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Wie hast du’s mit der Disziplin?

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In vielen Armeen war es durch Jahrhunderte Sitte und ist es in vielen Fällen auch heute noch üblich, Garderegimenter und auch Gardedivisionen zu führen. Diese Truppen zeichneten sich im Frieden durch das gefällige Aussehen ihrer ausgesucht großen Männer und durch deren besondere Disziplin und Strammheit aus. Bemerkenswert aber ist, daß diese Gardetruppen nicht nur auf Paraden hervorstachen, sondern auch im Kriege gewöhnlich in den schwierigsten Lagen eingesetzt wurden und sich auch dort überdurchschnittlich gut schlugen. Daß dies nicht allein auf körperliche Größe zurückzuführen ist, liegt auf der Hand, denn Zähigkeit und Tapferkeit beruhen nicht auf Zentimetern. Auch der Herkunft nach bestand kein Unterschied, denn sie kamen aus denselben Stadt- und Landbezirken und waren Arbeiter-, Bauern- und Bürgersöhne. Der Unterschied lag und liegt noch immer in jener Disziplin, die die Garden bereits im Frieden über andere Truppen setzte und sich dann im Kriege weiterbewährte.

Es ist bezeichnend für das alte Oesterreich, daß es Garden dieser Art nicht kannte und für die ganze Armee ein gleichhoch gesteckter Standard für Disziplin gefordert wurde, der es dieser aus vierzehn Nationen bestehenden Armee ermöglichte, vier Jahre lang gegen eine Ueber- macht von Feinden auszuharren. Diese Disziplin wurde auch — kurz unterbrochen durch das Zwischenspiel der Volkswehr — auf das Bundesheer der Ersten Republik übertragen, dessen Angehörige schon durch ihr Auftreten in und außer Dienst, aber auch durch ihren Einsatz in einer politisch wirren Zeit den Wert dieser Disziplin unter Beweis stellten. Und es ist auch bekannt, daß das Heer, trotz politischer Unterminierung und Infiltrierung, im Jahre 1938 bereit gewesen wäre, Oesterreich zu verteidigen. Denn es ist gerade in Zeiten ärgster körperlicher und seelischer Not sowie in der Zeit des Gewissenskonfliktes allein die Disziplin, die über Sein oder Nichtsein des einzelnen Mannes, seiner Truppe und letzten Endes seines Vaterlandes entscheidet.

Das neue Bundesheer hat gerade in bezug auf die Disziplin seine Existenz unter den schwierigsten Bedingungen begonnen. Und auch heute spielt sich hier ein innerer Kampf ab, dessen Ende noch nicht abzusehen ist und dessen Ursache in zwei verkannten Begriffen liegt: dem verkannten Begriff der Disziplin selbst und dem verkannten Begriff der Demokratie. Wird einerseits Disziplin mit Schleifer-Platzek, „Maskenball”, Singen unter der Gasmaske und sonstigen Schikanen verschiedener Unteroffiziere der ehemaligen deutschen Wehrmacht verwechselt, so glaubt man anderseits, daß Demokratie ein Hartanfassen der Soldaten nicht gestattet. Und es kann hier der Sozialistischen Partei der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß es einzig und allein Schuld ihrer zuständigen Politiker ist, wenn das Heer trotz guten Waffen und trotz guter fachlicher Ausbildung nicht zu dem Instrument der Landesverteidigung werden wird, das es werden sollte und auch werden könnte.

Denn es sind gerade diese Politiker, die den Schleifer-Platzek dort sehen, wo anständige österreichische Offiziere und Unteroffiziere bemüht sind, Soldaten zu schaffen, die den körperlichen und seelischen Bedingungen des Kampfes gewachsen sind.

Was ist aber die weitere Folge dieser Haltung? Offiziere und Unteroffiziere lassen vielfach Mängel durchgehen, weil sie selbst nicht sicher sind, in welcher Form sie diese korrigieren sollen. Greifen sie härter zu, kann sie das in die größten Schwierigkeiten bringen. Versuchen sie es in milder, erklärender Form, wird e i n Soldat den Grund der Rüge einsehen und entsprechend handeln, und zehn werden keine Notiz davon nehmen, weil ihnen „sowieso nichts passiert”. Und es beginnen sich Zeichen dieses Verfalls zu zeigen. Sichtbar nicht nur für den Fachmann, sondern auch für die Bevölkerung, die gerade in dieser Hinsicht manchen Politikern geistig weit voraus ist, auch wenn sie oft aus Gründen der Parteipolitik die gleichen Politiker wählt. Denn die Bevölkerung weiß und fühlt, teils aus gesundem Haus verstand, teils aus eigener Erfahrung und Ueberlieferung, daß ein Heer nur dann Sinn und Zweck hat, wenn es durch entsprechende Disziplin zusammengehalten wird. Die Bevölkerung vergleicht, vor allem in kleineren Garnisonsstädten, wo der Soldat mehr im Blickfeld ist, soweit noch bekannt, mit der k. u. k. Armee, mit dem Bundesheer, mit der deutschen Wehrmacht und auch mit der Besatzungsmacht. Und in allen diesen Fällen ist das Ergebnis — selbst in Ostösterreich — für das junge Bundesheer nicht immer positiv. Es wird nicht vergewaltigt und geplündert, es wird auch nicht sinnlos herumgeschossen, aber man sieht betrunkene Soldaten mit offenen Blusen, ohne Kappe und Leibriemen. Es gibt Schlägereien und es kommt auf offener Straße zu Widersetzlichkeiten gegenüber Ranghöheren. Die Zivilbevölkerung sieht es und zieht ihre Schlüsse. Sie will im Heer ihren Verteidiger sehen. Werden das die Verteidiger sein, wenn Gefahr droht? Sie will im Heer aber auch den Erzieher für die Jugend sehen. Wird dieses Heer aus Schlurfen und Halbstarken anständige Burschen machen? Die Zivilbevölkerung beschleichen mitunter Zweifel.

Aber auch die Soldaten selbst wissen um die Notwendigkeit der Disziplin. Ein Soldat des Gardebataillons erklärte einmal gesprächsweise, daß er von den Pfadfindern her eine wesentlich härtere Disziplin gewohnt sei. Und seitens aller Dienstgrade des Bundesheeres hört man allgemein, daß die überwältigende Mehrheit der Soldaten straffer Disziplin nicht ablehnend gegenüberstehen. Nur einige wenige wollen diese Disziplin nicht, und gerade diese wissen, wie sie einen Vorgesetzten in Schwierigkeiten bringen können, wenn seine Maßnahmen nicht dem verkannten Begriff der Demokratie entsprechen.

Wie soll nun gehandelt werden, um dem Verfall der Disziplin rechtzeitig Einhalt zu gebieten? Zunächst wird es notwendig sein, entsprechende

Vorschriften zu schaffen. Man hat großzügig die von alten, erfahrenen Offizieren redigierte Dienstvorschrift des ersten Bundesheeres zunächst wegen einiger altmodischer Ausdrücke verulkt und dann zusammengestrichen. Das Resultat war ein Heftchen voller Allgemeinheiten, in dem die konkreten Vorschriften für das disziplinäre Verhalten der Soldaten fehlen. Diese sollten gesondert herauskommen. Es scheint hier noch nicht viel geschehen zu sein.

Weiter wird es notwendig sein, mehr Augenmerk auf Reinlichkeit der Soldaten und der Unterkünfte zu legen. Solange Haare bis über den Kragen, unrasierte Gesichter, schmutzige Fingernägel, ungeputzte Schuhe, urigebügelte Hosen usw. geduldet werden und solange Kasernenzimmer und vor allem Waschräume und Klosette nicht tadellos blitzblank sind, fehlt es an der Grundlage der Disziplin. Diese Sauberkeit hat sich dann weiter zu erstrecken auf Waffen und Fahrzeuge.

Sodann muß die Anschauung, daß Exerzieren Zeitverschwendung und in unserer Zeit unangebracht ist, zu Fall gebracht werden. Denn jene Disziplin, die auf dem Exerzierplatz gelernt wird, entscheidet auf dem Schlachtfeld über Sieg oder Niederlage. Das Exerzieren gibt dem Soldaten außerdem Haltung und damit Selbstbewußtsein. Er erreicht durch sein strammes Auftreten bei der Zivilbevölkerung ein Gefühl der Anerkennung und des Vertrauens. Ebenso wesentlich ist die Grußpflicht und deren strenge Einhaltung. Denn das Grüßen des Ranghöheren ist das äußere Zeichen der Anerkennung seiner

Befehlsgewalt, und das Grüßen des gleichrangigen Kameraden das Zeichen der Zusammengehörigkeit.

Diese, zum Teil vielleicht auf Aeußerlich- keiten aufgebaute Disziplin erhält aber ihren inneren Wert dann, wenn auch in schwierigster Lage der Befehlsgeber davon vollkommen überzeugt sein kann, daß sein Befehl ausgeführt wird, und der Befehlsempfänger aus dem Gefühl der eingeübten Disziplin heraus bereit ist, alle Hindernisse zu überwinden und jeder Gefahr zu begegnen, um den Befehl auch tatsächlich auszuführen. Denn wenn diese Disziplin auch nicht zum sogenannten „Kadavergehorsam” führen darf, so gibt es im Ernstfall immer wieder Lagen, die kein Lieberlegen, sondern nur das Gehorchen erlauben.

Die Offiziere und Unteroffiziere des Bundesheeres werden sorgsam ausgewählt, um Ueber- griffe auszuschließen. Wenn man ihnen aber dann junge Oesterreicher anvertraut, damit sie aus diesen Soldaten für die Heimat machen, dann muß man ihnen auch ein entsprechendes Vertrauen entgegenbringen, das sie in die Lage versetzt, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Man muß dem Offizier eine Strafgewalt geben, die es ihm gestattet, den undisziplinierten Soldaten so zu bestrafen, daß er sich sein Vergehen merkt, und nicht, wie das heute der Fall ist, über die Milde der Bestrafung lächelt.

Und schließlich wird man früher oder später — besser: früher — nicht umhinkönnen, die Dienstzeit zu verlängern, wenn das ganze Bundesheer einen Sinn haben soll. Neun Monate sind zuwenig zur fachlichen Ausbildung und sie sind zuwenig, um die für ein brauchbares Heer notwendige Disziplin zu erreichen. Neun Monate sind ein Kompromiß zwischen den nicht ernst zu nehmenden vier Monaten der SPOe und den achtzehn Monaten der OeVP. Aber mit militärischen Notwendigkeiten haben sie nichts gemein.

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