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Wirtschaft und Kammer

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Unmittelbar nach dem Abschluß der Kriegsereignisse und dem Einzug der amerikanischen Truppen in Oberösterreich trat in Linz unter dem Vorsitz des verewigten Präsidenten, Komm.-Rat Josef Klein, eine Gruppe maßgeblicher Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens zu einem Arbeitsausschuß zusammen, der einvernehmlich mit den provisorischen Stellen des Landes und der Stadt die dringendsten Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Versorgung und zur Verhinderung eines wirtschaftlichen Chaos ergriff. Diese Arbeitsgemeinschaft, die sich der verbliebenen Geschäftsstellen der ehemaligen Gauwirtschaftskammer bediente, war gewissermaßen die Keimzelle der neuen Handelskammerorganisation in Oberösterreich. Sie leitete zugleich eine neue Ära der Wirtschaftsentwicklung im Lande ein, die nach einem in raschem Tempo vorangetriebenen Wiederaufbau zu einem Aufstieg sondergleichen führte.

Die Vertretung der oberösterreichischen Wirtschaft stand nach Kriegsende vor ungemein schweren Aufgaben. Einerseits galt es, die Versorgungsbetriebe von Industrie, Gewerbe und Handel zu befähigen, die wichtigsten Bedarfsgüter zu liefern und der ärgsten Not des Mangels zu steuern sowie die ersten Räu-mungs- und Wiederherstellungsarbeiten an Wohn- und Betriebsanlagen zu ermöglichen. Anderseits mußten die vielen Probleme bewältigt werden, die sich aus der Umstellung von der Großraum- und Kriegswirtschaft in eine friedliche, auf österreichische Dimensionen abgestimmte Wirtschaftstätigkeit ergaben. Dieser Fragenkomplex war deshalb so umfassend und schwierig, da gerade in Oberösterreich in den Jahren vorher mit der Errichtung neuer Großproduktionen insbesondere der Schwerindustrie begonnen wurde, die sich nun in einem torsoartigen Zustand darboten, der noch dazu durch die ungeheuren Zerstörungen des Bombenkrieges — Linz zählte ja zum Beispiel zu den schwerst betroffenen österreichischen Städten — sich besonders belastend auswirkte. Der Umstand, daß die neu errichteten industriellen Großanlagen fast völlig zerstört waren, ließ verschiedentlich die Überlegung aufkommen, diese Betriebe überhaupt wiederum aufzulassen und in Oberösterreich nur die Industriekapazität der Vorkriegszeit zu erhalten.

Wir wissen heute, daß sich überall der Wille zum Wiederaufbau durchsetzte, und nicht nur zur Wiedererrichtung dessen, was bestanden hat, sondern daß in der Folge der für die heutige Wirtschaftsstruktur des Landes so entscheidende Industrialisierungsprozeß erst nach dem Kriege und nach der Bewältigung der Aufbauarbeiten in vollem Umfang einsetzte. Die Kanfmerorganisation der gewerblichen Wirtschaft hatte.in diesen beiden Etappen der wirtschaftlichen Expansion wichtige ScMüsselfunktionen zu erfüllen. War die Überwindung der sogenannten Trümmerperiode die große Bewährungszeit für die Improvisationskunst in Handwerk und Handel, wobei die Kammer insbesondere mithalf, die Beschaffung und Verteilung der notwendigen Rohmaterialien zu sichern, so ging es dann später, als sich bereits die ersten schüchternen Versuche efner Wiederbelebung des zwischenstaatlichen Handels anzubahnen begannen, darum, auf weite Sicht wirtschaftspolitisch Vorsorge zu treffen und schrittweise die Fesseln der Nachkriegsbewirtschaftung zu lockern.

Wenn sich feststellen läßt, daß etwa Anfang der fünfziger Jahre der Wiederaufbau der heimischen Wirtschaft im großen und ganzen als abgeschlossen gelten konnte und die folgenden Neuerrichtungen einen echten Zuwachs der oberösterreichischen Wirtschaftskapazität bedeuteten, so ist anzufügen, daß auch die Kammer in ihrem eigenen Bereich nicht nur mit der Abhaltung der ersten Handelskammerwahlen nach dem Kriege im Jahre 1950 hinter den organisatorischen Wiederaufbau den Schlußstein setzte, sondern mit der Vollendung des neuen, alle bisher weitverstreuten Geschäftsstellen zusammenfassenden Kammergebäudes in Linz zwei Jahre später auch in dieser Beziehung einen Aufbau abschloß, der wichtige Voraussetzungen für eine weitere Intensivierung der Tätigkeit im Dienste der Wirtschaft schuf.

Das Jahr 1955 stellte insofern eine bedeutsame Zäsur dar, als nach Abschluß des Staatsvertrages, der ja überdies nicht zum geringsten auf eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik in Österreich zurückgeführt werden konnte, Österreich nunmehr politisch und wirtschaftlich vor einer neuen Bewährungsprobe stand. Es ging darum, sich selbst und der Welt zu beweisen, daß auch das freie und unabhängige Österreich imstande ist, sich wirtschaftlich weiterzuent-falten und in seiner angestammten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu behaupten. Auf Oberösterreich hatten sich die trotz der allgemein günstigen Konjunkturlsge bestehenden und bereits angedeuteten Probleme besonders verdichtet. Durch den immer noch weiter fortschreitenden Industrialisierungsprozeß trat einerseits der wirtschaftliche und soziale Niveauunterschied zwischen Oberösterreich-Süd und dem russisch besetzt gewesenen Mühlviertel besonders hervor, anderseits drängte die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen Dorf und Stadt, zwischen vorwiegend ländlichem Kleingewerbe und städtischindustrieller Massierung von Produktion und Verbrauch auf ausgleichende Maßnahmen. Die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich erachtete es daher als ihre vordringlichste Aufgabe, sich abgesehen von einer allgemein auf die Konjunkturförderung sowie Leistungssteigerung und Wettbewerbsfähigkeit gerichteten Wirtschaftspolitik mit besonderer Akivität auf die beiden genannten Fragenkreise einzustellen. Die Kammer war wesentlich daran beteiligt, daß allein in den Jahren 1955 bis 1959 in Oberösterreich im Rahmen der kleingewerblichen Kredithilfe von den Einrichtungen des Landes sowie aus den gemeinsamen Aktionen von Bund und Land Darlehen, Beihilfen und Zinsenzuschüsse in einem Gesamtausmaß von mehr als 100 Millionen Schilling vergeben wurden, von denen allein 45 Millionen dem Mühlviertel zugute kamen. Die regionale Entwicklungsförderung, die Umstellung von Gewerbezweigen auf die geänderten Bedingungen und die Notwendigkeit der allgemeinen Leistungssteigerung veranlaßten die Kammer, auf jede Weise die Modernisierung und den Ausbau des Berufsschulwesens zu forcieren und die Wirksamkeit ihres Wirt-schaftsförderungsinstitutes weiter auszugestalten.

Die Kammer schöpfte somit alle ihre Möglichkeiten aus, der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in Oberösterreich zu dienen und sie zu fördern. Das letzte Jahrfünft war in mehrfacher “Hinsicht auch tatsächlich eine Periode des weiteren Aufstiegs, und zwar für alle Wirtschaftsgruppen. Dem oberösterreichischen Gewerbe gehörten im Jahre 1955 95.000 Berufstätige an, heute sind es 102.000. Wohl hat sich die Zahl der Fachgruppenmitglieder im Gewerbe um etwa 1500 auf 22.000 verringert, doch ist dies-im wesentlichen auf die-Eirrführung der Pensionsversicherung zurückzuführen. Es wurde hierdurch eine Verminderung des Anteils der Kleinstbetriebe auf 55 Prozent bewirkt. Die Zahl der in der oberösterreichischen Industrie Beschäftigten stieg in den letzten fünf Jahren von 104.000 auf 113.000 an, der oberösterreichische Anteil an der gesamtösterreichischen Industrieproduktion von 18 auf mehr als 22 Prozent. Uneinheitlich war die Entwicklung im Handel. Die Gesamtumsätze stiegen wohl alljährlich um einige Prozent an, aber auch die Zahl der Geschäfte vermehrte sich um 14 Prozent auf 18.000. Immerhin nahm auch die Zahl der Arbeitgeberbetriebe des Handels in etwa gleichem Verhältnis zu. Symptomatisch für die Leistungsfähigkeit der ober-österreichischen Wirtschaft ist die Tatsache, daß der oberösterreichische Gesamtexport im abgelaufenen Jahr zirka 6,4 Milliarden Schilling erreichte; das ist ein bisher noch nie registrierter Umfang. Gegenüber dem Jahre 1955, in dem die Ausfuhr 4,5 Milliarden Schilling betrug, ist somit eine Steigerung um nahezu zwei Milliarden Schilling eingetreten. — Im oberösterreichischen Fremdenverkehr wurden in der Saison 1954/55 3,4 Millionen Nächtigungen erzielt, in der Saison 1958/59 waren es 4,5 Millionen. Die Steigerung betrug somit nahezu 30 Prozent.

Oberösterreich kann mit Befriedigung auf seine wirtschaftliche Entwicklung seit dem Kriegsende und den Jahren des Wiederaufbaues und seit dem Abschluß des Staatsvertrages zurückblicken.

Die Messer- und Stahlwarenproduktion ist im Steyrtal in Oberösterreich schon sehr alt. Die Firma NEUZEUGHAMMER AMBOSSWERK kann ihre Existenz bis in das Jahr 1769 an Hand von Urkunden zurückverfolgen; der mündlichen Überlieferung nach ist aber das Werk noch viel älter. Auf diese jahrhundertealte Tradition und Erfahrung aufbauend, bemüht sich die Firma, in Erkenntnis der Erfordernisse der Gegenwart, aus Althergebrachtem immer wieder Neues zu schaffen. Dies trifft nicht nur für den technischen Sektor zu, sondern vor allem für die Lösung der vielen Fragen der Formgebung. Nach 1945 erfolgten ein umfangreicher Wiederaufbau und eine grundlegende Modernisierung der Werkanlagen. Nachdem die seinerzeitigen Exportmärkte im Osten und in Südosteuropa verlorengegangen waren, mußten neue Absatzgebiete erschlossen werden. Gerade durch den Umstand, daß in Neuzeug hochwertige Qualitätswaren erzeugt werden, konnte in verhältnismäßig kurzer Zeit das gesamte Geschäft neu aufgebaut werden. Heute verfügt das Werk wieder über einen großen Abnehmerkreis im Inland und in zahlreichen Ländern Europas und in Übersee. In Neuzeug entstehen laufend neue Formen von Bestecken und neue Stahlwaren verschiedenster Art, die sich nicht nur auf den zahlreichen Märkten innerhalb und außerhalb Europas bewähren, sondern welche auch den strengen Maßstäben internationaler Wettbewerbe immer wieder standhalten. So hat zum Beispiel das erste moderne Besteck, welches in Österreich nach 1945 auf den Markt kam, auf der X. Triennale in Mailand die Silberne Medaille erhalten und gleichzeitig beim in-und ausländischen Publikum beste Aufnahme gefunden. Auf der Weltausstellung in Brüssel wurden die Erzeugnisse der Firma mit dem DIPLOME D'HONNEUR, einer der höchsten Auszeichnungen, bedacht, und auch da zeigte sich wieder, daß die Beurteilung seitens einer Jury mit dem Publikumsgeschmack parallel läuft. Der Stillstand während der Kriegs- und der ersten Nachkriegsjahre in der Entwicklung und in der Produktion von Bestecken. Messern und anderen Stahlwaren in Neuzeug ist nunmehr wettgemacht und wurde gerade hinsichtlich Ausführung und Formgebung Anschluß an das internationale Leistungsniveau gefunden.

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