6737185-1966_26_05.jpg
Digital In Arbeit

Wirtschaftskommentar

Werbung
Werbung
Werbung

Geldwertslabilität und Wirf schaftswachstum stehen derzeit an dei Spitze der langen Reihe von Problemen, mit denen sich die österreichische Wirtschaftspolitik auseinanderzusetzen hat. Während Wachstumshemmnisse struktureller Natui und das bedrohliche Sinken der Investitionstätigkeit eher die „Insiders' beunruhigen als die Öffentlichkeit überschreitet die stetige Steigerunc der Verbraucherpreisindizes (del Verbraucherpreisindex für einer städtischen Arbeitnehmerhaushai durchschnittlicher Größe und durchschnittlichen Einkommens stieg 1962 um 2,7 Prozent, 1964 um 3,8 Prozent und 1965 schon um 4,9 Prozent) nicht nur die politische, sondern auch di persönliche Reizschwelle in jenem Ausmaß, das Appellen zu Sofortmaß- nahmen ein gewisses Gewicht zu verleihen pflegf.

Um so auffälliger ist die Tatsache daß in letzter Zeit gerade jene Institution heftiger Kritik ausgesetz wird, die in erster Linie zur Hütung der Wäh rungs Stabilität berufen ist und die außerdem von den ihr zi Gebote stehenden Mitteln bisher arr entschlossensten Gebrauch gemach: hat: die Österreichische Nationalbank. Die Kritik findet sich dabei irr Grundtenor, die derzeitigen Restrik- tionsm a I) nah men der Nafionalbanl schadeten dem Wirtschaftswachstum mehr, als sie der Erhaltung des Geldwertes nützten.

Die erhobenen Einwände richten sich nicht nur gegen die derzeitige auf Beschränkung der Geldmenge abstellende Politik; darüber hinaus sieben auch die grundsätzliche Konstruktion des notenbankpolitischer Instrumentariums und die Wirkungsmöglichkeiten monetärer Maßnahmen überhaupt in Diskussion. Damit spielt sich die Debatte von vornherein aul zwei- Ebenen ab:

Auf der einen Ebene geht es zunächst nur darum, daf) es der österreichischen Nafionalbank tatsächlich gelungen ist, das Geld im Inland knapp werden zu lassen. Seit der Erstverlautbarung 1955 sind die Mindesf- einlagensätze ständig nur erhöht worden und Kreditkontroll-„Abkom- men“ beschränken das Maximum der von den Kreditinstituten zu vergebenden Kredite auf einen relativ niedrigen Prozentsatz der Einlagen. Nunmehr scheint das „Ende des Bremsweges" erreicht zu sein. Die Kreditinstitute müssen bereits die zunächst ja nur sie selbst treffenden Beschränkungen weiterwälzen und sind daher sowohl in der Kreditvergabe wie auch in der Übernahme von Anleihen zurückhaltender geworden.

Während aber im Bereich der Industrie und des Gewerbes bisher die Kreditexpansion nicht allzu sehr eingeschränkt wurde und die entscheidenden Schwierigkeiten erst in — wenn vielleicht auch naher — Zukunft zu erwarten sind, spürt die öffentliche Hand die Liquiditäts- Verknappung bereits jetzt recht schmerzlich. Die regelmäßig nach jeder Anleihenemission zu hörenden Kommentare, die jeweilige Anleihe sei wieder einmal „įul" untergebracht worden, sind von Augenauswischerei nicht allzu weif entfernt. Da in Österreich praktisch jede Anleihe en bloc von einem Syndikat mehrerer Kreditinstitute übernommen wird und die Zeichnungsfrist nur noch der Weitergabe vom Syndikat an das breite Publikum d ent, kann natürlich jede Anleihe glatt untergebrachf werden. Die Frage ist nur, mit welchen Beträgen die Syndikate auf den übernommenen Anleihen Sitzenbleiben, wieviel also nicht weiterverkauft werden kann. In dieser Hinsicht waren die Ergebnisse der letzten Anleihen alles andere als rosig; daher ist es verständlich, wenn von seiten der Kreditinstitute die Beteiligungen an den Syndikaten für neue Anleihen an entsprechende Konditionen gebunden werden. Dem Finanzministerium fällt es aber nicht leicht, die heilige Kuh des sechsprozentigen Anleihetyps zu schlachten. Man würde es wohl lieber sehen, daß die Nafionalbonk bisher gebundene Liquiditäten freigibt.

Dazu kommt noch ein unmittelbar ins Gewicht fallender Effekt der Liberalisierung des Zahlungsverkehrs mit dem Ausland. Noch ist der theoretische Disput nicht abgeschlossen, ob es bei dem nunmehr liberalisierten Kapitalverkehr überhaupt möglich isl, eine auf Beschränkung der Geldmenge gerichtete Politik zu treiben. Insbesondere wird dagegen ins Treffen geführt, es sei sinnlos, im Inland alle Mauselöcher der Kapitalnachfrage zu verstopfen, wenn das Scheunentor für Kapitalimporte aus dem Ausland offenstehe. In der Zwischenzeit werden jedenfalls Kapitalimporte bereits wieder in stärkerem Maße praktiziert, und vor allem von seiten der Kreditinstitute gegenüber der Nationalbank der zwar bisher sorgsam verklausulierte, aber gravierende Vorwurf erhoben, sie erreichte mit ihren Restriktionsmaßnahmen nicht zuletzt, daß die für größere Kapitalien gezahlten namhaften Zinsen nun ins Ausland flößen, anstatt im Inland zu verbleiben. Es sei beachtlich, daß sich gerade Österreich einen derartigen Luxus leisten könne.

Für den künftigen Stil österreichischer Wirtschaftspolitik von noch größerer Bedeutung ist es aber, ob sich die auf der Ebene grundsätzlicher Fragen erhobene Kritik Gehör verschaffen wird.

Die Politik der Regulierung der Geldmenge zur Beeinflussung der Preis-Lohn-Sifuatio-n basiert auf quantitätstheoretischen Vorstellungen, wonach das Preisniveau im wesentlichen vom Verhältnis der Geldmenge zur vorhandenen Gütermenge bestimmt werde. Nach dieser Vorstellung sei es nur konsequent, den Weg zur Slabilerhaltung des Preisniveaus über die Beschränkung der Geldmenge gehen zu wollen. In der wirtschaftlichen Wirklichkeit sei aber die Relation von Geld- und Gütermenge nur in Extremsituafionen für das Preisniveau relevant; diese Relation beeinflußt aber nicht (oder kaum) das gegenwärtig zu beobachtende Phänomen einer „schleichenden Inflation", die in einem viel stärkerem Maße von den Verteilungskämpfen um das Sozialprodukt bestimmt werde. Jede Lohnerhöhung sei ein Versuch, die Verteilung zugunsten der Unselbständigen zu beeinflussen, jede Preiserhöhung soll einen Ver- teilungseffekt zugunsten der Selbständigen hervorrufen. Irgendwelche Kausalerwägungen seien in diesem Zusammenhang sekundär. Der beste Weg, solche Verteilungskämpfe, die der einen Gruppe immer nur Vorsprungseffekte sichern können, bis die andere Gruppe nachgezogen hat, und so nur zu einer dauernden Wiederherstellung des alten Gleichgewichts auf erhöhtem Lohn- und Preisniveau führen, könnte am ehesten durch eine forcierte Wachstumspolitik begegnet werden. Denn je stärker das Wachstum des Sozialprodukts insgesamt sei — wozu im übrigen auch eine ausreichende Kapiialversorgung gehöre —, desto mehr Widerstände könnten auch den Wünschen der Interessengruppen entgegengesetzt werden, ihren Anteil am Sozialprodukt auszuweiten.

Diese Überlegungen finden eine

Stütze und nicht unbedeutende Rechtfertigung in den empirischen Erkenntnissen des Wirfschafts- und Sozialbeirates, der in seiner Studie über die Preis- und Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre zur nicht geringen Überraschung so mancher Experten feststellte, daß die bisher nahezu selbstverständlichen Annahmen über den Zusammenhang von Geldentwertung und Wirtschaftswachstum, die etwa auf die Ansicht hinausliefen, Geldentwertung sei nun einmal der Preis für Wirtschaftswachstum und wirtschaftliche Stagnation der Preis für stabilen Geldwert, zu- m'ndest für die österreichische Wirtschaft der Nachkriegszeit einladi n'chf zufreffen. Im Gegenfeil: In der Nachkriegszeit sei immer dann eine hohe Rate der Geldentwertung festzustellen, wenn das Wirtschaftswadis- tum stagnierte; und eine niedrige Geldentwertungsrate, wenn das Wirtschaftswachstum besonders ausgeprägt war.

Die Forderung noch forcierter Wachsfumspolitik nicht nur 'm Rahmen der sogenannten Wirtschaftswachstumsgesetze, sondern auch in der Budgetpolitik und in der Politik der österreichischen Nationalbank ist bereits als „Flucht nach vorne" qualifiziert worden. Freilich können alt- eingewohnfe Techniken auch in der Wirtschaftspolitik mit Argumenten allein nicht aus der Welt geschafft und durch modernere ersetzt werden. Es wäre aber denkbar, daß sich hier ein Prozeß anzubahnen beginnt, dessen Ausgang so oder so für die österreichische Wirtschaftspolitik und die Wirtschaft selbst von noch größerer Bedeutung sein dürfte als die derzeit aus nicht allein sachlichen Gründen in den Vordergrund getretenen Wirtschaftswachstumsgesetze.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung