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Wind um die Nase wehen lassen

Das Konzil ist seit eineinhalb Jahren beendet. Verdächtigt, geduldet ertragen, unterstützt, zu guter Letz bedankt, hat die verantwortliche aber freie Presse im Raum der Kirche eine Förderung erfahren, di angesichts bestimmter Erklärunger und Vorgänge nicht vorauszuseher war. Für die Presse, Informationsorgan und Spiegel der öffentlicher Meinung, brach ein Frühling an Knospen sprossen hervor, Bluter gingen auf, denn ein neuer Saft — oder vielmehr der wahre Saft — durchströmte den jahrhundertealter Baum der kirchlichen Gesellschaft, Sind aber die Früchte gereift? Information, öffentliche Meinung, offenes Wort in der Kirche — gibt es sie genau so, und vielleicht sogar noch mehr als früher? Haben Verurteilungen, Verdächtigungen, Klagen, Stillschweigen — dieser Märzschnee auf die Frühlingsblüten — die Atmosphäre nicht erkalten lassen? Mit anderen Worten, hat die nachkonzi-liare Kirche das „Aggiornamento“ hinsichtlich der Ausübung unseres Berufes weiterverfolgt? Gab es nicht einige, die in Frage stellen wollten, was wir endgültig und gerechterweise errungen zu haben glaubten?

Gewiß, das Konzil war ein Höhepunkt für die Presse und vor allem für den katholischen Journalisten, Drei Dinge haben ihm besonders geholfen: das Beispiel der Konzilsväter, die Arbeitsmethoden der Weltpresse und das Bewußtwerden einer dynamischen, beruflichen Solidarität. Aber jetzt, wo jeder Bischof mit seinen eigenen Problemen zu tun hat, wo die Weltpresse ihre Schlaglichter auf andere Ereignisse lenkt, wo jeder Journalist sich selbst überlassen zu sein fühlt, wie steht es da mit der Information, der öffentlichen Meinung in der Kirche? Gibt es einen Fortschritt, tritt man auf der Stelle oder verzeichnet man einen Rückgang? Ich maße mir da nicht an, mit einem kategorischen Ja oder Nein zu antworten. Es müßte ein jedes Land einzeln und besonders auch der Vatikan studiert werden.

Ich möchte hier nur zwei Beispiele anführen, die nicht in unserer Nähe geschehen sind: 1. Der Kardinalerzbischof von Bogota entzieht zwei Geistlichen die Leitung einer Wochenzeitschrift, ohne mit ihnen ein Gespräch zu führen, weil, behauptete er, Berichterstattung und Kommentare gewisse Leser skanda-lisderten und weil sie Schaden anrichteten. 2. Der Bischof von Lerida in Spanien strengt einen Kirchenprozeß wegen Beleidigung gegen vier Priester an, die der Öffentlichkeit die Lebensbedingungen der Bauern zur Kenntnis gebracht hatten, die auf 9000 Hektar Land — dem Eigentum einiger Domherren — arbeiten. Er warf diesen Geistlichen vor, mit dem offenen Brief „die Diözese und Spanien entehrt zu haben“.

Wir haben hier ein gutes Beispiel für zwei Gründe, die innerhalb der Kirche oft angeführt werden, wenn es darum geht, die Presse, die Berichterstattung und auch die öffentliche Meinung am Gängelband zu führen: das Ärgernis und die christliche Ehre.

Beide Gründe haben ihr Gewicht und ihren Adel. Kein verantwortungsbewußter Journalist wird behaupten, er könne alles sagen, jedwedem, gleichwie und gleichwann. Jeder von uns hat schon einmal, zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Laufbahn, Gewissensfragen gehabt. Es ist jedoch in erster Linie an uns, sie zu lösen, im Lichte unseres christlichen freien und verantwortlichen Gewissens, im echten Anstreben des Gemeinwohls, gemäß den Forderungen unseres Berufes. Es bedarf manchmal eines größeren Mutes, zu sprechen als zu schweigen.

Der Journalist hat jedoch den Eindruck, als seien das ihm abverlangte Stillschweigen oder der Rat, um eine Sache herumzureden, oft mehr aus der Furcht und dem Mißtrauen oder aus dem Kleinmut heraus diktiert: man dürfe die Wasser, die man ruhig haben will, nicht aufwühlen; aber ehe man sich's versieht, sind die Wasser faul geworden.

Eine der Tatsachen, die mich in meinem Beruf als Publizist am meisten bekümmert haben, ist, daß man sich oft des Eindrucks nicht erwehren kann, für manche Bischöfe bestehe das Übel darin, die Dinge zu sagen und nicht darin, sie zu tun.

Es gibt in gewissen Kirchenkreisen auch Themen, die tabu sind. Es werden deren jedoch immer weniger. Denken Sie an all die Fragen, die heute in den Zeitungen behandelt werden, und die man vor einigen Jahren noch nicht anzuschneiden wagte oder anschneiden konnte: Priesterzölibat, Geburtenkontrolle, Priesterausbildung, Regierungs-niathoden, theologische Strömungen, Dialog mit den Kommunisten, Verwendung der kirchlichen Gelder.., Ich will damit nicht sagen, daß diese öffentlichen Diskussionen nicht auch nachteilig wirken und daß sie stets mit der nötigen Objektivität, Maßhaltung und Klugheit geführt werden. Der Journalist schafft diese Probleme nicht, er stellt sie fest. Ist es nicht gerade unsere Aufgabe, der Gesellschaft zu sagen, was in ihrer Mitte vor sich geht? Wie der Wächter des Nachts in seinem Turm, von dem die Schrift spricht, so auch der Journalist. Die ganze Stadt stellt ihm die Frage: „Wächter, was geschieht in dieser Nacht? Was kündigst du uns für morgen an?“ Der Wächter schuldet der ganzen Stadt die Wahrheit, ob angenehm oder unangenehm. Wenn er, da er diese Wolken und jenes Licht in der Dämmerung beobachtet, Nebel, Sturm oder Hagel voraussagt: wer in der Stadt wird ihm vorwerfen, schlecht Wetter gemacht zu haben?

Dem Journalisten aber, der sagt, was er sieht und voraussieht, wirft man vor, Unruhe zu stiften, Ungeduld und Aufruhr zu beschwören. Man macht ihm zum Vorwurf, Probleme künstlich aufzuwerfen, die es ohne ihn überhaupt nicht gäbe. Das ist nicht richtig. Nicht der Journalist schafft die Probleme, sondern das Leben bringt sie hervor und legt sie dem Menschen auf. Der Journalist spricht nur die Warnung aus. Er ist der objektive Berichterstatter, der oft unter dem ruhig fließenden Wasser neue Strömungen entdeckt, die eines Tages gewaltsam an die Oberfläche kommen werden. Der Vogel-Strauß-Journalist dient der Gesellschaft und der Kirche nicht; er ist ein Verräter an seinem Berufe.

Weil die Kirchenpresse, die katholische Presse, aus taktischen und kurzsichtigen Gründen oft die wahren Lebensprobleme nicht behandelt oder nicht behandeln darf, ist sie nicht lebensnah und hat deswegen auch keinen Einfluß auf die öffentliche Meinung.

Die Menschen, und vor allem die Katholiken, verlangen eine Antwort von der Kirche. Und jetzt hat die Kirche durch das Konzil erkannt, daß sie nicht auf alle Fragen der Menschen fertige Antworten hat, daß sie sich auch nicht mehr anmaßt, ihnen für die Verwirklichung der weltlichen Ordnung die besten Lösungen anzubieten. Einem konkreten Problem gegenüber, wie dem der „Pille“, auf das1 früher die Antwort noch eindeutig war, sucht die lehrende Kirche noch immer die Entscheidung und zögert sie hinaus. Die Kirche ist nicht nur eine pigernde Kirche, sie ist auch eine suchende Kirche. Das Bild der Obrigkeitskirche, der allwissenden und allbefehlenden Kirche, ist zerbrochen. Es ist schwierig geworden, das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Ordnung, Geist und Struktur zu finden.

So ist die öffentliche Meinung in der Kirche von heute besonders aktiv, manchmal sogar verwirrend. Sie zeigt den Umbruch an, das „InFrage-Stellen“, das sich in jedem edinzelmen Christen wie in der Gemeinschaft im allgemeinen vollzieht. Die Autoritätskrise oder die Gehorsaroskrise — man weiß wirklich nicht, wie man dieses Phänomen am besten anpacken soll — ist nur eine Seite dieser Situation. Sie wird wahrscheinlioh leichter überwunden, wenn man den Mut und die Mittel aufbringt, die vorhandenen Probleme au lösen, bevor die Autorität bestritten und der Gehorsam gemessen wird.

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