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Wohin gehst du, Afrika?

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Der jüngste Militärputsch in Sierra Leone, dem kleinen westafrikanischen Staat, hat die Zahl der entkolonisierten Afrikastaaten, in denen seit 18 Monaten die letzten Reste einer parlamentarischen Demokratie verschwunden sind, auf zehn erhöht.

Der Militärumsturz in Sierra Leone ist so bezeichnend für den Niedergang der Demokratie in Schwarzafrika, daß es wirklich lohnt, diesen Fall näher zu analysieren. Den Namen „Löwenberge“ bekam das Land von seinem portugiesischen Entdecker Pedro de Cintra. der sich 1492 dorthin verirrte. Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Eroberungsdrang der Franzosen in Afrika zur vollen Entfaltung gelangte, wollten die Briten den Franzosen in Westafrika einen Riegel vorschieben und erklärten Sierra Leone zu einem britischen Protektorat. Als britische Kolonie hat sich das Land allerdings nur langsam entwickeln und zivilisieren können, weil es auf der langen Liste - britischer Überseegebiete ziemlich weit unten rangierte. Die 2,5 Millionen zählende Bevölkerung gliedert sich in sieben Hauptstämme, daneben leben heute hier noch rund tausend Europäer und einige tausend Asiaten, die meist den Handel beherrschen.

Die Unabhängigkeit wurde dem Lande im Jahre 1961 von Britannien gewährt, also vor genau sechs Jahren. Im Parlament sitzen 78 Abgeordnete, zwölf davon sind jedoch ernannte Häuptlinge der größten Stämme des Landes. Einen starken Einfluß im öffentlichen Leben üben die mit Europäern blutsvermischten Abkömmlinge jener amerikanischen Neger und ehemaligen Sklaven aus, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts aus den USA nach Sierra Leone ausgewandert sind.

Den Auftakt zum Militärputsch gaben die verworrenen Zustände im Parlament, die eigentlich schon mit der Unabhängigkeitserklärung des Landes einrissen. Der auch über die Grenzen von Sierra Leone hinaus bekannt gewordene Politiker, Premierminister Sir Mitton Morgai, ein alter, weiser Mann, dem die Briten 1961 die Führung des Landes mit gutem Gewissen überantwortet hatten, ist inzwischen durch seinen Bruder Sir Albert Morgai als Premier ersetzt worden. Der neue Staatsmann hat seine Stellung sogleich dazu benutzt, um sein Land mit den Extremisten der Panafrikanischen Bewegung zu verbinden. Diese Richtung strebt danach, gemäß den Ideen des ehemaligen Staatschefs von Ghana, Kwame Nkrumah, und seines Freundes Sekou Tour6 von Guinea, ganz Afrika zu einem Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild verschmelzen zu lassen, ohne Rüdesicht auf die großen ethnischen Unterschiede der Länder dieses weiträumigen Kontinents und auf die wirtschaftlichen Widersprüche eines solchen Projektes. Seine radikalen, oft mit beißendem Zynismus gewürzten Reden auf verschiedenen Konferenzen des Commonwealth oder der Organisation der Afrikanischen Einheit haben die gemäßigteren und verantwortungsbewußten Staatsmänner Afrikas oft arg vor den Kopf gestoßen, doch hat Sir Albert es anderseits verstanden, alle Scharfmacher, vor allem gegen Rhodesien und Südafrika, hinter sich zu scharen.

Eine solche Politik des persönlichen Prestiges mußte jedoch auf die Dauer auf Kosten des eigenen Volkes gehen und der damit verbundene Aufwand die nicht gerade üppige Staatskasse schädigen. Seine Politik ist denn auch nicht unwidersprochen geblieben. Seine Idee, Sierra Leone zu einem Einparteienstaat zu machen, seine Verschwendung von Staatsgeldern, und die abenteuerliche Bündnispolitik mit den Bankrotteuren Nkrumah und Toure sind im Parlament heftig kritisiert worden. Dazu kam dann noch, daß sein Regierungsprogramm, die Schaffung einer republikanischen Staatsform, keine Mehrheit bei den letzten Wahlen erreichen konnte. Als die Stimmenzählung 31 Sitze im Parlament für den Oppositionsführer Siaka Stevens ergab, wurde dieser vom britischen Gouverneur (Sierra Leone war noch immer Commonwealthland, mit der britischen Königin als Staatsoberhaupt) mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Doch der Verlierer Sir Albert dachte nicht daran, abzudanken. Im allgemeinen politischen Durcheinander griff am Karfreitag das Heer ein und ernannte durch den Brigadegeneral Lausana in kurzer Folge vier verschiedene Ministerpräsidenten nacheinander. Schließlich hat das Heer alle Politiker entmachtet, auch den britischen Gouverneur nach England geschickt und selbst die Macht an sich gerissen. Der nächste Schritt war, daß die Regierung der Generale durch eine Regierung der Majore zu Paaren gejagt wurde. Ein Klüngel von Armeeoffizieren und höheren Staatsbeamten hat sich nun die gesamte Macht im Namen der neuen Republik angeeignet; die neuen Herren sind ganz überwiegend jene Mischlinge amerikanischer Herkunft, die zwar bisher schon einen großen Einfluß im Staat ausübten, die Macht aber immer noch den „traditionellen Kräften“ der Häuptlinge und den Politikern des Hinterlandes überlassen mußten. Nun sind sie am Ruder und üben eine Diktatur in der Hauptstadt Freetown aus.

Der neue Staatschef Oberst Juxon-Smith, ein in den USA ausgebildeter Offizier, hat bei der Machtübernahme auch unmißverständlich ausgerufen: „Ich lebe politisch in einer Welt, die von Tatsachen bestimmt wird.“ Gleich darauf aber: „Ich möchte das Wort ,Stamm' in meiner Gegenwart nicht mehr hören. Dieser Begriff ist tot — ein für allemal!“ — Nun sind aber gerade ■ die Stämme eine Realität, die aus dem afrikanischen Denken und dem Alltagsleben nicht so ohne weiteres wegzudenken ist. Der Stamm ist die natürliche, seit vielen Generationen gewachsene, organische Gliederung der Völker Afrikas.

Es wird also abzuwarten sein, was sich als stärker erweisen wird: die neue Herrscherschicht oder die alte Stammesordnung. Sicher ist, daß Sierra Leone noch lange nicht zur Demokratie und zu einer stabilen Ordnung der Dinge zurückkehren wird — wenn überhaupt

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