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Digital In Arbeit

Wo die Zwangsjacke den Alltag regiert

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Ein Aufmüpfiger schrieb den großen Insiderbericht über den Anpassungszwang in Japan und vertat damit seine Karriere.

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Ein Aufmüpfiger schrieb den großen Insiderbericht über den Anpassungszwang in Japan und vertat damit seine Karriere.

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So hart wie Masao Miyamoto hat die Anpassungszwänge des japanischen Arbeitslebens noch keiner beschrieben. Ks hat auch noch keiner so gute Voraussetzungen dafür mitgebracht: Miyamoto ist Insider und Außenseiter. Insider ist er als Mitglied der Ministerialbürokratie. Außenseiter ist er, da er nach einem Medizinstudium und jahrelanger Berufsausübung in den USA nach Japan zurückkehrte und seine Heimat nun mit fremden Augen, obendrein den Augen eines Psychologen, sah.

Außerdem hat er die individuelle Freiheit, die Amerika seinen Bürgern bietet, nur von der positiven Seite kennen- und lieben gelernt. Die Heimkehr und der Eintritt ins Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt bescherte ihm einen Kulturschock. Er sagte in einer Gesell-' schaft, in der jeder offene Konflikt vermieden wird, ein paarmal zu oft seine Meinung. Er wurde darauf einem Sozialisierungsprozeß unterworfen, der gründlich danebenging, wurde immer aufsässiger, beharrte auf seinem Becht, dem Betriebsausflug fernzubleiben und geriet immer tiefer in die Isolierung. Mobbing gehört in Japan zum Alltag. Und Japans Beamte sind Meister des ministeriellen Grabenkriegs. Aber Miyamoto scheint auch ein ausgeprägter Fall von Anpassungsverweigerung gewesen zu sein.

Schließlich schrieb er sich seine Frustration in einer Zeitungskolumne von der Leber. Aus den Artikeln wurde ein Buch, das Buch wurde zum Bestseller, zuerst in Japan, dann in-

ternational: „Die Zwangsjacken Gesellschaft". Aber je größer der Erfolg wurde, desto öfter wurde er versetzt, an immer weiter vom Zentrum entfernte Dienstposten. Derzeit ist er Direktor für Quarantäne im Hafen von Kobe. Karriere wird er nicht mehr machen.

In diesem „Insiderbericht über die Japan AG" findet man tatsächlich eine Fülle von Informationen, die bisher in solcher Offenheit und Dichte nicht zu lesen waren. Es ist ein Buch voll von Beobachtungen, mit denen Miyamoto seine Warnung an die japanische Gesellschaft .belegt. Seiner Ansicht verdankt Japan dem Gemeinschaftsgeist zwar den Aufstieg zu einer führenden Industrienation. Andererseits gefährden seiner Ansicht gerade die Verhaltensweisen und Normen, denen Japan diesen Erfolg verdankt, den Verbleib in einer Spitzenposition, weil dazu Kreativität, selbständiges Denken und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, notwendig seien. Genau diese Eigenschaften habe man den Japanern systematisch aberzogen.

Nirgends, meint er, sei die Ministe-rialbüroktratie so mächtig wie in Japan - ausgenommen den alten Ostblock: „Von Anfang an gründete sich die japanische Bürokratie auf der Annahme, daß die Bevölkerung ignorant sei und der Führung bedürfe, und da die Abgeordneten von ebendiesen ig-noranten Wählern gewählt würden, wären sie eben auch ignorant. Unter dieser Voraussetzung empfanden es die Bürokraten als legitim und angemessen, daß sie die eigentliche Macht im Lande in ihren Händen konzentrierten."

Oberster Grundsatz im Berufsleben jedes Japaners sei, keine Fehler zu

machen. Der Fehlervermeidung als oberstem Prinzip verdanke Japan zu einem großen Teil die hohe Qualität seiner Produkte. „Es gibt jedoch auch eine Schattenseite: DieAngst vor Fehlern läßt alle immer sehr auf den Präzedenzfall abheben, das heißt unbedingt am liebsten am status quo festhalten." In einer Zeit der Umbrüche scheint das tatsächlich nicht die optimale Strategie. Nicht erst einmal in der Geschichte wurden genau jene Faktoren, die zum Aufstieg von Kulturen führten, zu ihrer Achillesferse.

Die W ichtigkeit der Fehlervermei -dung führte zu einem Konsens, der darauf hinausläuft, daß man mit gemachten Fehlern nicht konfrontiert wird, solange man sich angepaßt verhält. In der Praxis der japanischen Ministerialbürokratie ist niemand persönlich für etwas verantwortlich. „Ein System der Gruppenflucht vor Verantwortung oder vielmehr ein System der NichtVerantwortung ist hier entstanden." Kein Vorgesetzter würde sagen: Hören Sie doch auf, mir Ärger zu machen! Es heißt immer: Hören Sie doch auf, uns allen Ärger zu machen!

Denn: „Japanische Organisationen fordern von ihren Mitgliedern, sich vollständig zu identifizieren. So wird letztlich die Auffasssung eines Menschen gleich zu dem, was alle denken und dadurch wird stillschweigend ein enormer Druck auf die Zuhörenden ausgeübt. Jede Form des eigenständigen Denkens, die auch nur den leisesten kritischen Unterton im Hinblick auf die Organisation hat, wird sofort mit dem Hinweis zurückgewiesen: Jeder meint, das sei eine egoistische

und maßlose Haltung'. In Japan wird jeder, der sich in irgendeiner Form von den anderen unterscheidet, notgedrungen als egoistisch abgestempelt. Im Westen dagegen werden die, die durchaus ihre eigene Meinung in vernünftiger und begründeter Form vertreten, als umsichtig und intelligent angesehen."

Sein erster Betriebsausflug wird für Miyamoto zum Horrortrip. Dabei wird ihm klar, was die Zwangsjacke jeden Japaner kostet. Denn der Betriebsausflug wird zum Ventil für alles in den vergangenen Monaten Hinuntergeschluckte. Um die Sau rauszulassen, muß man sich aber zuvor besaufen, und da keiner gern vor einem Nüchternen die Sau rausläßt, gibt es vom Saufen keinen Dispens. Selbst Leberkranke müssen ihr Pensum runterwürgen. Dann wird geschweinigelt auf primitivstem Niveau.

Freilich nicht nur. Im kollektiven Bausch darf sogar der Untergebene dem Vorgesetzten alles hineinsagen. Wenn er noch nicht strockbesoffen ist, wird er so tun, als sei er es. Und der Vorgesetzte, selbst wenn er es geschafft hast, halbwegs nüchtern zu bleiben oder wenn er es unter der Attacke schlagartig geworden ist, wird seinerseits den Volltrunkenen mimen. Am nächsten Tag aber ist alles wieder wie zuvor. Vielleicht hat uns Miyamoto Japans Achillesferse gezeigt. Aber manches davon mutet im Westen keineswegs unbekannt an.

DIE ZWANGSJACKEN GESELLSCHAFT

Vm Insiderbericht über die Japan AU ■B Von Masao Miyamoto IBM Metropolitan Verlag Düsseldorf 1996 mW 214 Seiten, geb., öS 369,-

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