathely (West-Ungarn) sah den Emst der Situation. Er depeschierte nach Budapest zum Generalstab: „Hinter uns stehen die Russen, über uns fliegen gegen Wien die anglo-amerikani-schen Bomberpulks, vor uns befinden sich deutsche Divisionen. Erbitte klare Befehle was zu machen sei!"

Die Antwort blieb aus.

Dagegen traf am Abend des 15. März 1944 ein Brief Adolf Hitlers in Budapest ein. Der deutsche Botschafter händigte diesen trotz später Stunde dem Reichsverweser aus. Er war in liebenswürdigem Ton geschrieben worden. Hitler bat das ungarische Staatsoberhaupt, ihn bereits am 18. März in Kiesheim bei Salzburg zu besuchen. Man könne dann dort unter anderem auch über die ungarischen Truppen an der Ostfront Gedanken austauschen.

Am 17. März reiste Horthy mit seinem Außenminister und Verteidigungsminister nach Salzburg ab. Im Zug war auch der Generalstabschef anwesend. Keiner von den hohen Herren hatte eine Ahnung, daß Generalfeldmarschall von Weichs schon am 12. März den Einsatzbefehl seiner Truppen gegen Ungarn erhalten hatte und am 16. März der Schweizer Gesandte in Budapest nach Bern die Meldung übermittehi ließ: „Erfahre geheim, aber nicht aus offizieller Quelle, daß deutscher Einmarsch in Ungarn in nächsten Tagen bevorsteht. Aufmarsch etwa sieben Divisionen sei bereits abgeschlossen. Ungarischer Widerstand kaum zu erwarten ..."

Was sich dann am 18. März im Schloß Kiesheim zwischen der deutschen und ungarischen Führung abspielte, war ein Staatsdrama mit mehreren Akten. Hitler war barsch, sprach von „ungarischem Verrat" und teilte dem wutentbraimten Horthy mit, deutsche Truppen seien bereits unterwegs, Ungarn zu besetzen. Horthy in seinen Memoiren: „Wenn ich einen Revolver gehabt hätte, hätte ich den Kerl glatt erschossen!" Er unterbrach die Verhandlung, wollte von Hitler keine Argumente hören und verlangte - naiverweise -seinen Zug, um sofort nach Budapest zurückzukehren. Deutsche und ungarische Vermittler versuchten die beiden Kontrahenten nach einer Ruhepause wieder an den grünen Tisch zu führen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde ein Kompromiß geschlossen. Dieser lautete: Horthy Jeibt weiterhin als Staatsoberhaupt im Amt. Eine neue „deutschfreundliche" Regierung werde dafür sorgen, daß Ungarn den „gemeinsamen Krieg" mit verstärkten Anstrengun-Ten an der Seite des Großdeutschen \eiches fortsetzt und die ungarische Armee den Invasionstruppen keinen Widerstand leistet. Dafür räimite Hitler Horthy das Recht ein, den neuen Ministerpräsidenten - gemeinsam mit dem neuen Gesandten in Ungarn, Edmund Veeserunayer, -selber zu wählen und (was für Hörthy das wichtigste war) er gab auch sein Wort: Wenn in Ungarn alles nach dieser Abmachung stattfindet, werden die Besatzungstruppen nach drei Monaten abgezogen. Auch ein demonstrativer Flug der deutschen Luftwaffe über Budapest sollte nicht stattfinden.

In frostiger Stimmxmg erfolgte am Abend des 18. März die Rückreise Horthys nach Budapest. Der Zug wurde mehrmals gestoppt: der deutsche Einmarsch begarm bereits in der Nacht des 18. März. Man wollte verhindern, daß Horthy und sein Gefolge noch vor den Truppen die Hauptstadt erreichten.

Heute weiß man, daß die hohe Generalität selbst nicht bereit war, auch wenn dafür die Mittel vorhanden . gewesen wären, Ungarn militärisch zu verteidigen. Nicht nur die Freundschaft zu Deutschland, sondern auch die Angst vor den Sowjets beeinträchtigte ihre Handlungsweise. Sie hofften, Horthy werde die Lage meistern, und begaben sich rasch von der Burg in ihre Wohnungen.

Budapest erwachte am 19. März 1944 damit, daß auf den Straßen deutsche Truppen marschierten. SD-Vorkommandos begannen sofort mit der Verhaftung „reichsfeindlicher" Politiker und Gewerkschafter. Sie kamen mit gut vorbereiteten Namenslisten imd holten ihre Opfer meist aus dem Bett. Einzig und allein der Abgeordnete der Kleinland-wirtepartei und glühende Hitler-Gegner, Endre Bajcsy-Zsilinszky, heß sich nicht ohne Widerstand entführen. Er heferte den SD-Leuten, die gekommen waren, ihn zu verhaften, ein Schußgefecht. Schließlich unterlag er den Deutschen. Verwundet wurde er in den PKW des SD gezerrt. Mit letzter Kraft rief er den Passanten zu: „Es lebe das freie Ungarn! Verteidigt unsere Unabhängigkeit!" Kein Mensch half ihm.

Es ist eine historische Tatsache, daß die Bevölkerung von Ungarn die Besetzung Ungarns mit einer Gleichgültigkeit ohne Beispiel zur Kermtnis nahm. Eine Widerstandsbewegung formierte sich erst Mitte Mai 1944, und auch dann nur „sachte". Die Kommunisten blieben still.

Auf Horthy lag eine schwere Last. Die Regierung mußte neu gebildet werden, wobei Horthy den Versuch des mit Vollmacht ausgestatteten deutschen Gesandten Veesenmayer zurückwies, „seinen Mann", Bela Imredy zum Ministerpräsidenten zu machen. An dessen Stelle ließ der Reichsverweser Generaloberst ä. D. Dome Sztojay rufen, den lan^ähri-gen Gesandten Ungarns in Berlin, einen Hitler total ergebenen Mann. Mit Genehmigung von Veesenmayer machte er ihn zum Ministerpräsidenten. „Du bist Soldat. Mir verpflichtet. Ich werde Dein Wirken beobachten. Und eines Tages, wenn die Zeit reif ist, befehle ich Dir, Deinen Rücktritt zu unterzeichnen", sagte der Reichsverweser bei einer Audienz Sztojay im Schloß. „Nach dem Krieg bekommst Du in Budapest ein Denkmal - als Zeugnis Deiner Treue zu mir!" Sztojay wurde als Kriegsverbrecher im August 1946 gehängt.

„ENDLÖSUNG" MIT EICHMANN

Veesenmayer residierte in seiner Villa auf dem Gellert-Berg wie ein Vize-König. Seine Devise „Alles mit und durch die Ungarn machen zu lassen", wurde mit Erfolg praktiziert. Die neuen Männer, aber auch die alten Beamten, führten die Verordnungen der Regierung widerstandslos durch. Das Wirtschaftsleben vmrde nach deutschem Muster reorganisiert: die Arbeitszeit verlängert, ein strenges Regiment in den Rüstungsbetrieben eingeführt. Veesenmayer war hierbei die treibende, alles kontrollierende Kraft. SS-Obergruppenführer und General der Polizei, Otto Winkelmann, sorgte für die irmere Ordnung im Lande. Bereits Ende März erschien Adolf Eich-mann mit einem kleinen Stab, der die Aufgabe hatte, die letzte geschlossene jüdische Enklave in Europa für die Hitlersche „Endlösung" vorzubereiten.

Von Ende April bis Mitte Juni 1944 wurden mehr als 450.000 (von insgesamt 800.000) Juden aus Ungarn in die Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau abtransportiert.

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