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Will Bonn die Tür Zuschlägen?

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Am 9. und 10. April sollte in Bad Kreuznach ein Treffen der Außen- und Finanzminister der Deutschen Bundesrepublik und Österreichs stattfinden. Bei dieser Gelegenheit sollten die Unterschriften unter einen in monatelangen Verhandlungen, die von beiderseitigen Beamtendelegationen geführt worden waren, vorbereiteten Entschädigungsvertrag gesetzt werden. Dieser Begegnung sahen rund 300.000 in Österreich lebende Heimatvertriebene genau so voller Hoffnung entgegen, wie die rund 35.000 Opfer des NS-Regimes, die auf eine umfassende Wiedergutmachung warten. Die Begegnung der Minister fand aber nicht statt, weil die deutsche Seite die Beratungen unter einem nichtigen Vorwand absagte. Man muß verstehen, daß sich der Betroffenen eine gewisse Verbitterung bemächtigte und selbst die offiziellen österreichischen Stellen gaben ihrer Verwunderung über die deutsche Haltung unmißverständlich Ausdruck. Es hat sogar Stimmen gegeben, die von einem „unfreundlichen Akt“ Österreich gegeftüber sprachen.

Was war vorbereitet?

Es ist gewiß angebracht, noch einmal ganz kurz auf die Problematik und die Zusammenhänge hinzuweisen. Bis zum Jahre 1955 spielte das „Deutsche Eigentum“ in Österreich und dessen Rückgabe eine erhebliche Rolle. Nach Abschluß des Staatsvertrages wurde zwischen Wien und Bonn ein Vermögensvertrag abgeschlossen, denn es mußte die Durchführung der im Staatsvertrag vorgesehenen Rückübertragungen — die Wertgrenze lag bekanntlich bei 10.000 US-Dollar — in die Wege geleitet werden. Nur Böswillige werden behaupten können, daß sich Österreich bei der Durchführung des Staatsvertrages kleinlich gezeigt habe. Der Staatsvertrag besagt nämlich nichts darüber, wo der Wert zu suchen ist. Niemand hätte es also Österreich verbieten können, etwa den Verkehrswert vom Jahre 1955 bei der Behandlung der Rückgabefälle anzuwenden. Österreich ■'machte das Zugeständnis, daß der Einheitswert, der weit unter dem Ver- '■ kehrswert liegt, angenommen wird. Diese großzügige Auslegung wurde nicht überall verstanden und gebilligt, und, wie man sieht, von deutscher Seite nicht gewertet.

Beim Abschluß des österreichischdeutschen Vermögens Vertrages wurde im Schlußprotokoll einvernehmlich festgehalten, daß zu einem späteren Zeitpunkt Verhandlungen über die Fragen der Umsiedler, Heimatvertriebenen und politisch Verfolgten geführt werden. Von der ersten Gruppe wurde die Einbeziehung in den deutschen Lastenausgleich, von der zweiten Gruppe eine Wiedergutmachung nach den Bestimmungen des deutschen Bundesentschädigungsgesetzes verlangt. Nach dem Wirksamwerden des österreichischdeutschen Vermögensvertrages war allerdings sehr bald zu erkennen, daß man auf deutscher Seite an einer Bereinigung der im Schlußprotokoll aufgezeigten offenen Fragen kein sonderliches Interesse bekundete. Jedenfalls verliefen Verhandlungen im Juli 1958 in Bad Kissingen und im Jänner 1959 in Wien vollkommen ergebnislos.

Im Spätsommer 1960 zeigten sich die Deutschen zur Fortsetzung der Verhandlungen bereit, und in monatelangen Verhandlungen wurde ein drei Teile umfassender Vertragsentwurf erstellt. Der Teil I sollte den in Österreich lebenden Umsiedlern und Heimatvertriebenen eine sehr bescheidene Entschädigung, der Teil II eine Regelung für die politisch Verfolgten und der Teil III eine solche für die Sozialversicherung bringen. Hier geht es vornehmlich um einen Ersatz für die nicht unbeträchtlichen Reserven der Pensionsversicherung der Angestellten, die von den Deutschen im Jahre 1938 nach Berlin transferiert wurden und um eine Abgeltung des deutschen Beitrages, wie ihn das zweite österreichisch-deutsche Sozialversicherungsabkommen vom 11. Juli 1953 vorsieht. Offen waren lediglich die Zahlen, denn die deutschen Unterhändler erklärten immer wieder, keine Vollmacht zu besitzen, um über Zahlen reden zu können. Diese sollten eben erst von den Ministern in Bad Kreuznach festgelegt werden.

Zahlen sprechen

Der Vertragsentwurf bestimmte ausdrücklich, daß Österreich die zur Durchführung des Vertrages erforder lichen Gesetze erlassen werde. Für die unter Teil I des Vertrages fallenden Personen war eine Entschädigung nach dem Muster des Kriegs- und Verfolgungssachschadengesetzes (KVSG) in Aussicht genommen. Das heißt also, daß eine Entschädigung für die verlorene Wohnung und für die zur Berufsausübung erforderlichen Gegenstände gewährt worden wäre. Keine Entschädigung hätte es für Haus- und Grundbesitz, für Gewerbe- und Handelsunternehmungen, für industrielle Betriebe, für Spareinlagen, Wertpapiere, Versicherungspolizzen usw. gegeben. Unter solchen Umständen von einer befriedigenden Entschädigungsgesetzgebung sprechen zu wollen, wäre also höchst vermessen.

Nach sehr vorsichtigen Schätzungen würde sich bei einer Regelung nach dem KVSG für Umsiedler und Heimatvertriebene ein Erfordernis von etwa 3 Milliarden Schilling ergeben. Für die politisch Verfolgten war ein Aufwand von etwa 900 Millionen Schilling errechnet worden. Von österreichischer Seite stellte man sich für Teil I und II des Vertrages einen mindestens fünfzigprozentigen deutschen Beitrag vor. Die andere Seite bezeichnete ein solches Verlangen als unerfüllbar, ohne selbst aber einen konkreten Vorschlag zu machen. Als erschwerend kam hinzu, daß die deutsche Seite eine weitreichende Entfertigungsklausel forderte, um alle weiteren möglichen finanziellen Forderungen von österreichischer Seite zu unterbinden.

Legt man nun einen Aufteilungsschlüssel von je zur Hälfte diesen Berechnungen zugrunde, so hätte das bedeutet, daß für den Teil I des Vertrages die sieben Millionen Österreicher einen Beitrag von S 214 pro Kopf, die fünfzig Millionen Einwohner der Deutschen Bundesrepublik einen solchen von 30 Schilling pro Kopf aufzubringen hätten. Bei einem Aufwand von 900 Millionen für die politisch Verfolgten würde sich bei dem gleichen Schlüssel ein österreichischer Beitrag von 64 Schilling und ein deutscher Beitrag von 9 Schilling pro Kopf der Bevölkerung ergeben. Dabei muß be-

rücksichtigt werden, daß die Abwicklung des Vertrages in einem Zeitraum von fünf Jahren erfolgen sollte. Unter solchen Umständen kann wohl kaum von untragbaren finanziellen Lasten gesprochen werden.

Umstrittener Rechtsanspruch

Die deutsche Seite hat bisher mit einer kaum vorstellbaren Hartnäckigkeit jeden Rechtsanspruch der in Österreich lebenden Umsiedler und Heimatvertriebenen auf eine von der Bundesrepublik zu leistende Entschädigung bestritten. Daß die Republik Österreich diesem Personenkreis gegenüber eine Entschädigungpflicht hat, wird kaum jemand ernstlich zu behaupten wagen.

Man mag es auch nicht gerne hören — wir berufen uns auch nicht gern darauf —, so bleibt es doch eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß das Potsdamer Abkommen die Umsiedlung bestimmter deutscher Volksgruppen aus dem Osten und Südosten nach Deutschland statuierte. Ferner wird niemand bestreiten können, daß Adolf Hitler mit bestimmten Staaten Umsiedlungsverträge vereinbarte. Bei deren Durchführung waren die Umzusiedelnden verpflichtet, ihr Eigentum der offiziellen Deutschen Umsiedlungs- und Treuhandgesellschaft zur Verwertung zu überlassen und den durch diese Maßnahmen erzielten Erlös bekam das Dritte Reich in Form von Warenlieferungen. Den Betroffenen aber blieb man bis heute jeden Ersatz für das auf diese Weise verwertete Eigentum schuldig.

Am 23. Oktober 1954 wurde zwischen der Deutschen Bundesrepublik einerseits und Frankreich, England und den USA anderseits ein sogenannter ..Überleitungsvertrag“ abgeschlos sen. Im sechsten Teil dieses Vertrages hat die Deutsche Bundesrepublik die Verpflichtung übernommen, dafür Sorge zu tragen, daß die durch Konfiskationsschäden, die im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg stehen, geschädigten Personen entschädigt werden. Österreich gehört zwar nicht zu den Signataren des „Überleitungsvertrages“, aber innerhalb seiner Grenzen leben nicht weniger Geschädigte, wie etwa in Frankreich, England oder in den USA.

Eine nicht zu bestreitende Tatsache ist ferner, daß im März 1947 die westlichen Alliierten jeden weiteren Zuzug von Heimatvertriebenen aus Österreich in die damaligen westlichen deutschen Besatzungszonen sperrten. Ohne diese Maßnahme wären vermutlich noch zehntausende Vertriebene aus Österreich nach Deutschland weitergewandert. In Wien allein waren zum damaligen Zeitpunkt 12.000 Vertriebene zur Repatriierung nach Deutschland amtlich vorgemerkt. Wären sie vor dem 31. Dezember 1952 — Stichtag im Lastenausgleichsgesetz — nach Deutschland gekommen, könnte ihr Anspruch auf Leistungen aus dem Lastenausgleich überhaupt nicht bestritten werden.

Aber selbst wenn man in Bonn alle diese Argumente bestreitet, wird man doch das Rechtsgutachten des deutschen Rechtsgelehrten Professor Naumann kaum unbeachtet lassen können, der den Entschädigungsanspruch der in Österreich lebenden Umsiedler und Vertriebenen durch die Bundesrepublik als absolut gegeben bezeichnet.

Und was nun?

Eine offensichtlich von deutscher Seite in ein österreichisches Blatt lan- zierte Stellungnahme stellte die Sache so dar, als sei eine Fortsetzung der österreichisch-deutschen Verhandlungen überhaupt in Frage gestellt. Diese seltsamen Töne mußten in Wien aufhorchen lassen, ging es doch bei den letzten ? österreichisch-deutschen Ge- sprächen Ende März weniger um den vorbereiteten Entschädigungsvertrag als vielmehr um etwa zwanzig offene Fälle aus dem Vermögensvertrag, die nach deutscher Ansicht geregelt werden müßten. Auf österreichischer Seite bekundete man absolute Verhandlungsbereitschaft, mußte aber pflichtgemäß darauf aufmerksam machen, daß der Staatsvertrag nicht willkürlich ausgelegt werden könne. Um so größer war dann auf österreichischer Seite die Überraschung, von einer Absage der geplanten Ministerbegegnung in Bad Kreuznach zu hören.

Fast möchte man meinen, die deutsche Hochbürokratie sei gekränkt, weil es ihr bisher nicht gelungen ist, die Wünsche von etwa 20 Binnendeutschen durch Österreich erfüllt zu wissen, daß ihr aber das Schicksal und das Verlangen von 300.000 Umsiedlern und Vertriebenen und etwa 3 5.000 politisch Verfolgten vollkommen gleichgültig ist. Aus diesem Verhalten wird man auf österreichischer Seite die entsprechenden Schlüsse ziehen müssen und zu überlegen haben, ob eine Fortführung der Gespräche auf Beamtenebene überhaupt noch einen Erfolg verspricht oder ob man nicht eine Verlagerung auf die politische Ebene versuchen müßte.

Noch ist die Tür nicht endgültig zugeschlagen, aber die Verstimmung ist eine bedauerliche Tatsache. Mag sein, daß auch gewisse Dinge aus der jüngsten Vergangenheit hüben und drüben noch eine Rolle spielen. Damit ist aber weder dem freundschaftlichen Verhältnis zweier benachbarter Staaten noch den durch einen Krieg und wegen ihrer deutschen Muttersprache um ihr Hab und Gut gekommenen Menschen gedient. So gesehen, möchten wir von einem wenig schönen Zwischenspiel reden, denn eines sei abschließend noch einmal unmißverständlich festgehalten: Nicht Österreich hat eine rechtliche Verpflichtung zur Entschädigung der Umsiedler und Vertriebenen, denn sie wurden nicht als Österreicher aus der angestammten Heimat vertrieben, sondern als Deutsche. Mag man sich auch hintei einer noch so dichten Paragraphenwand verschanzen. Recht muß Rechl bleiben, und die Gerechtigkeit wird schließlich über einen ungesunden und unverständlichen Formalismus den Sieg davontragen.

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