6612028-1955_06_05.jpg
Digital In Arbeit

Wir wollen uns kritisieren...

Werbung
Werbung
Werbung

Rom, Ende Jänner 1955.

In den Statuten der KPI (Kommunistischen Partei Italiens) findet sich eine Bestimmung, nach der der Parteikongreß mindestens in jedem zweiten Jahr einzuberufen ist. Der letzte, siebente, hat im April 1951 stattgefunden, der achte wäre demnach seit langem überfällig. Dennoch begnügte sich das Zentralkomitee mit der Einberufung einer bloßen Konferenz von 1143 Delegierten in das Teatro Adriano in Rom. Die Begründung war kurios genug: die Vorbereitungen hätten schon vor mehr als einem Jahr begonnen und man habe doch nicht die Delegierten für einen Kongreß so lange Zeit voraus wählen können.

Die Ausweichlösung bietet dem Zentralkomitee zweifellos große Vorteile: zunächst werden die Delegierten an der Konferenz nicht von der „Basis“ gewählt, sondern von oben ernannt; ihren Beschlüssen kommt nur beratender Wert zu, sie können von der Parteiführung angenommen werden oder auch nicht; vor allem aber steht der Konferenz nicht die Neuwahl der Funktionäre des Zentralkomitees zu. Nicht daß der politische Sekretär in diesem Punkt irgendwelche Ueberraschungen zu befürchten hatte; die von ihm vorgeschlagene Liste wäre wie immer unter tosendem Beifall approbiert worden. Aber ihre Aufstellung hätte innerhalb des Zentralkomitees und der Gruppen ein vorsichtiges Dosieren, ein langes Verhandeln und schließlich volle Uebereinstimmung gefordert, für die Togliatti in diesem Augenblick nicht die günstigsten Voraussetzungen sah. Der italienische Kommunismus befindet sich in keiner glücklichen Periode. Innere Krisen sind ihm schon oft nachgesagt und dann durch die Tatsachen dementiert worden. Vereinzelte Desertionen, von denen der sensationelle Abfall eines Cucchi und eines Magnani während des Kongresses 1951 den meisten Staub aufgewirbelt hat, blieben ohne tiefgreifendere Wirkungen. Eine gewisse Fronde gegen das Zentralkomitee hat sich auch jetzt wieder bemerkbar gemacht, aber es sind andere Umstände, die berechtigen, von krisenhaften Erscheinungen zu sprechen.

Die KPI ist bisher nach den Regeln eines strenggläubigen Stalinismus und Zentralismus geführt worden, deren einziger Prophet Palmiro Togliatti war. Sie steht nun vor der Notwendigkeit, sich einerseits einer neuen internationalen Situation anpassen zu müssen und auf der anderen Seite einen Wandel in ihrer inneren Struktur vorzunehmen. An Anzeichen dafür kann in der Aufforderung an die Konferenz erblickt werden, verschiedene Statutenänderungen vorzuschlagen, die dem neuen Prinzip der gemeinschaftlichen Führung Rechnung tragen sollen. Der Gedanke an das Triumvirat in Moskau, das die Alleinherrschaft Stalins abgelöst hat, drängt sich von selbst auf. Welcher neuen internationalen Lage drängt die Welt zu? Orientiert sie sich einer friedlichen Koexistenz und damit der Aufrechterhaltung des Status quo in Europa und in Asien zu? Das würde mit sich bringen, daß der Kommunismus in Italien viel von dem revolutionären Mythos aufgeben müßte, der besonders auf die Jugend große Anziehungskraft ausgeübt hat. Der offizielle Rechenschaftsbericht mußte ohnehin zugeben, daß die Zahl der Mitglieder in den Jugendorganisationen um 12.000 geringer ist, als sie es im Jahre 1951 war. Die letzten Wahlen an der Universität Rom haben ebenfalls eine bezeichnende Niederlage der kommunistischen Liste gebracht. Der Verzicht auf den aktiven Kampf würde außerdem die Parteiführer der Kritik aussetzen, so wie nur während der Fahrt mit dem Trambahnfahrer nicht gesprochen werden darf.

Die „revolutionäre“ Selbstkritik“ spielte auf der Konferenz eine große Rolle. „Wir wollen uns kritisieren und werden uns kritisieren“, erklärte Togliatti in seiner Rede mit sanftem Augenaufschlag. An Anlässen fehlt es freilich nicht. Der Kampf gegen die westeuropäische Union ist von der Kommunistischen Partei Italiens in und außerhalb des Parlaments mit für die „Basis“ unerklärlicher Unsicherheit, mit Zögern und erstaunlich geringem Erfolg geführt worden. Man hatte sich von der größten kommunistischen Partei im demokratischen Europa, von der zweitgrößten Massenpartei Italiens mehr erwartet. Italiens KP zählte 1951 2,5 36.000 Mitglieder und Ende 1954 2,576.000; eine imponierende Zahl, wenn auch die Zunahme in der Zeitspanne von vier Jahren geringer ist, als die auf dem Kongreß 1951 beschlossene und ohne Kräfteersparnis durchgeführte Durchdringung des Südens erwarten hätte lassen. In der „Unitä“ stand zu lesen — in der Neujabrs-nummer schrieb es ein gewisser Federico Moretti —, daß der parlamentarische Kampf gegen die Ratifizierung der Pariser Verträge die Genossen desorientiert habe. Und ein G. Petroc-chi wirft die Frage auf: „Wieso kommt es, daß unsere Wahlerfolge wachsen, während die Teilnahme am Leben der Partei immer geringer wird?“ Es handelt sich hier um den Versuch, die Schlaffheit der politischen Führer mit der zur nehmenden Interesselosigkeit unter den Parteianhängern zu kompensieren. Aber nicht die Senilität Togliattis war schuld, wie antikommunistische Blätter schrieben, daß im Palazzo Montecitorio „schlapp gemacht wurde“. Die Erklärung ist einfach die, daß die KPI nicht recht wußte, nach welchen Fischen sie angeln sollte, und so geschah das, was am wenigsten hätte geschehen dürfen: die vollständige Isolierung der linksextremen Opposition gegenüber der deutschen Aufrüstung. Nicht die Liberalen, nicht die Sozialdemokraten, nicht die Nationalisten, nicht einmal die Monarchisten waren bereit, ihr zu folgen. Das französische Beispiel hat keine Schule gemacht.

Die präzisen Anweisungen aus Moskau waren ausgeblieben und konnten in dieser Situation vielleicht gar nicht gegeben werden. Es wäre übrigens nicht das erste Mal, daß das Zentralkomitee von den Ereignissen überrascht wurde. Noch am Vorabend des Ausschlusses Titos aus der Kominform wurde der Marschall in einem kommunistischen Abendblatt mit einer huldigenden Artikelserie gefeiert. Arge Verlegenheit hatte das Angebot der Sowjetunion hervorgerufen, dem Atlantikpakt beizutreten, der noch am Tage zuvor als Kriegsinstrument des westlichen Imerialismus erklärt worden war. Und um ein weniger weit zurückliegendes Beispiel zu nennen: die überraschende Billigung des Triester Abkommens vom 5. Oktober seitens der Sowjetunion überraschte am meisten die Kommunistische Partei. Hätte man sie vorausgesehen, würden wohl auch einige peinliche Folgen vermieden worden sein. Der Führer der KP im ehemaligen Freistaatgebiet, Vittorio V i d a I i (eine große Nummer der Kommunistischen Internationale, Spanienkämpfer, angeblich bei der Liquidierung Trotzkis mitbeteiligt), zeigte plötzlich wenig Lust, seine Reichs-unmittelbarkeit aufzugeben und sich Togliatti, von dem er, scheint es, keine allzu große Meinung hat, unterzuordnen. Seltsam genug, Moskau hat die Autonomie Vidalis bestätigt, und dieser konnte auf der Konferenz wie ein ausländischer Gast begrüßt werden.

Erfolglos war der Versuch geblieben, mit den Katholiken ins Gespräch zu kommen. Umsonst hatte die „Unitä“ dem Dialog mit den ACLT, den Arbeitern in der Katholischen Aktion, Seiten um Seiten überzeugender Worte gewidmet. Doch ärgerlicher war der Rückschritt der kommunistischen Positionen auf gewerkschaftlichem Gebiet, so bedrohlich, daß sich die „Selbstkritik“ ausführlich mit diesem Problem beschäftigen mußte. „Die Parteileitung hat sich mehrmals mit den ernsten Mängeln in der gewerkschaftlichen Arbeit befaßt. Die Diskussionen darüber müssen noch vertieft werden, um von den Kommunisten einen wirksameren Beitrag zur Ueberwindung der Fehler zu erhalten.“ Der Konkurrenzkampf zwischen der kommunistisch geführten CGIL und dem freien Gewerkschaftsbund CISL hat für den letzteren entschiedene Gutpunkte gebracht. Besonders auffällig ist die Stärkung der CISL bei den Betriebsrätewahlen in den metallverarbeitenden Industrien zum Ausdruck gekommen, bei den großen „Monopolen“ wie S. Giorgio, Borletti, Pirelli, Montecatini, bei der Snia Viscosa, bei den Fiat-Werken. In der Flugzeugabteilung der Fiat-Avio hat der CGIL nicht einen einzigen Sitz erringen können. Der kommunistische Gewerkschaftsführer Di Vittorio hat als Erklärung den vom „Patronat“ ausgeübten Terror angegeben; sollte dies der Fall sein, so würde es bedeuten, daß der CGIL auch in dieser Hinsicht seine Monopolstellung nunmehr verloren hat. Der Führer der Linkssozialistischen Partei, Pietro Nenni, war bei der feierlichen Konferenzeröffnung nicht anwesend. Manche Beobachter wollten darin einen weiteren Hinweis erblicken, daß das Schutz- und Trutzbündnis zwischen PSI und PCI nicht mehr so enge ist wie vordem. Togliatti sagte in seinem Bericht: „Die Verbindung mit dem PSI bleibt weiterhin enge, aber sie muß gehütet werden, damit sie nicht verlorengeht oder geschwächt wird.“ Die Zunge sucht den schmerzenden Zahn, heißt es in einem italienischen Sprichwort. Anzeichen für eine stärkere Nuancierung in der Politik der beiden Parteien liegen vor: Nennis weniger intransigente Haltung gegenüber den Pariser Verträgen, die ihm, mit der EVG verglichen, als das kleinere Uebel erschienen, oder die nicht unbedingte Ablehnung des Zehnjahresplanes Vanonis. Jedoch, wie ein anderes Sprichwort sagt, „wenn es Rosen sind, werden sie blühen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung