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Wien in Montreal

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Der Transfer eines ganzen Opern-ensembles, ,jmit Roß und Wagen“ gewissermaßen, ist immer etwas Abenteuerliches, zumal, wenn der Ausflug nicht in eine benachbarte Großstadt, sondern über den Atlantik hinweg erfolgt. Mit insgesamt 390 Personen und der vollständigen Ausstattung für vier Bühnenwerke gastierte die Wiener Staatsoper in Montreal. Es war das weitaus umfangreichste und längste Unternehmen dieser Art in der Geschichte des Hauses und verdient daher, kriitisch-wertend betrachtet zu werden.

Das muß auch deshalb geschehen, weil diese Tournee den österreichischen Staat runde 16 Millionen Schilling gekostet hat, was sowohl absolut genommen wie in Relation zum jährlichen Gesamtbudget der Staatsoper von 200 Millionen eine beachtliche Summe darstellt. Das Gastland Kanada hat 13 Millionen zugeschossen und damit den weitaus höchsten Betrag für ein im Rahmen des World-Festivais auftretendes Ensemble geleistet, wodurch es seiner besonderen Wertschätzung der Wiener Staatsoper Ausdruck geben wollte.

Wir selbst, das sei vorausgeschickt, waren nicht mit von der Partie, sondern gründen unsere Analyse auf die Lektüre zahlreicher ausländischer Zeitungsartikel, auf die Augen- und Ohrenzeugenberichte einiger unbedingt zuverlässiger Teilnehmer an dieser Reise und auf die uns wöchentlich zugegangenen „News from Maurice Feldmann — Public Relations, New York“, deren Herausgeber seit 28 Jahren in den

Staaten lebt und als ein aufmerksamer Beobachter und Kienner der amerikanischen „Szene“ gut.

Man weiß — die Wiener Tageszeitungen haben darüber ausführlich berichtet — daß der Start schwierig war. Eine auch hierorts nicht unumstrittene Neuinszenierung von „Don Giovanni“ mußte infolge plötzlich notwendig gewordener Umdisposi-tion an den Anfang gestellt werden, ebenso unerwartet erkrankte der für die Premiere vorgesehene Dirigent; das neue Haus in Montreal, die 1963 fertiggestellte „Salle Wilfried Pelletier“, eigentlich ein riesiger, fast 3000 Personen fassender Konzertsaal mit ungewöhnlich breiter Bühne, war von den Gästen noch nicht akustisch und szenentechnisch ausprobiert worden, kurzum: die erste Aufführung der Wiener Staatsoper wurde zwar vom Publikum sehr freundlich aufgenommen, aber die Kritik war enttäuscht.

War sie wirklich nur enttäuscht — oder hatte sie sich auf diesen Start vorbereitet und stand bereits auf dem Sprung? Fast kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß zwar nicht bei den lokalen Montrealer Faahreferenten, wohl aber bei den New Yorker Kritikern eine gewisse Animosität gegenüber den öster-^chischen Gästen vorhanden war. Die persönlichen und politischen Gründe, von denen uns berichtet wurde, wollen wiir, da es sich um „On diits“ handelt, weder an dieser Stelle ausbreiten noch analysieren. Ein psychologisches Motiv liegt dagegen auf der Hand: New York hat, besonders seitdem die alte Met ins neue, höchst aufwendige Lincoln-

Center übersiedelt ist, den Ehrgeiz, die beste und modernste Oper der Welt zu besitzen, und da mag, was aus einer alten Kulturtradiition kommt und nicht erst seit gestern Weltrang hat, ein wenig scheel angesehen werden.

Doch versuchen wir, Bilanz zu ziehen. Am meisten kritisiert wurde, wie bereits erwähnt, die erste Aufführung von „Don Giovanni“, an „Figaro“ und „Rosenkavalier“ fand man ebenfalls einiges auszusetzen, als eindeutige Hochleistungen ließ die amerikanische Kritik „Elektra“ und „Wozzeck“ gelten. — Hier, und nur hier, ging die Kritik einigermaßen konform mit den Reaktionen des Publikums, das mehrere Aufführungen mit Szenenapplaus, andere mit minutenlangem Schluß-beifaill bedachte, wie er in diesen Breiten noch nie gehört wurde.

Auch die Besuchsstatistik zeigt diese Diskrepanz zwischen Publikum und Presse — die wir nicht unbedingt nur negativ bewerten wollen, soweit man das Gefühl hat, es mit einer fairen Kritik zu tun zu halben. Die Aufführungen der Wiener Staatsoper waren zu 98 Prozent ausverkauft, während die Besucherzahlen der Moskauer Großen Oper bei 43 Prozent, die der Hamburger Staatsoper bei 39 Prozent und die der Königlichen Schwedischen Oper nur bei 21 Prozent lagen.

Natürlich gab es, neben den kritischen Stimmen, auch vorbehaltlos positive, ja enthusiastische. So schreibt der Kritiker der „New Yorker Staatszeitung und Herold“, die Wiener Staatsoper habe mit allen ihren Mitgliedern, angefangen von den Dirigenten bis zu den Bühnentechnikern, „in diesen Wochen die Salle Pelletier, wo die Gastspiele jeweils stattfinden, zu einer Art Wien in der Neuen Welt gemacht“ und verdiene damit „ein Ehrenzeichen in Gold und Diamanten“. Und über die Auöührung des „Rosenkavalier“ heißt es: „Über dem ganzen Abend lag nur ein einziger Schatten: daß es den Wienern nicht möglich gemacht wurde, ihre Aufführungen nach New York zu bringen. Die Musikwelt hätte ihnen hier au Füßen gelegen1 — so wie es das Publikum in der Salle Pelletier getan hat.“ Nun, wer weiß, das Publikum vielleicht... Dem hier zitierten Referenten Egon Stadelman mag der Patriotismius vielleicht ein wenig die Feder geführt haben, jener Patriotismus, den man so ganz und gar bei einigen (wenigen) Wiener Blättern vermißte, 'die sich mit kaum verhüllter Schadenfreude auf jede kritische Nachricht von drüben stürzten und es auch nicht versäumten, ihren Lesern alle die kleinen und großen Schwierigkeiten aufzutischen, die ein solches Großunternehmen stets — und fast gesetzmäßig — zu begleiten pflegen. Man mag in Wien für oder gegen die Staatsoper und ihre gegenwärtige Direktion sein — in dem Augenblick, wo sie Österreich vor einem Weltforum, wie es die EXPO 67 ist, vertritt, sollten sie zumindest die guten Wünsche aller begleiten.

Hat sich der Aufwand also gelohnt? Mehr als 150 Rundfunk- und Fernsehstationen sowie 1673 amerikanische und kanadische Zeitungen haben drei Wochen lang über das Wiener Gastspiel in Montreal berichtet. „Diese Publizität“, so schreibt uns ein anderer Beobachter des amerikanischen Kulturlebens, „überbietet noch die gigantische Österreich-Werbung anläßlich des allerersten Besuches von .Vienna on Parade' (Deutschmeister), die vor vielen Jahren von Andre Mertens und Dr. Marcel Pravy organisiert wurde.“ Wir lesen diese Beteuerungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn den allergrößten Erfolg bei unseren Antipoden hatten die Lipizzaner. Sie hatten auch keine Kritiker.

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