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Wird ein „Ketzer" rehabilitiert?

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Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart, dem es um die Geburt Gottes in der Seele des Menschen ging, hätte unserer Zeit viel zu sagen.

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Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart, dem es um die Geburt Gottes in der Seele des Menschen ging, hätte unserer Zeit viel zu sagen.

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dieFurche: Warum zieht. Meister Eckhart, der dominikanische Mystiker, Denker und Prediger aus dem 13. Jahrhundert, immer noch viele Menschen in seinen Bann?

Wackernagel: Dafür gibt es mehrere Gründe. Meister Eckhart war zunächst ein Mystiker, der uns angesichts unserer kurzlebigen Zeit viel zu sagen hat. Er wußte, wie man intellektuelle Gotteserfahrang mit der Lebenspraxis vereint. Von ihm kann man lernen, ein Gleichgewicht zwischen tun und lassen zu finden. Wer sich innerlich löst, kann unbefangen denken und wirken.

Zugleich war er ein begnadeter „Redemeister". In seinen lateinischen und deutschen Schriften hat er neue Begriffe geprägt, von denen sich noch Denker unserer Zeit inspirieren lassen. In unserer Welt der Paradoxe erscheinen Eckharts Gedanken geradezu modern. So war er bemüht, Widersprüche auszugleichen. Durch innere Schau wollte er Gegensätze auf eine höhere Ebene bringen, ohne sie doch aufzulösen. These und Antithese münden bei ihm in eine „geistige Erhebung". In gewissem Sinne hat er bereits dialektisch gedacht.

dieFurche: Wer war Meister Eckhart und warum geriet er mit dem Lehramt in Konflikt?

Wackernagel: Man weiß, daß er um 1260 bei Tambach südlich von Gotha zur Welt kam. Eckhart trat ins Dominikanerkloster von Erfurt ein. Um 1300 wurde er als „Meister", das heißt als Doktor der Theologie und Philosophie, nach Paris berufen. Seine Predigten in deutscher Sprache wurden immer wieder abgeschrieben und fanden weite Verbreitung. Da ist es nicht verwunderlich, daß sich dabei manche Fehler einschlichen, die Eckhart später in den Verdacht der Ketzerei geraten ließen.

dieFurche: Warum ist er bei der Inquisition angeeckt?

Wackernagel: Noch nie hat die Inquisition eine so hoch stehende Persönlichkeit der Häresie beschuldigt. Anfangs haben sicher auch politische Spannungen, Eifersüchteleien und Intrigen mitgespielt. Der politische Hintergrund liegt in der verbissenen Bivalität zwischen dem Papst Johannes XXII. in Avignon und dem „Kaiser und Ketzer" Ludwig dem Bayern. Im Jahr 1326 schritt der Erzbischof von Köln dann gegen Eckhart ein. Er lud ihn vor sein eigenes Tribunal. Die Untersuchung wurde von zwei Franziskanern geführt. Damals herrschte eine große Bivalität zwischen diesen beiden Orden.

Es kam allerdings zum Inquisitionsverfahren, weil er von Mitgliedern des eigenen Ordens denunziert wurde. Man wollte Eckharts Buf untergraben. Mehrere Prozesse haben stattgefunden. Lange Listen mit vermein -lich ketzerischem Gedankengut wurden zusammengestellt. Schließlich blieben 28 häretische Thesen übrig, die Johannes XXII durch eine Bulle verurteilte. Man hatte einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen. Selbst in der Bibel finden sich einige Stellen, die skandalös wirken können, wenn man sie einseitig zitiert. Es war sehr gefährlich, der Ketzerei bezichtigt zu werden. Man mußte nicht nur um sein Werk sondern auch um Leib und Leben fürchten.

dieFurche: War Meister Eckhart wirklich ein Ketzer?

Wackernagel: Nein. In seiner Verteidigungsschrift sagt er: „Ich kann mich irren (weil irren ja menschlich ist), aber ich kann kein Ketzer sein. Das erste hängt vom menschlichen Verstand ab, und der menschliche Verstand ist schwach (und man kann sich irren). Das zweite aber hängt vom Willen ab." Mit seinen gewagten Äußerungen wollte er die Kirche nicht angreifen, sondern gewissermaßen den Staub der Jahrhunderte von ihr abschütteln. Im kirchlichen Sinn war Eckhart bestimmt kein Be-volutionär, wie ein Savonarola oder ein Luther. Heute erscheint manchen der Vorwurf der Ketzerei fast schon ein Kompliment zu sein. Ich denke an Giordano Bruno und Spinoza bis zu Hans Küng und Eugen Drewermann.

dieFurche: Gibt es Bestrebungen innerhalb der Kirche, den Meister wieder zu rehabilitieren, wie vor einigen Jahren Galileo Galilei?

Wackernagel: Vor etwa 15 Jahren hat sich ein englischer Dominikaner dafür eingesetzt, eine Eckhart-Kom-mission mit verschiedenen Spezialisten zu bilden. Das Ergebnis ist ein dicker Band, der den Titel „Der deutsche Eckhart, ein gelehrter und heiliger Mensch" trägt. Der Titel zeigt schon, daß Eckhart eigentlich heilig gesprochen werden sollte.

dieFurche: Manche mögen in Meister Eckhart einen Brückenbauer zwischen verschiedenen Religionen sehen

Wackernagel: Nicht nur zwischen verschiedenen Weltanschauungen sondern auch zwischen unterschiedlichen Strömungen unserer eigenen Kultur. 'Vor kurzem hat in Hannover ein Kolloquium mit dem Titel „Die Seele in der Moderne" stattgefunden. Dabei hat man sich immer wieder auf Meister Eckhart bezogen, weil er das Philosophische und das Therapeutische mit dem Seelsorgerischen zu verbinden wußte. Er ist eine religiöse Integrationsfigur. So hat sich zum Beispiel der bekannte Beligionswissen-schaftler Budolf Otto bei seinem Vergleich mit Shankara, einem Hauptvertreter hinduistischen Vedismus aus dem 9. Jahrhundert, auf Meister Eckhart bezogen. Er sah Parallelen zwischen dem Verhältnis von Atman, der Seele des einzelnen, zu Brahman ™ dem schöpferischen Prinzip.

Auch Denker aus dem Osten, wie D. T. Suzuki, sprechen von der Nähe der Gedankenwelt Eckharts zum Buddhismus. Andere Forscher haben Parallelen zwischen den islamischen Denkern und dem deutschen Mystiker aufgezeigt. Ich denke an den großen arabischen Philosophen und Arzt Averroes (Ibn Buschd) aus dem zwölften Jahrhundert. Averroes, der die Lehren des Aristoteles mit arabisch-islamischem Denken verband, hatte großen Einfuß auf Eckhart. Im Judentum war Maimonides ein Vorbild für ihn, der ebenfalls versuchte, seinen Glauben mit dem aristotelischen Denken zu verbinden.

dieFurche: Wer Meister Eckhart liest, findet auch in unserer eigenen Kultur viele verborgene Schätze spiritueller Erfahrung wieder...

Wackernagel: Ja, das habe ich selbst in ähnlicher Weise als Fünfzehnjähriger erfahren. Damals interessierte ich mich mehr für Tibet, Yoga und Zen als für die abenländische Tradition. Durch ein Buch des indischen Autors Ananda K. Coomaraswamy, in dem er Ost und West miteinander vergleicht, erfuhr ich dann erstmals von Meister Eckhart. Auch die Schriften des Zenmeisters D. T. Suzuki haben mich wieder zurück zum abendländischen Denken geführt. Im Grunde kann ein Dialog mit anderen Weltanschauungen nur fruchtbar werden, wenn man in seiner eigenen Kultur verwurzelt bleibt.

dieFurche: Hat Eckhart auch in der neuen Literatur Spuren hinterlassen?

Wackernagel: Ja, er hat zum Beispiel Bobert Musil beeinflußt, der das Leben als Experiment ansah. Sein Grundthema war eine scharfe, wenn auch ironische Analyse des modernen Menschen in der zusammenbrechenden Donaumonarchie. Lange fehlte ihm für sein Hauptwerk der richtige Titel. Als begeisterter Eckhartleser hat er von diesem dann den Titel „Der Mann ohne Eigenschaften" übernommen. Allerdings hat Musil die Idee der Eigenschaftslosigkeit anders verstanden. Für ihn ist ein eigenschaftsloser Mensch jemand, der verloren ist. Bei Eckhart hingegen bedeutet eigenschaftslos sein, sich selbst gefunden zu haben.

dieFurche: Hätte Meister Eckhart den suchenden Menschen unserer Tage nicht einiges zu sagen?

Wackernagel: Vor allem kann er uns helfen, in der offensichtlich großen Sehnsucht nach Mystik nicht in die Irre zu gehen. So sind zum Beispiel auch Eckharts „Beden der Unterweisung" zugleich „Beden der Unterscheidung". Er meint, daß es gerade im spirituellen Leben wichtig sei, zwischen Gefühl und Verstand zu differenzieren und einen klaren Kopf zu bewahren. Auch wenn es um die Gotteserfahrung geht, gelingt es Meister Eckhart, jede Form von Einseitigkeit zu vermeiden.

dieFurche: Erich Fromm schreibt, Meister Eckhart habe die Lebenshaltung des Habens und des Seins in einer Klarheit analysiert, die später nie wieder erreicht worden sein...

Wackernagel: Für Eckhart sind Sein und Leben eins. Es ist nicht so wichtig, was der Mensch tut, sondern was er ist. Fromm stellt das Sein in Gegensatz zur Haltung des Habens, zur Ichbindung und zum Egoismus. In Eckharts ethischem System sei die innere Askese die höchste Tugend, weil sie den Egoismus überwinde. Eckhart selbst lebte zwar in einem Bettelorden, trat aber nicht für eine harte Askese ein. Es ging ihm nicht darum, nicht von äußeren Dingen abzuhängen. Von Selbstkasteiung hielt er nichts, doch an der ungehemmten Besitzgier unserer Konsumgesellschaft würde ihm sicher die innere Leere mißfallen, die mit dem ständigen Anhäufen von Gütern einhergeht. Dadurch vergehen die innere Buhe und die Freiheit. Eckhart war eben ein Asket und zugleich ein lebensbejahender Mensch.

dieFurche: Welche Stellung nimmt Christus in Eckharts Werken ein?

Wackernagel: Für ihn war die Welt ein einziges Sprechen Gottes. Die ganze Schöpfung ist gottdurchflutet. Christus ist Vermittler und Beispiel schlechthin. Die ganze christliche Heilslehre ist bei Eckhart durch Christus vermittelt. Eckhart geht es vor allem um die „Gottesgeburt" in der Seele des Menschen. Im Innersten der Seele findet sich das „Seelenfünk-lein", mit dem der Mensch an Gott teilhat.

dieFurche: Aus der Sicht des Meister Eckhart erscheint das Weihnachtsfest als ein Fest der Geburt des göttlichen Kindes in unseren eigenen Seele...

Wackernagel: Zu Weihnachten, an dem ursprünglich die Wintersonnenwende und die Bauhnächte gefeiert wurden, beginnt mit der Bückkehr des Lichtes ein neues Erwachen der Natur. Auch in diesem Zusammenhang wird die Geburt des Heilandes zum Sinnbild der Gottesgeburt in der menschlichen Seele. Und da Gott nichts ist, müssen wir uns darauf einstellen, nichts zu werden, um mit Gott eins zu werden. Damit könnte das „aller Bilde entbildete" Seelenfünklein mit Maria gleichgestellt werden, die jungfräuliche Seele empfängt Gott: Sie war „schwanger vom Nichts, wie eine Frau mit einem Kinde, und diesem Nichts ward Gott geboren, der war die Frucht des Nichts". Damit Gott uns „den ganzen Abgrund seiner Gottheit und die Fülle seines Seins und seiner Natur offenbare".

Das Gespräch führte

Felizitas von Schönborn, freie Publizistin in Genf. Wolf gang Wackernagel ist promovierter Philosoph, schrieb zahlreiche Bücher und hat sich intensiv mit Meister Eckhart befaßt.

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