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Wirtschaft, Mensch, Enzyklika

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Im Jahre 1954 gab es in Österreich infolge mehrfacher Überschwemmungsgefahr Katastrophenalarm. Um für die Zukunft vorzusorgen, befaßte sich die Bundesregierung in den Jahren darauf mit den Grundsätzen innerstaatlicher Hilfs- und Rettungstätigkeit, was sich heute als zweckmäßige Vorarbeit für den seither über den einzelnen Staat hinaus notwendig gewordenen Zivilschutz erweist.

Die sieben Jahre österreichischer Rechtsentwicklung haben große Ähnlichkeit mit den 70 Jahren kirchlicher Lehrtätigkeit. Die industrielle Entwicklung und der technische Fortschritt des ausgehenden 19. Jahrhunderts führten zu derart umstürzenden Neuerungen, daß sie dem Alarmruf „Rerum novarum“ den Namen gaben. Vierzig Jahre später hatten sich die Verhältnisse so weit geklärt und beruhigt, daß die Grundsatzentscheidungen von „Quadragesimo anno“ möglich waren. Die drei Jahrzehnte, die seither vergangen sind, haben viele ganz neue Fragen aufgeworfen, auf die die Kirche als „Mater et Magistra“ Antwort geben muß.

Niemand behauptet, der Katastrophenalarm vom Jahre 1954 sei in Österreich die erste Maßnahme gegen Elementarereignisse gewesen, weil jedermann weiß, daß es lange zuvor Feuer- und Wasserwehren, Wildbach-verbauung und militärischen Hochwasserschutz gegeben hat. Genauso waren den ersten päpstlichen Sozialrundschreiben bedeutsame kirchliche Äußerungen und Entscheidungen vorausgegangen und hatten Gläubige — einzeln und gemeinsam — zu weiter und wirksamer Tätigkeit zugunsten gefährdeter oder hilfebedürftiger Mitmenschen veranlaßt.

Die Kirche, die sich als Mutter und Lehrerin vorstellt, ist allein in Europa schon der heidnischen und der christlichen römischen Herrschaft gegenübergestanden, hat germanische und fränkische Könige kommen und gehen sehen,; Revolutionen und Kriege überlebt; sie strebt erst das kommende Reich an, sie erschöpft sich daher' nicht in Tagesfragen und erliegt nicht der Vergänglichkeit des Augenblicks, sondern begründet ihre Aussagen aus der Tiefe der Vergangenheit, aus dem Abstand zur Gegenwart und aus der Verpflichtung gegenüber der Zukunft.

Bewohner des gleichen Hauses

In der Landwirtschaft, die zunächst von der Industrialisierung nicht betroffen und daher in den früheren Sozialenzykliken nicht ausführlich behandelt wurde, war der Durchschnittsbauer früher ein tüchtiger Mann, wenn er mit Familie und Personal außer den Seinigen auch noch zwei oder drei städtischen Familien den Jahresbedarf in Bausch und Bogen sicherstellte. Im volltechnisierten Betrieb bringt heute ein Mann die fünf-bis zehnfache Leistung zustande. So erklärt es sich, daß heute weniger Bauern mehr Bevölkerung ernähren als früher viele.

Über die Dichte des Kraftfahrzeugverkehrs kann uns ein Blick auf irgendeine Wiener Straßenkreuzung belehren. Die Verschlingung und Verknotung von Zu- und Abfahrten, Über- und Unterführungen an den Autobahnen ist geradezu ein Sinnbild immer stärker werdender Verflechtung. Wien hat täglich Dutzende von Luftverbindungen, darunter eine bis New York. Wenn die Flugzeuge noch etwas rascher fliegen, werden sie dort nach Ortszeit früher ankommen, als sie hier nach Ortszeit gestartet sind.

Für die Übertragungstechnik ist keine Entfernung mehr zu groß, und außerdem verdichtet der Selbstwählbetrieb den Fernsprechverkehr immer mehr. Auch die Ferngespräche selbst verdichten sich, denn das Koaxialkabel kann mehr als tausend und bald mehrere tausend Gespräche zugleich übertragen. Ein anderes Netz von Leitungen vermittelt Hunderte von Fernschreibanschlüssen; wie ein unentwirrbarer Knäuel kommt dem Nichtfach-mann ein Kabellinienverzweiger vor. „Die immer vollkommenere Organisation der modernen Nachrichtenmittel, der Presse, des Films, des Rundfunks und des Fernsehens, ermöglicht den Menschen überall in der Welt, auch an Ereignissen in weiter Ferne unmittelbaren Anteil zu nehmen.“ Johannes XXIII., der durch seine Menschlichkeit so sympathisch wirkt, hat dafür ein passendes Bild gefunden: Die Menschen sind zusammengerückt, „daß sie sich gleichsam als Bewohner ein und desselben Hauses vorkommen“.

Die Automation tritt uns am eindrucksvollsten in der elektronischen Rechenmaschine vor Augen, die in einer Sekunde Tausende von Multiplikationen durchführt und daher dem Menschen Rechnungen und Rechenreihen abnehmen kann, zu denen er Wochen, Monate und Jahre gebraucht hätte.

Die Atomphysik kann Vorgänge, für die naturgesetzlich ein jahrhundertelanger Ablauf vorgesehen war, dichtest gleichsam im Zeitraffer zusammenfassen, und Kräfte, die erst in ferner Zukunft freiwerden sollten, schon jetzt nutzbar machen. Nicht nur von sich aus kann ein Element wie das Radium seine Kerne zerstrahlen — nein, der Mensch kann Atome durch Beschuß so anschlagen, daß sie Kerne einer anderen Atomsorte werden müssen. Trotz der Konkurrenz von Kohle und Erdöl sind die Atomkraftwerke im Kommen.

Selbst die Satelliten des Erdballs verdichten sich, seitdem am 4. Oktober 1957 der erste künstliche Mond die Erde zu umkreisen begonnen hat und ihm weitere gefolgt sind, darunter bemannte, wie Wostok II Anfang August des vergangenen Jahres.

Auf dem Weg zum Superkartell

Wie die Technik, verdichtet sich die arbeitsteilige Wirtschaft; in ihr sind Handel und Verkehr die Vermittler zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Der Handel ist so sehr Grundlage der Vergesellschaftung, daß wir von Handelsgesellschaften auch dann sprechen, wenn in ihrer Rechtsform Unternehmen der Rohstoffgewinnung oder des Versicherungswesens betrieben werden. Der Handel entwickelt auch immer neue Formen der Zusammenarbeit: so schließen sich kleine und mittlere Betriebe zu Einkaufsgenossenschaften zusammen, deren Abnehmer sie selbst sind. Den Vorteil eines solchen festen Kundenkreises sichern sich Unternehmer des Großhandels dadurch, daß sie sich mit Einzelhandelsbetrieben in der Form der freiwilligen Kette zusammentun, wie wir an Spar-, Fachring, A und O überall sehen. Auch in anderen Ländern finden die Handelsketten Eingang und verdichten so die internationale Verflechtung.

Znm Bau und Betrieb von Eisenbahnen reichte selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika das Geld eines einzelnen nicht aus, sondern erst das vieler Gesellschafter. Mit der Zeit schlössen sich die einzelnen Eisenbahngesellschaften zu einigen wenigen großen Konzernen zusammen, wobei aber die einzelne Gesellschaft äußerlich selbständig blieb. Neben dem Horizontalkonzern, der, wie hier bei den Eisenbahnen, Unternehmen gleicher Art oder doch gleicher Stufe umfaßt, entwickeln sich Vertikalkonzerne, die sich zum Beispiel von der Kohlen- und Erzgrube über Hochöfen und Walzwerke, Maschinenfabriken usw. bis zur Eisenhandlung erstrecken, die auch Haus- und Küchengeräte verkauft. In der Stromversorgung ermöglicht die Verbundwirtschaft zwischen Wasser- und Kohlenkraftwerken die Deckung des

Spitzenbedarfs. Große Versicherungsgesellschaften sind an anderen Ges,elK Schäften beteiligt und entsenden einen ihrer Direktoren in deren Aufsichtsrat. Das amerikanische Mutterunternehmen legt Wert darauf, für seine Tätigkeit in Europa über eine Schweizer Holdinggesellschaft zu verfügen. Ging es gestern noch um das Behaupten im regionalen und nationalen Markt, so bringt das Heute die Notwendigkeit des Eindringens in fremde Wirtschaftsräume. Wirtschaftliches Denken und Handeln müssen immer mehr die Grenzen des Nationalen überwinden.

Dies gilt in kleinerem Maße auch von den Handwerkern, Bauern und Letztverbrauchern. Wie bedeutend ihre Zusammenschlüsse sind, sagt uns zum Beispiel neben den vier Milliarden Jahresumsatz der österreichischen Konsumgenossenschaften die Tatsache, daß die modernste Zuckerfabrik von ganz Österreich Gemeinschaftsbesitz verschiedener landwirtschaftlicher Genossenschaften ist.

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