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Wieder einmal: Deutsche Justiz!

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In Kiel wurde in diesen Wochen der Einspruch des früheren nationalsozialistischen Justizministers Schlegelberger gegen die Reduzierung seiner Pension durch das schleswigholsteinische Finanzministerium vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Schlegelberger wurde vorgeworfen, den nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Markus Luftgans 1944 der SS „zur Tötung“ überstellt zu haben. Das Gericht kam zu der Ansicht, daß Luftgans höchstwahrscheinlich im Dritten Reich auch auf andere Weise ums Leben gekommen wäre, und billigte dem nationalsozialistischen Justizminister die volle Pension zu.

Vom Schwurgericht Hannover wurde Anfang November der ehemalige KZ-Aufseher Layer wegen Totschlags zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Layer hatte einen kranken Häftling gezwungen, eine Postenlinie zu überschreiten, wobei er, wie es der Weisung der Postenlinie entsprach, erschossen wurde. Das Gericht verneinte den Tatbestand des Mordes, weil einmal keine niedrigen Beweggründe vorgelegen hätten, zum zweiten aber, weil Tötung durch Erschießen nicht grausam sei.

Aus Bayern, wo die Justiz seit Jahren in dem Verdacht steht, politischen Rücksichten der Regierungspartei bei Strafverfolgungen einen gewissen Raum zu lassen, ist ein neuen Fall bekanntgeworden. Der Spielbankprozeß, in dem vor zwei Jahren das politische Ansehen der Bayernpartei einen schweren Schlag erhielt, trieb eine neue Sumpfblüte. Das Gericht hatte ohne Kenntnis der Zeugen und der Verteidiger bei diesem Prozeß Tonbandaufnahmen gemacht. Diese Aufnahmen wurden nun von der Staatsanwaltschaft genauestens nach irgendwelchen, oft gar nicht zum Beweisthema des Prozesses gehörenden Unrichtigkeiten durchgehechelt, so daß gegen eine Reihe von Zeugen Verfahren wegen angeblichen Meineids anhängig wurden. Zwei Zeugen, nämlich der bei der CSU wenig beliebte Rechtsanwalt Dr. Berthold und der Bayernparteipolitiker Lallinger, wurden durch die Pressestelle des Justizministeriums des Meineids bezichtigt und groß aufgemachte staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet. Rechtsanwalt Berthold wurde auf offener Straße verhaftet, wobei der Staatsanwalt von einer Suite von Photoreportern begleitet war, die sich angeblich zufällig dazu eingefunden hatten. Monatelang wurde Rechtsanwalt Dr. Berthold in Untersuchungshaft gehalten, auf seinen Geisteszustand untersucht und schließlich, als seine bürgerliche Existenz fast vernichtet war, freigelassen. Das Gericht fand die von Staatsanwalt Jörka, demselben, der den Fall Friedmann heuer im Sommer „behandelte“, zusammengetragenen Verdachtsmomente für so gering, daß es sich weigerte, das Verfahren gegen Berthold zu eröffnen. Dasselbe geschah im Fall Lallinger, der als Landtagsabgeordneter nicht so ohne weiteres zu verhaften war. Daß inzwischen gegen den Prominentenjäger, Staatsanwalt Jörka, selbst ein Dienstaufsichtsverfahren und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Verleitung zum Meineid (!) eingeleitet sind, rundet das unerfreuliche Bild ab.

Es mag ein Grundprinzip des Rechtsstaates sein, daß gegen Richter und Staatsanwälte praktisch nicht vorgegangen werden kann. Die Weimarer Republik ging daran zugrunde, daß sie es mit dem Prinzip der Demokratie für unvereinbar hielt, die politische Meinung anderer von Staats wegen zu bekämpfen. Ist es eigentlich wirklich so schwer für die deutschen Justizminister, sich vorzustellen, was mit einem Rechtsstaat geschieht, in dem seit Jahren solche Fälle wie die oben geschilderten ungesühnt bleiben?

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