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„Ich schreibe, um zu zeigen, daß. die gute Handlung bestraft, die böse belohnt wird, nicht weil ich damit einverstanden bin, daß es so ist, sondern weil ich hoffe, daß es einmal anders wird... In meinem bürgerlichen Beruf, den ich nicht liebe, versuche ich, wo Unrecht geschieht, zu helfen.

Albert Drach kann seine Familie bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Seine Vorfahren waren Künstler, Dichter, Gelehrte, Militärs, Politiker, Männer in Wirtschaft und Kirche. Der Vater: Professor der Physik und Mathematik, dann Bankvorstand; weltaufgeschlossen, großzügig, gebildet, humorvoll. Die Mutter: selbstlos, geistreich, ernst. Der Drach-Hof, jenes Haus in Mödling, das er in Erinnerung an seine Eltern erhalten will, hat ihn nach Wien zurückgeholt, nachdem er von dem nationalsozialistischen Regime 1938 vertrieben worden war.

Auf Wunsch der Eltern studierte Albert Drach Jus und wurde Rechtsanwalt. 1938 legte er die Anwaltschaft zurück und emigrierte nach Südfrankreich, wo er an seinen Werken schrieb und in der Widerstandsbewegung arbeitete. Nach seiner Rückkehr in die Stadt seiner Vorfahren nahm er den alten Beruf wieder auf. Er will ihn auch weiterhin ausüben: „Ich habe Familie, Frau und zwei Kinder, zehn und zwölf Jahre alt, das ist eine Verpflichtung. Und ich will nicht schreiben müssen, um Geld zu verdienen. Ich möchte schreiben können, was ich will und wie ich will

Bereits als Fünfjähriger hat er geschrieben. „Grafobe hat mich in meiner Jugend sehr beeinflußt und Georg Herwegh, meinen epischen Stil habe ich an Hebel gebildet. Vom zehnten Lebensjahr an veröffentlichte er in Zeitungen und Zeitschriften. Als Sechzehnjähriger publizierte er sein erstes Werk, eine Gedichtsammlung. Dann erschien ihm alles, was er geschrieben hatte, als schlecht, und er beschloß, vorläufig nichts weiter zu veröffentlichen. Erst mit sechsundzwanzig trat er wieder an die Öffentlichkeit. Sein Drama, „Das Satansspiel vom göttlichen Marquis“ , kam im Drei-Masken Verlag, Berlin, heraus und wurde als eine bedeutende Neuerscheinung gewertet. Der Titel wurde von Anton Wildgans angeregt, der, wie viele andere bedeutende Männer des Wiener Kultur- und Geisteslebens, ein Freund des Hauses war. Der Autor des „Satanspiels bewarb sich um den Kleist-Preis. Als er aus unklaren Gründen abgelehnt wurde, folgte er dem Wunsch seiner Eltern, Anwalt zu werden, und schreibt unter Verzicht auf die Publikation für sich weiter. Erst 1937 las er wieder im Rundfunk und begann bekanntzuwerden, aber da erfolgte der Anschluß und vertrieb ihn ins Ausland. Die Jahre in Frankreich waren fruchtbar.

Als er nach dem Krieg zurückkehrte, meinte man beim Luckmann-Verlag, das Werk sei nicht genug anti-antisemitisch, beim Globus-Verlag, es sei nicht genügend kommunistisch, und beim Berman-Fischer-Verlag, es sei zu direkt. Aber direkt will er sein:“ ,Ich gehe von allen Seiten auf die Sache los. Die Protokollform scheint mir dazu am besten. EtazuAktüst gegeniden,, Manschen. Mit rninuziäser Genauigj;, keit wird Material gegen ihn zusammengetragen, und j er '*WfttÜft!;tootedem,-fcr' allein ist wert\ H,iwäfoTend: die andren teils lügen, sich teils alles falsch vorstellen... Die Gesetze sind nicht schlecht, die Auslegung und die Beweiswürdigung, wie sie sich in der Praxis im Laufe der Jahre eingebürgert haben, ist nicht gut, es müßte eine individuelle Auslegung geben... Die Richter und Anwälte von heute sind zum größten Teil für mich.

Auf der Suche nach einer Sekretärin für seine Kanzlei in München gibt seine Gattin das Manuskript seiner Rimbaud-Novelle (vor kurzem erst in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur gelesen) beim Langen-Müller-Ver-lag ab. Bald darauf ersucht man ihn um weitere Arbeiten. Eine Sensation im Verlagswesen: der Verlagsleiter Dr. Schondorff, der schon .seit vielen Jahren die österreichische Literatur der Gegenwart fördert und immer auf der Suche nach Neuem ist, bittet Albert Drach um die Zustimmung zur Veröffentlichung des gesamten Werkes.

Im Juni dieses Jahres kam der erste Band heraus, „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ , die tragikomische Geschichte eines in die Mühlen der Behörde geratenen ost-galizischen Juden. Das Schicksal Schmul Leib Zwetschkenbaums ist prototypisch, gegen den Hintergrund der zwanziger Jahre gesehen. „Das jüdische Volk... es wird geschlagen ..., und weiß nicht warum, und niemand nimmt sich seiner an...“ , meint Zwetschkenbaum im großen Protokoll. Das Buch schlug ein, wie kaum ein anderes in den letzten Jahren, denn es behandelte eines der großen Probleme unserer Zeit in einer noch nicht dagewesenen Form.

Seit seinem dreißigsten Lebensjahr liest Albert Drach keine zeitgenössischen Schriftsteller deutscher Sprache, teils weil es ihm an Zeit mangelt, teils, damit er sich keiner Beeinflussung aussetzt. Seine Lektüre sind moderne französische, englische und spanische Schriftsteller im Originaltext. Deutsche Gedichte liest er manchmal in Zeitschriften. „Ich schreibe keine Gedichte mehr“ , sagt er, „die wirklich guten glaube ich nicht erreichen zu können, und schlechte werden viel zu viele geschrieben. Dramen sieht er hie und da im Fernsehen. „Sie sind zu verschieden von meinen, um mich beeinflussen zu können.

Der nächste Band nach dem „Großen Protokoll wird ein Dramenband sein: „Das Spiel von Meister Siebentod und andere Verkleidungen“ . „Verkleidungen deswegen“ , erklärt der Autor „weil ich Menschen unserer Zeit in eine andere Epoche beziehungsweise in Zeitlosigkeit versetze. Neben dem „Satanspiel vom göttlichen Marquis und dem „Kasperlspiel vom Meister Siebentod“ , den beiden Jugendwerken, und dem „Skurrilspiel Sowas wird wohl das „Panoptikalspiel vom I — der Diebstahl eines einzigen Buchstaben ist Grund für die Ausrottung eines ganzen Bevölkerungsteils — besonderes Interesse erregen. Eine bekannte Wiener Bühne denkt bereits daran, dieses Stück aufzuführen. — Der dritte Band soll „Die kleinen Protokolle — die ungemütlichen, die wohlwollenden, die unbeteiligten — und „Das Goggelbuch (ein Mann lebt nur seinen Neigungen und wird für das Wenige an Gutem, das er getan, am Ende bestraft) enthalten. — Der vierte Band wird wieder dem dramatischen Schaffen gewidmet sein: „Das Aneinandervorbeispiel und die inneren Verkleidungen“ : ein Passionsspiel von der Lüge und Lächerlichkeit, das Bekenntnis des Dichters zur Welt. Er hat es mit Zwanzig geschrieben: „Das erste Werk, zu dem ich voll stehe. Es wird wohl noch etwas abgeändert werden. Mit dem Werk bin ich zum Dichter geworden. Daneben steht „Das Satyrspiel vom Zwerge Christian“ . „Das hat mir wohl die Wahl in die Reichsschrifttumskammer eingetragen“ , meint der Autor. Neu sind: „Das Absurdspiel Aha — ein Traum um Lüge und Wahrheit“ , „Das Abstraktspiel Andere Sorgen — Untertan gegenüber Herren, Gestern, Heute, Morgen, die Atombombe — und „Das Aneinandervorbeispiel über die Judenverfolgungen zur Zeit der Inquisition in Spanien.

Der fünfte Band soll im Herbst 1966 erscheinen, „Die unsentimentale Reise“ , ein Bericht über den Abtransport der zur Vernichtung Bestimmten ins Auffanglager, die, Erlebnisse in Südfrankreich. Der sechste Band heißt „ZZ oder die Zwischenzeit — ein Leben zwischen 1935 und 1939. Wieder ein Protokoll, wie der achte Band, ein Detektivroman, „Das große Protokoll gegen Mädel“ . „Hier breche ich eine Lanze für die Frauen gegen die schlechte Behandlung durch den Mann“ , sagt der Dichter. Der siebente Band enthält seine Gedichte, „Die Entblößung beim Zähneblecken und beim Entgöttern“ . Die ersteren, die zynisch-ironischen Gedichte, „waren wiederholt im Rundfunk, aber bloß die zahmsten“ . „Meine Pläne? Die Rekonstruktion“ ein Teil de'r*Mariü-iMifikE&te, die ich bei; Verwandten deponiert habe, ging Verloren; ich rekonstruiere sie nun aus dem Gedächtnis — den zweiten Teil des Zwetscbkenbaumes, das große Protokoll über den ruhmlosen Tod des Schmul Leib Zwetschkenbaum und das ruchlose Sterben des von Grzezinsky. Dann „Die mittleren Protokolle — die technisierte Welt. „Außerdem rekonstruiere ich ein Drama,“ ,Der Räuber Rinaldo Rinaidino unter den Schildbürgern', die Geschichte von Vulpius, in die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg verlegt. Dann das sogenannte“ ,17. Buch', meine Essays über Krieg, Politik, Verkehrswesen, zur Literatur und Rechtslehre, Mykologie usw... in Zukunft werde ich wohl .nur noch Epik und Dramen schreiben.

Eine zweibändige italienische Ausgabe ist bereits geplant. Auch ein französischer Verlag interessiert sich für Albert Drachs Werk. Mit „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ , das zehn Wochen auf der Bestsellerliste war, wurde Albert Drach bekannt. Seither wächst das Interesse der literarischen Kreise, der Öffentlichkeit ständig. Anläßlich seines 62. Geburtstages, Mitte Dezember, hat das Deutsche Fernsehen ein Interview gebracht. Rundfunk, Zeitungen, Zeitschriften, kulturelle und literarische Institutionen in Deutschland und Österreich setzen sich mit Drach auseinander.

Das Schreiben, die Arbeit in der Kanzlei, die Familie füllen die Zeit Albert Drachs vollkommen aus. „Von all dem will ich mich nun für einige Wochen in ein kleines Nest in Afrika zurückziehen,“ ,Mädel' und“ ,ZZ' fertigschreiben und mich erholen. Ich schreibe für die Jugend. An sie glaube ich. In sie setze ich meine Hoffnungen.

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