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WLADISLAW BARTOSZEWSKI EIN GAST AUS WARSCHAU

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Auf der Rückreise von Israel in seine Heimat ist dieser Tage ein Vertreter der polnischen Gruppe ZNAK, mit der die „Furche“ freundschaftliche Beziehungen verbinden, als Gast in unserer Redaktion eingetroffen: der Journalist Wladislaw Bartoszewski. Der Israel-Aufenthalt kam durch Einladung des Vereines „Yad Vachem“ zustande und sollte Dank und Anerkennung sein für die übermenschliche Hilfe, die Bartoszew- ski den Juden im besetzten Polen hatte angedeihen lassen.

Bartoszewksi gehört dem Jahrgang 1922 an, jenem Jahrgang, von dessen männlichen Angehörigen in Polen knappe 20 Prozent den Krieg überlebt haben. Die bürgerliche Karriere schien zunächst vorgezeichnet: Nach der Matura im Sommer 1939 sollten das Militärjahr und schließlich das Hochschulstudium folgen. In den frühen Morgenstunden des

1. September 1939 wurde der Maturant aus dem Schlaf gerissen: Explosionen! Der Krieg war da. In den 28 Tagen bis zur Kapitulation Warschaus half Bar- toszewski, wo er nur konnte. Zunächst an den Barrikaden, später als Krankenträger. Am 1. Oktober 1939 marschierten die Deutschen in Warschau ein. Die Lehrer der Mittel- und Hochschulen wurden sofort verhaftet. Barto- szewski suchte Arbeit. Er fand sie im Dienst des polnischen Roten Kreuzes.

Nr. 4427 war die Nummer, die der politische Gefangene Bartoszewski im Konzentrationslager Auschwitz trug. Am 19. September 1940 war er verhaftet worden. Mit 20.000 anderen. Polens Intelligenz verschwand hinter Stacheldraht. Vollkommen überraschend wurde er im Frühsommer 1941 aus dem Lager entlassen — schwerkrank, abgemagert, geschwächt. Nach seiner Genesung begann Barto

szewski seine Studien an der Warschauer „Untergrunduniversität“: Polnische Philologie. Im Untergrund besuchten damals ungefähr zweitausend Studenten die „Vorlesungen“, die meist in Privatwohnungen von noch nicht verhafteten Professoren abgehalten wurden.

Im Frühjahr 1942 kam es dann zur Gründung jener katholischen Gruppe, die sich der Hilfe für die verfolgten Juden widmete. Die Gruppe gab zwei illegale Monatsblätter heraus, von denen eines Bartoszewski redigierte. Er wurde schließlich Referent für jüdische Angelegenheiten der Exilregierung im Untergrund.

1942 trat er der polnischen Heimatarmee (AK) bei, in der er später den Rang eines Leutnants erreichte. Bartoszewski wurde zum Generalstab nach Warschau versetzt, wo er in der Pressestelle arbeitete. Dann kam der Warschauer Aufstand — August 1944: Der junge Leutnant leitete einen Rundfunksender und eine Tageszeitung. Durch einen Zufall entging er der Gefangenschaft. Den einfachen „Krankenträger“ im Lazarett übersahen die Deutschen. Bartoszewski schlug sich nach Krakau durch und fand dort sofort Aufnahme in der Untergrundredaktion der größten Tageszeitung der Heimatarmee: „įiiuletyn Informacyjny.“

Nach der Wiederherstellung Polens wechselte der unerschrok- kene Kämpfer die Waffen. Er arbeitete wieder als Journalist bei Presse und Rundfunk. In der stalinistischen Epoche verbrachte er sechseinhalb Jahre im Kerker. 1954 wurde er jedoch entlassen und sofort rehabilitiert. Seither ist er wieder Journalist.

Bartoszewski beschäftigte sich in seinen Arbeiten intensiv mit der Geschichte Polens unter deutscher Herrschaft, besonders aber mit den Beziehungen zwischen Juden und Polen während der Okkupation. Eine ganze Reihe von Artikeln, auch in westeuropäischen Zeitschriften, und einige Bücher sind das Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Bartoszewski" ist außerdem noch Warschaus Vertreter des Krakauer „Tygodnik Powszechny“, des größten katholischen Wochenblatts in Polen. Er ist bescheiden geblieben, der Mensch Wladislaw Bartoszewski. Bescheiden trotz der Anerkennung höchster israelischer Stellen, trotz des Ordens „Polonia Restituta“, der ihm anläßlich des zwanzigsten Jahrestages des Warschauer Ghettoaufstandes verliehen wurde. „Ich habe aus Menschlichkeit und als Katholik gehandelt!“ Hat jeder von uns in den schweren Jahren nach dieser Maxime gehandelt?

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