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Wieder scharfe Schüsse im Jemen

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Der Fastenmonat Ramadan ist zu Ende. Zum Beiramfest sind die Kairoer Parks, Straßen, Kaffee- und Warenhäuser — wie jedesmal — festlich erleuchtet. Im 900jährigen Cafė „Fishawi”, im Schatten der traditionsreichen Al-Azhar-Universdtät, mit der es sich um das Alter streitet, sitzen abends wieder Schriftsteller und Journalisten, neugierig begafft von umherschlendernden vieläugigen M enschentr auben.

Schatten über dem Fest

Doch der Schein trügt: Die Reihen der Literaten, die sich noch bei „Fishawi” treffen, sind gelichtet; einige gingen außer Landes, mehrere wurden verhaftet, die anderen trauen einander nicht mehr. Sie vermissen zu viele bekannte Gesichter. Ex-„Zeitungszar” Mustapha al-Amin kam sich zwar schon lange zu vornehm vor, um noch einmal wie in jungen Jahren in den verstaubten Nischen des baufälligen mittelalterlichen Labyrinthes unter erblindeten Spiegeln zu sitzen. Nun, da er im Zuchthaus sitzt und sich vor Gericht gegen konstruierte Anklagen verantworten muß, vermissen ihn selbst jene kleinen „Kollegen”, die ihn nie mochten.

Die Regierung verhängte zwar eine lückenlos funktionierende Nachrichtensperre über den jemenitischen Kriegsschauplatz. Aber als die Waffenstillstandsverhandlungen im Dorf Haradh zu Beginn der Fastenzeit ergebnislos abgebrochen wurden, verbreitete sich die unheilverkündende Nachricht Wie ein Lauffeuer bis in die abgelegensten Gassen Kairos. Und keine Zensur kann verhindern, daß die Bevölkerung erfährt, was sich inzwischen im fernen Jemen abspielt: Die Kampfhandlungen wurden wiederaufgenommen, Offiziere und Soldaten meuterten, und es kam zu Verhaftungen und — besagen Gerüchte — zu standrechtlichen Erschießungen.

Gebrochener Waffenstillstand

Unter solchen Umständen ist die Freude des Beirams für viele nur die Flucht vor der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist, daß Ägypten den zwischen Präsident Abdel Nasser und König Feisal verabredeten Waffenstillstand schon brach, als noch über den Frieden verhandelt wurde. Während sich in einer improvisierten Zeltstadt die republikanischen und royalistischen, ägyptischen und saudischen Delegierten die Köpfe heiß redeten, wurden im nördlich von Haradh gelegenen Turba, im Rücken der Friedenskonferenz, 6000 ägyptische Soldaten gelandet, zwei Schiffsladungen mit Sowjetwaffen und eine mit chinesischen Maschinengewehren im Hafen von Hodeida gelöscht. Das enthüllte der königliche Informationsminister Mohammed al-Wazir in Beirut, und nach Informationen westlicher Nachrichtendienste besteht daran kein Zweifel. Abdel Nassers Behauptung, die jemenitischen Republikaner hätten die Friedensgespräche gegen seinen Willen abgebrochen, sind dadurch als Lüge entlarvt worden.

Ein geheimnisvoller Besuch

Dabei bestand an dem ernsthaften Friedenswillen Ägyptens längere Zeit kein Zweifel. Der Konflikt kostete den Kairoer Staatssäckel täglich eine Million USA-Dollar in harten Devisen; er war an der Wirtschaftskatastrophe, der gesunkenen amerikanischen Hilfsbereitschaft und der aufrührerischen Stimmung in der Bevölkerung schuld. Das Abkommen mit Saudi-Arabien bot dem Nildiktator die willkommene Chance, das mißlungene Kriegsabenteuer ohne weiteren Gesichtsverlust zu liquidieren und damit dem Wunsch seiner Ratgeber, bis hinauf zu Armeechef Feldmarschall Amer, zu entsprechen.

Das war die Lage, als Mitte Dezember unter strengen Geheimhaltungsmaßnahmen eine sowjetische „Iljuschin”-Turboprop auf dem Kairoer Flughafen landete, der vier verschlossen blickende uniformierte Herren entstiegen. Sie wurden vom spärlichen ägyptischen Empfangskomitee sofort in unauffällige Limousinen komplimentiert und ohne aufsehenerregende Eskorte geradewegs in den Kubbehpalast geleitet. Es waren der sowjetische Vizeverteidigungsminister Marschall Gretschko, Vizeluftwaffenchef General Rudenkow, Admiral Sergejew und Geheimdienstchef General Nikitin. Uber ihre Besprechungen verlautete offiziell nichts. Aber die Einzelheiten des Abkommens, das sie mit Abdel Nasser schlossen, drangen inzwischen trotzdem bis nach Beirut. Demnach wird Ägyptens Armee weiterhin sowjetische Waffen und moderne Kampfflugzeuge erhalten. Einzige Bedingung für die unerwartete sowjetische Großzügigkeit: Der Jemen muß gehalten werden!

Der Rückzug wird widerrufen

Der Nildiktator stimmte diesem Wunsch zu, obwohl sowohl Ministerpräsident Mohieddin als auch Feldmarschall Amer dagegen waren. Die Rückzugsorder für die ägyptische Invasionsarmee wurde, wie westliche Späher auf dem Kriegsschauplatz herausfanden, widerrufen. Royali- stische Mittelsleute am Hof von Er-Riad bestätigten, daß in ihrer Heimat wieder scharf geschossen werde. Aber der „Rais” war sich offenbar nicht richtig klar über die Stimmung seiner Truppen. Offiziere und Mannschaften, die ohnehin unter schlechter Emährungslage leiden und teilweise monatelang ihren Sold nicht erhielten, meuterten. Vizepräsident Amer und Parlamentssprecher Sadat mußten sie in zähen Verhandlungen an Ort und Stelle beschwichtigen. Wer das von den beiden gebotene „Zuckerbrot” nicht nahm, bekam die Peitsche. Nach unwidersprochenen Berichten a inländischer Geheimdienststellen gelangten 180 Offiziere und 350 Unterführer und Soldaten schneller in die Heimat, als sie gehofft hatten — sie wurden verhaftet und warten in ägyptischen Straflagern auf ihren Militärgerichtsprozeß.

König Feisal schrieb inzwischen seinem Gesprächspartner von Dschidda einen Brief, in dem er ihn an die Abmachungen vom verflossenen Spätsommer erinnerte. Der Brief blieb bis jetzt unbeantwortet.

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