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Wiener Fruhjahrsparade

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Das Jahr 1965 erhält für Österreich durch das Gedenken an zwei schicksalhafte Wendepunkte unserer jüngsten Geschichte eine besondere Weihe. Wir feiern heuer die zwanzigste Wiederkehr des Tages, an dem unser Staat, der im Bewußtsein seiner Bewohner nie untergegangen war, auch politisch neu erstand. Ebenso freudig erinnern wir uns der historischen Stunde vor zehn Jahren, in der die Unterzeichnung des Staatsvertrages unserem Lande die volle Freiheit und Souveränität wiedergab. Den offiziellen Feiern, mit denen die Republik, Länder und Gemeinden, des 27. April 1945 und des 15. Mai 1955 gedenken, wird am 14. März ein wesentlich schlichteres Ereignis vorangehen, das sich aber trotzdem, wie ich glaube, in den großen Rahmen des Jubiläumsjahres harmonisch einfügt und darin seine gleichermaßen symbolische wie praktische Bedeutung findet.

Die Frühjahrsmesse 1965, die 81. Wiener Internationale Messe, ist keine „Jubiläumsschau“; keine runde Zahl hebt sie aus der langen Reihe dieser Veranstaltungen heraus. Sie wird ohne besonderes Pathos, dafür jedoch in der nüchternen Sprache der Zahlen und Leistungen eine Tatsache besonders sinnfällig machen: den gewaltigen Wiederaufstieg unserer Wirtschaft aus den Trümmern des Bombenkrieges und den Verlusten der Besatzungsdemontagen, das stürmische Anwachsen unseres Lebensstandards gegenüber der Zeit der Ruinenwohnungen, der Kalorienzuteilungen und Spinnstoffaufrufe. Was uns damals als schöner Traum erschien, ist inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Werk des Aufbaues und der Neuschöpfungen, das in den zwanzig Jalwen seit dem österreichischen Frühling von 1945 entstanden ist, übertrifft alle Erwartungen.

Diese Wiener Frühjahrsmesse wird ein heller Spiegel unserer heutigen Leistungsfähigkeit sein, der keinerlei Spuren des Harmes und der Bitterkeit der Nachkriegszeit mehr reflektiert. Um so mehr haben wir Grund, uns jener harten Jahre zu erinnern, in denen die Messe kaum ein Spiegel der Leistungsfähigkeit, um so mehr aber ein Symbol des Leistungsujillens war.

Versetzen wir uns aus der Ära des vielzitierten „Wirtschaftswunders“ zurück in jene Jahre, in denen Wunderglaube dazugehörte, an den Wiederaufbau der Wirtschaft auch nur zu denken! Bei Kriegsende waren das Messegelände ein Trümmerfeld, der Messe-pal^st eine Ruine. Die bescheidene „Exportmusterschau“ im Oktober 1945 mußte in den Sälen der Wiener Effektenbörse abgehalten werden. Sie war als Demonstration österreichischen Arbeits- und Lebenswillens von ungleich größerer symbolischer, denn kommerzieller Bedeutung. Die damalige Situation könnte nicht treffender charakterisiert werden als durch einen Satz, den ich aus dem Vorwort des dürftigen, ein Ausstellerverzeichnis von kaum zwanzig Seiten umfassenden Kataloges dieser Schau zitieren möchte: „Diese Ausstellung verfolgt das Ziel, einen Querschnitt aus unserem vielseitigen Schaffen zu geben und den Vertretern der Alliierten Besatzungsmächte wie auch den interessierten Kreisen des In- und Auslandes vor Augen zu führen, was in Österreich erzeugt wird, beziehungsweise werden könnte, wenn die Schwierigkeiten in der Beschaffung von Rohstoffen überwunden sein werden.“

Aussteller aus dem Auslande fehlten noch völlig und auch aus den Bundesländern war es nur ganz wenigen Finnen möglich, sich zu beteiligen — aber der erste Schritt zur Wiederbelebung des Messegedankens war getan, das erste wirtschaftliche Lebenszeichen des neuen Österreich gegeben. Auch im Frühjahr 1946 (7. bis 10. Mai) nannte man die traditionelle Veranstaltung, für die neben der Effektenbörse auch schon der Messepalast herangezogen werden konnte, noch bescheiden „Exportmusterschau“. Der Katalog enthielt jedoch in seinem 134 Seiten umfassenden Ausstellerverzeichnis bereits zahlreiche Firmen aus den Bundesländern — ein erfreuliches Zeichen, daß Österreich trotz der Vierteilung in Besatzungszonen auch wirtschaftlich wieder zusammenzuwachsen begann!

Schon vorher jedoch, am 3. April 1946, hatten die damaligen Gemeinderäte Marek, Jirava und Genossen im Wiener Gemeinderat den Antrag gestellt: „Um allen Wirtschaftskreisen Wiens und Österreichs die Möglichkeit zu geben, wieder Anschluß an die internationalen Absatzgebiete zu finden, wird der Finanzreferent beauftragt, die Wiener Messe-AG. zu veranlassen, die Vorbereitung und Durchführung der Wiener Messe sofort in Angriff zu nehmen.“

Für diese erste echte „Friedensmesse“ im September 1946 war es unerläßlich, auch das inzwischen von der Besatzungsmacht freigegebene Messegelände heranzuziehen. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, was es in dieser Zeit — angesichts des Mangels an Material, Maschinen, Fahrzeugen, ja selbst an Werkzeugen und mit Hilfe unterernährter Arbeitskräfte! — bedeutete, vierzehn große Hallen und zahlreiche Pavillons instandzusetzen oder neu zu errichten. Ein gewaltiges Vorhaben, für dessen Bewältigung Fachleute nach der ersten Besichtigung drei Jahre kalkulierten — das aber tatsächlich in fünf Monaten realisiert wurde!

Diese ans Wunderbare grenzende Aufbauleistung erscheint mir als Symbol des gesamten österreichischen Wiederaufbaues in den Jahren nach 1945. Sie zeigte nicht nur altbewährte Tugenden des Österreichers — Fleiß, technische Begabung und Improvisationskunst — in strahlendstem Licht, sie bewies auch, daß er in Zwang und Not des Krieges endlich auch jenes uhm bislang so oft fehlende Selbstbewußtsein gewonnen hatte, das in der Erkenntnis wurzelt, gegebenenfalls zu außerordentlichen Leistungen berufen zu sein, und das allein die Voraussetzung dazu schafft, über sich selbst hinauswachsen zu können. Das Bewußtsein, auch mit schier Unmöglichem fertig geworden zu sein, mußte sich nun um so fruchtbarer auswirken, als der Einsatz nicht mehr landfremden Interessen, sondern dem ureigensten Anliegen, dem Wiederaufbau der Heimat, galt.

Ich glaube, daß wir uns heute, da uns — die wir wieder satt, mitunter vielleicht ein wenig zu satt geworden sind — eine Aufgabe manchmal zu groß, ein Hindernis zu hoch erscheint, öfter jener Zeit vor rund zwei Jahrzehnten erinnern sollten, in der wir nichts für so schwierig ansahen, daß es nicht in vertrauensvoller Zusammenarbeit gemeistert werden könnte! Diese Haltung bildete die geistige und seelische Grundlage des Wiederaufbaues, sie erst machte es möglich,daß sich die dankenswerte Hilfe aus dem Ausland, durch die TJNRRA und später durch den Marshal-Plan, voll auswirken und die Früchte tragen konnte, die von Mal zu Mal mehr auch die Gestalt der Wiener Messe bestimmten.

Es würde zu weit führen, den Weg in allen Einzelheiten nachzuzeichnen, den die Wiener Messe seit jener historischen Schau Im September 1946 genommen hat Eine Million Besucher aus ganz Österreich und Europa, aber auch in zunehmendem Maß aus Übersee, bezeugen erneut den endgültigen Durchbruch des Messegedankens — zum zweitenmal nach einem verheerenden Krieg. Die Messe legte einen Weg stetiger Aufwärtsentwicklung zurück, gleich jenem der gesamten österreichischen Wirtschaft. Weder kurze Rückschläge, wie im Gewaltwinter 1946/47, noch ein vorübergehender Schock, wie nach der Währungsreform vom Dezember 1947, vermochten ihn aufzuhalten. Im äußeren Bild der Messe zeigten sich fortlaufende Erweiterungen. Neu-und Umbauten von Hallen und Räumen. In ihrer handelspolitischen Bedeutung wuchs die Messe nach und nach wieder in ihre ureigenste Funktion als echtes Instrument der Wirtschaft hinein. Als Marksteine der Entwicklung seien nur einige wenige Daten angeführt: die erste starke Auslandsbeteiligung ergab sich im Jahre 1947; die erste „Verkäufermesse“ datierte vom Herbst 1948; das Jahr 1949 war mit einer Flächenerweiterung um 150.000 Quadratmeter verknüpft, 1952 mit der Errichtung von fünf landwirtschaftlichen Hallen, 1958 mit dem Bau der Nordwesthalle, die letzten Jahre schließlich mit zahlreichen Um- und Zubauten sowie Neuadaptierungen im Messepalast.

Lag nach dem ersten Weltkrieg, in der Gründungszeit der Wiener Messe, ihre Hauptaufgabe — international gesehen — in der Wiederherstellung der traditionellen, durch den Zerfall des Donaureiches unterbrochenen Wirtschaftsbeziehungen, so galt es nach dem zweiten großen Krieg, die Umorientierung unserer Wirtschaft auf neue Märkte und Absatzgebiete anzuregen, einzuleiten und zu fördern. Die tiefgreifenden politischen und, damit verbunden, auch wirtschaftlichen Umwälzungen im Nachkriegseuropa machten es unmöglich, einfach dort wieder anzufangen, wo wir 1938 aufgehört hatten. Uberlieferte Märkte und Handelspartner waren verlorengegangen oder zur Bedeutungslosigkeit abgesunken. Neue Absatzbereiche mußten erschlossen und gepflegt werden. Dies war nicht allein in wirtschaftsgeographischem Sinn notwendig, sondern auch im Hinblick auf neu entstandene — man denke etwa an das weite Feld der Kunststoffe! — oder in ihrer Bedeutung grundlegend gewandelte Industrie-und Produktionszweige.

Bs liegt auf der Hand, daß die Wiener Internationale Messe in einer solchen Periode der Neuorientierung und Umschichtung als der große „Marktplatz“ Österreichs, als sein Schaufenster für die Welt, als Zentrale der kommerziellen Information, des wettbewerbsfördernden Vergleichs und der Anbahnung von Geschäften, eine besondere, weit über alles bisherige hinausgehende Bedeutung für die heimische Wirtschaft erlangen mußte. Das gilt sowohl für die ersten Jahre, in denen unsere Industrie allmählich über die Dek-kung des Eigenbedarfs hinauswuchs und exportfähig wurde, als auch, in noch größerem Maß, für die mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 eingeleitete Periode voller politischer und wirtschaftlicher Freiheit. Bald darauf begannen sich bereits die wirtschaftlichen Probleme der europäischen Integration abzuzeichnen, die auch die Wiener Messe vor neue Aufgaben stellen. Die Messe hat sich von Anfang an, bewußt und konsequent, aus dem Widerstreit der Meinungen um die Integration herausgehalten — in der Überzeugung, daß sie nur bei strengster Objektivität jenes verläßliche Instrument der Wirtschaft sein könne, dessen diese gerade in einer solchen Epoche mehr denn je bedarf.

Es ist vielleicht nicht uninteressant, an dieser Stelle einige, an dem vielzitierten „Wirtschaftsbarometer“ der Wiener Messe abgelesenen Zahlen einzuschalten. Die Zahl der Auslandsaussteller stieg in den Jahren 1963 bis 1965 ständig an: von 1959 über 2089 und 2268. Der Anteil der EWG-Staaten, der 1962 71 Prozent betragen hatte, fiel im Vorjahr auf 68 Prozent zurück und wuchs heuer erneut auf 72 Prozent an. Der EFTA-Anteil bewegte sich im gleichen Zeitraum von 21 über 23 auf 22 Prozent. Gering blieb der Anteil der Oststaaten mit 1,89 beziehungsweise 1,52 und 2 Prozent.

Daß die Bundesrepublik Deutschland unser größter Handelspartner ist, kommt auch in der Messebeteiligung, in der sie seit Jahren die Spitzenposition hält, zum Ausdruck: mit 1132 Firmen erreicht die Bundesrepublik bei der bevorstehenden Frühjahrsmesse fast genau 50 Prozent der Ausländsbeteiligung, in großem Abstand gefolgt von England (mit 197 Firmen), Italien (182), der Schweiz (170) und den USA (139). Es erscheint mir als beachtlicher Beweis für den internationalen Rang der Wiener Messe, daß Groß- und Weltmächte, wie die USA und Großbritannien, in der Liste der Auslandsbeteiligung unter den ersten fünf Staaten, zum Teil weit vor den Nachbarländern, zu finden sind. Ohne daß wir uns in Ziffernispekula'tiionen oder statistische Spielereien verlieren wollten, darf man wohl behaupten, daß sich aus der weitgehenden Ubereinstimmung der vorgenannten Zahlen mit den allgemeinen Ziffern unseres Außenhandels (die BRD, Italien, die Schweiz und Großbritannien führen auch die Rangliste unserer Handelspartner an!) die Folgerung ableiten läßt, daß die auf der Wiener Messe zum Ausdruck kommenden Tendenzen beachtenswerte Rückschlüsse auf die Wirtschaftsentwicklung ermöglichen.

Schon jetzt läßt sich feststellen, daß die 81. Wiener Messe mit einer Rekordbeteiligung von insgesamt 5169 Firmen, als „Konjunkturbarometer“ betrachtet, ein kräftiges „Hoch“ erkennen läßt. Dies deckt sich mit den Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstitutes, das für 1965 eine gute Konjunkturlage, unter anderem eine Exportausweitung von etwa 9 Prozent, errechnet hat. Wir haben allen Grund zur Annahme, daß das Jubiläumsjahr 1965 ein gutes Jahr für Österreich werden wird. Mit Stolz können wir Österreicher auf ein Aufbauwerk zurückblicken, das vor zwei Jahrzehnten kaum jemand für möglich gehalten hätte. Uns von der Wiener Messe erfüllt es mit ganz besonderer Genugtuung, daß unsere Veranstaltungen nicht bloß ein getreues Spiegelbild dieses Aufbaues waren, sondern vielleicht auch ein wenig zu dessen Gelingen beitragen konnten.

Man bezeichnet die erste der beiden jährlichen Messen gelegentlich als „Frühjahrsparade der Wirtschaft“. Ich glaube, daß dieser Vergleich, wie fast jede Analogie, ein wenig hinkt. Für heuer aber möchte ich ihn in einem besondern Sinne voll akzeptieren: so wie die große Parade unseres Bundesheeres anläßlich des Tages der österreichischen Wiedergeburt eine Demonstration unseres Willens zum Schutz unserer Neutralität sein wird, ebenso überzeugend soll die Messe unseren Willen und unsere Fähigkeit zu friedlichem Wettbewerb und wirtschaftlicher Leistung demonstrieren. Die „Frühjahrsparade“ 1965 unserer Wirtschaft soll zugleich dokumentieren, was das neue Österreich in zwei Jahrzehnten auf diesem Gebiet geleistet hat und welche Aufgaben und Möglichkeiten es vor sich sieht. Die Messe will nicht Ausdruck rückwärtsgewandter Selbstzufriedenheit, sondern in erster Linie Bekenntnis zu produktiver Arbeit für die Gegenwart und Zukunft Österreichs und damit ein würdiger Auftakt zum Jubiläumsjahr 1965 sein.

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