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Wilsons schwere Operation

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In der Nacht von vergangenem Freitag auf Samstag muß sich das Kabinett Wilson zur bisher schwerwiegendsten wirtschaftspolitischen Entscheidung seiner Amtszeit durchgerungen haben. Samstag abends war es dann so weit: Premierminister Wilson und Schatzkanzler Callaghan gaben über den Rundfunk und das Femsehen bekannt, daß das Pfund Sterling von bisher 2,80 US-Dollar auf 2,40 US-Dollar abgewertet wird. Gleichzeitig wurde verlautbart, daß am Montag, dem 20. November, die Schalter der Banken geschlossen bleiben, damit sich die Verhältinisse etwas beruhigen können.

Um jeder weiteren Spekulation gegen das Pfund Sterling den Boden zu entziehen, hat die Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds einen sogenannten Stand-by-Kredit in der Höhe von 1,4 Mrd. US-Dollar und mit den Notenbanken der westlichen Industrieländer (Zehner-Club) einen Währungsstützungskredit im Betrage von 1,6 Mrd. US-Dollar ausgehandelt. Zur Dokumentation der Entschlossenheit der Regierung, der Zahlungsbilanzschwierigkeiten Herr zu werden, wurde außerdem die

Bankrate mit Wirkung vom 20. November auf acht Prozent erhöht, auf ein Niveau, das in Friedenszeiten seit langem nicht erreicht worden ist. Noch am Sonntag kündigten Israel, Irland und Dänemark an, daß auch sie die Währungen abwerten würden. Regierung und die City warteten gespannt auf das weitere Echo, das die brdtische Abwertung bei den ausländischen Notenbanken haben würde, und so mancher Bankier mag sich besorgt gefragt haben, ob London nicht etwa nur den Startschuß für eine weltweite Abwertungsrunde abgegeben hatte. Bis Sonntag abend hatte sich die internationale Währungslage insoweit geklärt, als die bedeutenden Industrieländer, unter ihnen die USA, die EWG-Länder, Japan und Schweden, bekanntgaben, daß sie keinen Grund für eine Abwertung ihrer Währung sähen. Eine gleichlautende Erklärung gab Österreich ab. Hingegen folgten Montag Spanien, Indien, Australien und Ceylon dem britischen Schritt und bis Montag abend (da dieser Bericht abgeschlossen werden mußte), war die Haltung der afrikanischen Mitglieder der Sterlingzone noch ungeklärt.

Das Ende der latenten Krise

Mit der Abwertung des Pfundes fand eine langjährige latente Krise ihren Abschluß (siehe Übersicht: Das Tagebuch einer vierjährigen Krise). Die vergangene Woche bildete lediglich den Höhepunkt und leitete mit der verunglückten Antwort des Schatzkanzlers Callaghan auf eine Anfrage im Unterhaus schließlich die Niederlage der Regierung in der Schlacht um das Pfund Sterling ein. Zwei sozialistische Abgeordnete, Mr. Joel Barnett und Mr. Robert Sheldon, brachten gegen den Rat dar „Einpeitscher“ am Donnerstaig morgen dringende Anfragen an den Premierminister und den Schatzkanzler wegen der Gerüchte um Verhandlungen eines weiteren Stützungskredites für das Pfund im Unterhaus ein. Zu ihrem Unbehagen mußte die Regierung zur Kenntnis nehmen, daß der Speaker eine Frage zur Beantwortung aufrufen würde. Nicht bewußt war dem Kabinett, daß zwei ähnlichen Anfragen, jene an den höherrangigen Minister, der Vorrang gebührt, in diesem Fall die an den Premierminister selbst. Als am Nachmittag die Sitzung des Unterhauses begann, war daher die Pressegalerie voll besetzt, da man eine wichtige Erklärung Mr. Wilsons erwartete. Journalisten und die Devisenhändler in der Zuschauergalerie waren völlig überrascht, als nicht der Premierminister, sondern der Schaitzkianzler sich anschickte — entsprechend einem Kabinettsbeschluß vom Vormittag —, die Frage zu beantworten. Anstatt sich der übrigen Floskel von schwebenden Verhandlungen zu bedienen, gab

Mr. Callaghan namens der Regierung bekannt, daß die Gerüchte um den Währungskredit Pressegerüchte seien, welche weder bestätigt noch verneint werden können.

Diese lahme Erklärung, die zudem völligen Mangel an psychologischer

Einsicht in das Verhalten der Devisenhändler und an politischem Instinkt offenbarte, war schließlich dar Beginn einer enormen Spekulation gegen das Pfund, die bloß drei Möglichkeiten offen ließ:

• Beibehaltung der Parität des Pfundes mit Hilfe eines riesigen Währungsstützungskredites und eine harte Deflation,

• Abwertung des Pfundes um 30 Prozent mit dem Risiko, daß die wichtigsten Handelspartner ihrerseits die Währungen abwerteten.

• eine milde Abwertung von rund 15 Prozent, verknüpft mit einer Drosselung der Binnennachfrage.

Die Regierung hat die dritte Möglichkeit gewählt.

Ein Bündel von Faktoren

Wer versuchen wollte, die Abwertung des Pfundes auf eine einzige Ursache zurückzuführen, würde entweder nur einen Teil der Wahrheit sehen oder zu einem gänzlich falschen Urteil gelangen. Immerhin lassen sich aus dem Bündel von Faktoren, die zusammentrafen, um die Abwertung schließlich auszulösen, drei wirtschaftliche und ein innenpolitischer herauslösen.

Ein Grund liegt einfach darin, daß Großbritannien seit Jahren mehr Geld im Ausland ausgab als es dort verdiente. (Mit Großbritannien ist hier dte Summe aller britischen Firmen, Touristen und der Staat — Militärausgaben — gemeint.) Deshalb wies die Zahlungsbilanz des Landes ständig ein Defizit auf. Britische Güter sind im Export heuer durchschnittlich um 20 Prozent teu-

per als vor zehn Jahren, wogegen die Exportpreise in der Bundesrepublik Deutschland nur um 13 Prozent, in den USA nur um elf Prozent stiegen; in Frankreich betrug diese Preissteigerung lediglich vier Prosen*, und toi Italien und Japan sind

die Exportpreise gar gefallen. Da aber schon vor zehn Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Güter auf dem Weltmarkt zu wünschen übrig ließ, hat sich eine un-

befriedigende Handelsbilanz noch verschlechtert.

Die zweite Ursache der Pfundabwertung ist in der Überforderung des Pfundes in seiner Rolle als Reservewährung des bestehenden Welt-währungssystems zu suchen. Ein großer Teil der Devisenreserven der Welt wird in Form von Sterlingwechseln gehalten — und viele Besitzer von Sterlingwechsel, in erster Linie die Notenbanken, verkaufen sie, weil ihr Vertrauen in das Pfund Sterling erschüttert ist. Sie reagieren genau so wie ein kleiner Sparer, der das Gerücht hört, seine Sparkasse habe schlecht gewirtschaftet und könne ihm seine Einlage nicht mehr zur Gänze zurückzahlen: sie gehen zur Sparkasse und verlangen ihr

Geld und lösen damit erst recht eine Krise aus.

An dieser Überforderung des Pfundes als Reservewährung trifft die britische Wirtschaft oder Politik nun keinerlei Schuld. Die liegt vielmehr in der Starrheit des bestehenden Währungssystems; diese könnte nur beseitigt werden, wenn entweder das Angebot an internationalen flüssigen Mitteln erhöht oder die Wech-

selkurse flexibler als heute gemacht würden. In der unzureichenden Gestalt des internationalen Währungssystems liegt nämlich die dritte Ursache der Pfundabweritung; die brdtische Wirtschaft büßt nach Ansicht britischer Fachleute die Tatsache, daß die Währungsordnung gegenwärtig noch starrer ist als sie in der Währungskonferenz von Bretton Woods 1944 konzipiert worden ist, und dafür, daß der Vorschlag des großen Ökonomen Keynes, den Währungsfonds zu einer Art Supernoten-bank zu machen, am nordamerikanischen Widerstand gescheitert ist.

Verlorene Reserven

Wahrscheinlich hätte die Abwertung vermieden werden können,

wenn diese grundsätzlichen Faktoren nicht durch einige kurzfristige überlagert worden wären. Seit Beginn des israelisch-arabischen Krieges Anfang Juni verlor die Bank of England unvorhergesehen etwa 100 Millionen Pfund an Währungsreserven; eine ebensolche Summe büßte sie durch den Streik der Hafenarbeiter von London und Liverpool ein, der am 18. September begann. Vielleicht

hätte das Pfund Sterling die Krise noch einmal überstanden. Aber In den Reihen der Arbeiterpartei verstärkte sich die Kritik an der Wahrungspolitik des Premierministers. Man warf ihm vor, wegen der Parität des Pfundes alle übrigen legitimen Ziele der Wirtschaftspolitik zu vernachlässigen. Es ist durchaus möglich, daß diese Kritiker, untef ihnen Außenminister Brown, Innenminister Jenkins, Handelsministef Crosland und Unterhausführer Cross~ man, diesmal die Oberhand behielten. Die Entwicklung scheint die Auffassung der Kritiker zu bestätigen: Denn das Wachstumspotential der Wirtschaft wäre schon längst von der Zwangsjacke der Rücksicht auf den Pfundkurs befreit.

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