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Wo hält der Wiederaufbau der Wirtschaft?

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Ein paar Ziffern genügen, um eine Vor-ftellong von dem Ubermaß an Aufgaben Mi vermitteln, mit dem das österreichische Volk im Rahmen des Wiederaufbaues fertig werden muß. Auf volle zwei Milliarden Schilling werden die durch den Krieg verursachten Schäden an den Häusern, Transportanlagen und städtischen Versorgungsbetrieben Wiens allein veranschlagt. In den Bundesländern ist der Schaden wohl weniger groß; er reicht aber auch dort ungefähr an die Grenze von einer MiHjarde Schilling heran. Eazu kommen noch die Einbußen, die* die Staatsbahnen an rollendem Material erlitten haben, sowie insbesondere die Requisitionen, die in Wien und Niederösterreich bei der Mehrzahl der Industriebetriebe vorgenommen wurden und deren Gegenwert mit einer Milliarde, ja sogar mit eineinhalb Milliarden Schilling berechnet wird. So sind aus einem einzigen Wiener Betrieb, der allerdings während des Krieges eine beträchtliche Erweiterung erfuhr, Maschinen im Gesamtgewicht von nidit weniger als 6000 Tonnen verlorengegangen. Zum Glück sind aber nicht alle industriellen Branchen in der gleichen Weise betroffen worden und es ist vor allem die Produktionskapazität der im Westen Österreichs gelegenen Betriebe ungeschmälert erhalten geblieben. Dementsprechend hat sich auch das industrielle Schwergewicht des Landes nach dem Westen verlagert, wo die Wiederingangsetzung der Wirtschaft wesentlich größere Fortschritte aufzuweisen hat als in den östlichen Gebieten.

Die Aufspaltung des an sich schon kleinen

österreichischen Wirtschaftsraumes in vier versdiiedene Zonen macht sich überdies auch im Güteraustausch mit dem Ausland und hier nicht zuletzt im Verkehr mit der Schweiz in einer der Einheit des Landes nicht gerade förderlichen Weise bemerkbar. Der gesamte Warenverkehr zwischen Österreich und der Schweiz dürfte derzeit kaum mehr als 10 Pro.zent des Vorkriegshan d e 1 s ausmachen. Davon entfällt nun der weitaus größte Teil auf

Tirol und Vorarlberg.

Der Grund ist ein zweifacher. Einmal das Vorhandensein größerer Warenbestände iL' diesen Bundesländern infolge kriegsbedingter Verlagerungen, nicht nur aus dem übrigen Österreich, sondern auch aus Deutschland, und zweitens weitgehende Abmachungen zwisdien . der französischen Militärregierung und der Sdiweiz, wobei das handelspolitische Verhältnis zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft stark hereinspielt. Im Rahmen dieser Sondervereinbarungen wurden unter anderem Ende 1945 ein Warenverkehrsabkommen mit der Schweiz abgeschlossen, wobei ein wertmäßiger Rahmen von 3 bis 3,5 Millionen Franken bis Ende April 1946 vorgesehen ist. Eine nicht unbedeutende Rolle spielen dabei die Textilveredlungsgeschäfte. Gleichzeitig mit dem erwähnten Tauschvertrag wurde ein Abkommen getroffen, demzufolge Schweizer Textilfirmen zunächst 1000 Tonnen Baurrf: wolle in Vorarlberger und Tiroler Fabriken verspinnen lassen. Der Spinnlohn wird dabei in Franken berechnet und zum Ankauf von Textilrohstoffen in der Schweiz ver- wendet. Dementsprechend sind auch derzeit die Textilfabriken in Vorarlberg als auch in Tirol verhältnismäßig gut beschäftigt. In Vorarlberg ist man überdies bestrebt, neue Industrien von auswärts ins Land zu bringen. Ähnlidie Bemühungen sind derzeit auch in Tirol im Gange, wo sich bekannte Firmen der sudetendeutschen Gfes- und Bijouterieindustrie niederlassen wollen.

Im Lande Salzburg

ist es dank dem Rückgriff auf verlagerte

Maschinen und Rohstoffe möglich gewesen, unmittelbar nach der Besserung der Kohlenversorgung das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu bringen, entschieden früher als dies in den östlichen Gebieten Österreichs möglich war. Trotzdem kommt es ab und zu zu Pannen. So konnte leider die Stillegung eines bedeutenden Industriebetriebes, der Zellulosefabrik in Hallein, nicht verhindert werden. Der Mangel an Kohle und Rohstoff war stärker als der menschliche Wille.

In Oberösterreich

hat anch die industrielle Produktion ziemlich gute Fortschritte aufzuweisen. Die Steyr-Werke arbeiten zur Zeit mit einer Belegschaft von mehreren tausend Arbeitern und Angestellten. In der Auto-fabrik hat man den Bau von mittelschweren Lastautos wieder in größerem Stil in Angriff genommen. Auch im „Nibelungenwerk“ ist die Arbeit — wenn auch in begrenztem Umfang und im Einklang mit dem stark reduzierten Maschinenpark — in Gang gekommen. Das gleiche gilt von den Vereinigten Eisen- und Stahlwerken in Linz, wo derzeit die Reparatur von rollendem Eisenbahnmaterial in bedeutendem Ausmaß betrieben wird. Die Hochöfen stehen jedoch still. Das gleiche gilt vom Stickstoffwerk, das auf die Zufuhr von Gas aus der wegen mangels an Kohle gleichfalls stillgelegten Koksbatterie angewiesen ist. Schon im Hinblick auf den vor Jahren aufgestauten Bedarf der österreichischen Landwirtschaft an Kunstdünger wäre eine baldige Inbetriebnahme gerade dieser Anlage sehr erwünscht Gut beschäftigt ist sowohl in Linz wie auch in Salzburg und Innsbruck die Bau Wirtschaft, die schon jetzt wegen der Knappheit an gelernten Arbeitern Klage führt. Auch die Textilfabriken sind mit Aufträgen gut versorgt. Leider gehen die Vorräte, bei denen es sich zum Teil.um verlagerte Ware handelt, einer raschen Erschöpfung entgegen.

In Steiermark

sind die eisen- und stahlerzeugenden und

-verarbeitenden Unternehmungen von Ablieferungen besonders betroffen worden. Eine relativ günstige Entwicklung läßt sich jetzt bei der Braunkohlen- und Erzförderung feststellen. Die erstere hält sich auf einem Niveau, das einer ganzjährigen Produktion von rund drei Millionen Tonnen entspricht. Die Förderung von Eisenerz wurde für die letzte Jännerwoche mit 14,576 Tonnen angegeben, wodurdi die Voraussetzung für einen entsprechenden Kompensationsverkehr vor allem mit der Tschechoslowakei geschaffen wird.

In Kärnten

ist die Baustoffindustrie derzeit fast voll beschäftigt. Die „Bleiberger Union“ zählt jetzt

wieder eine Belegschaft von filier wosend Arbeitern. Der größte Teil davon Wc im eigentlichen Bergbau eingesetzt. Der Rest wird für Wiederinstandsetzungsarbeiten verwendet. Die Textilfabriken — es sind ihrer insgesamt drei — sind genau so wie in den westlichen Bundesländern mit Aufträgen gut versorgt. Das gleiche gilt für die Möbelindustrie, die vielfach für englische Rechnung arbeitet. Demgegenüber sind die Sägewerke, die in früheren Jahren vornehmlich nach Italien lieferten, ungefähr nur mit einem Drittel ihrer Kapazität ausgenützt.

Eine von der Wirtschaftsentwicklung im Westen und Süden stark abweichende Entwicklung zeigt der Gang der Industrie

in Wien und Niederösterreich

Verschiedene ungünstige Faktoren wirken hier zusammen. Ganz abgesehen von der Zerstörung vieler Produktionsanlagen, haben die Fabriken nicht selten auf andere Art soviel eingebüßt, daß im Augenblidt nur Reparaturarbeiten ausgeführt werden können, während die gewohnte Erzeugung neuer Fabrikate noch infolge des Ausfalles wichtiger Produktionsstufen nicht möglich ist. Um nun einen Ausweg aus dieser unhaltbaren Situation zu schaffen, will man sich jetzt dadurch helfen, daß die Lücken in der technischen Apparatur durch die Beistellung entbehrlicher Maschinen aus dritten Betrieben geschlossen werden.

Als ausgesprochen ungünstig muß die jetzige Situation in der Baustoffindustrie in Niederösterreich bezeichnet werden. Die sieben großen Ziegelwer. ke sind samt und sonders infolge Kohlenmangels außer Betrieb. Man will sich daher beim Beginn des Frühjahrs mit den in den Straßen Wiens aufgeschlichteten Ziegeln zerstörter Häuser helfen. Doch auch dann geht es nicht ohne Kalk und Zement. Die Fabriken der Perlmooser Zement A. G. in Mannersdorf und Rodaun haben nun seit Kriegsende ihre Produktion gleichfalls wegen Kohlenmangel nicht wieder aufnehmen können. Ebenso liegt die Kalkproduktion nach wie vor still, so daß im Augenblick dieser wichtige Baustoff selbst für bescheidene Ausbesserungszwecke schwer zu beschaffen ist.

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