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Wohin nach Frondizi?

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Die Staatskrise in Argentinien hat in der Vorwoche die erwartete dramatische Wendung genommen: Präsident Frondizi ist von den Militärs gestürzt und in das Militärgefängnis auf der Insel Martin Crazia gebracht worden — auch Perön war dort anfangs festgehalten worden I General Poggi, der Oberbefehlshaber der Armee bemühte sich um eine neue Regierung: Schon einige Stunden nach der Staatsaktion war Senatspräsident Guido als neuer Präsident vereidigt. Was die nächsten Zeiten bringen werden, ist ungewiß. Eine Dauerlösung ist nicht sichtbar.

Der Schatten des brasilianischen Expräsidenten Getulio Vargas war bei der argentinischen Krise wiederholt heraufbeschworen worden. Die südamerikanische Presse schrieb, Perön sei — wie er — zuerst als Diktator gestürzt, dann — nach dem Versagen der „Befreier“, als „Retter“ zum Präsidenten frei gewählt worden. Aber der peronistische Wahlsieg in Argentinien war weniger auf die Bewunderung für Perön als auf den Protest der Masse gegen die Wirtschaftspolitik Doktor Frondizis zurückzuführen.

Sodann sagte man in der Casa Rosada, dem Amtssitz des Präsidenten, Frondizi werde eher Vargas — der sich das Leben nahm, als die Offiziere seinen Rücktritt verlangten — als Quadros — der ohne Grund zurücktrat — sein. Frondizi selbst hat oft erklärt, er werde niemals freiwillig zurücktreten, man müsse ihn mit Gewalt oder tot vom Präsidentensessel entfernen.

Einsam und von allen verlassen

Als Dr. Frondizi, die Minister und die Generäle dem englischen Prinzen Philipp auf dessen Südamerikareise ein Bankett gaben (wie Eheleute, die längst zur Scheidung entschlossen leben, aber einem ausländischen Gast noch ein geordnetes Familienleben vorspielen), mußten die Militärminister vorzeitig vom Tisch aufstehen. Sie wurden informiert, daß junge Offiziere in Garnisonen und Marinebasen revoltierten, um den Rücktritt Dr. Frondizis zu erzwingen. Diese Palastrevolution wurde halb dementiert. Aber die Marine forderte offen seinen Rücktritt. Als Dr. Frondizi unter dem Druck der Offiziere eine gemischte zivil-militärische „Regierung der nationalen Einheit“ bilden wollte, lehnten fast alle Parteien die Einladung ab. Die Konservativen schrieben: „Der Präsident der Republik hat nicht mehr die Autorität und die Mittel, um weiter zu regieren.

Seitdem Dr. Frondizi sich 1958 auch mit den Stimmen der Peronisten zum Präsidenten wählen ließ, hatten ihn die antiperonistischen Offiziere mehr als dreißig Male, durch die Drohung mit dem Staatsstreich, zu der Entlassung von Ministem oder Ratgebern, zu antiperonistischen Dekreten oder konkreten außenpolitischen Akten, wie dem Bruch mit Kuba, gezwungen. Aber niemals war Dr. Frondizi dabei so einsam geblieben wie jetzt, weil er sein Amt auch um den Preis seiner menschlichen und politischen Würde bewahren wollte.

Zunächst hat Rogelio Frigerio das Land verlassen müssen. Er hat 1958 den Verbindungsmann zwischen Frondizi und den Peronisten gespielt und die sogenannte „Integrationspolitik“ entworfen. Mit ihr sollte die Frondizi-Partei — durch halbes Entgegenkommen! — die peronisrischen Kräfte aufsaugen. Nach Ansicht der Antipero-nisten haben die Peronisten auf Grund dieser Politik umgekehrt die Regierungspartei unterwandert. Frigerio war zunächst der offizielle „Sekretär für Wirtschafts- und Sozialfragen“ des Präsidenten. Als die Offiziere seine Entlassung aus dem Amt erzwangen,

wirkte er inoffiziell als „graue Eminenz“ hinter den Kulissen. Nach der Konferenz von Punta del Este wurde seine Gruppe auf Verlangen der Offiziere aus dem Außenministerium eliminiert. Jetzt soll eine „totale Reinigung der Verwaltung“ von diesen „Viertel-peronisten“ erfolgen.

Die Offiziere hatten inzwischen durchgesetzt, daß die peronisrischen Organisationen und ihre Propaganda wieder verboten werden. Der zum Gouverneur der Provinz von Buenos Aires gewählte Andres Framini erklärte, daß sich die Arbeiter ihren Sieg nicht aus den Händen reißen, sondern mit allen Methoden verteidigen würden. Der erste vierundzwanzigstün-dige Generalstreik war nur ein halber Erfolg. Sie drohten aber mit einem Generalstreik auf unbestimmte Zeit,

wenn ihre frei gewählten Kandidaten nicht verfassungsmäßig am 1. Mai ihre Ämter antreten dürfen.

Nun haben die Peronisten jahrelang im Untergrund, in den sie jetzt wieder gedrängt werden, mit Streiks und Sabotageakten in großem Maßstab die Wirtschaft geschädigt, ohne aber die Herrschaft der Offiziere zu gefährden. Die Voraussetzungen für einen echten Bürgerkrieg oder auch nur Frei-schärlerkämpfe nach kubanischem Vorbild fehlen.

Perön und die Kirche

Perön wurde 1955 gestürzt, als er die Gotteshäuser in Buenos Aires in Brand stecken ließ. Deshalb ist die Wendung des Peronismus zur Kirche das interessanteste Ergebnis der jüngsten Entwicklung.

Framini hat dem Papst depeschiert, die Peronisten hätten in ihr Wahlprogramm die Grundsätze der Enzyklika „Mater et Magistra“ aufgenommen und eine tief menschliche und christliche Doktrin verkündet; die Nichtigkeitserklärung der Wahlen gefährdet den sozialen Frieden.

Framini und die peronistischen Gewerkschaften haben weiter den Erz-bischof von Buenos Aires, Kardinal Caggiano, um Vermittlung gebeten. Dieser hielt eine Rundfunkrede für den politischen Frieden und die Kontinuität des demokratischen Regimes. Aber beide sind im höchsten Maße gefährdet.

Framini erklärte wieder, daß die Rückkehr Peröns unerläßlich und unvermeidlich sei, während die Offiziere sie keinesfalls dulden werden. Sie haben nunmehr die Kontrolle der Regierung übernommen und bemühen sich um ein „demokratisches Mäntelchen“ für ihren Staatsstreich.

Die Situation ist etwa die gleiche wie 1955. Aber nach dem Sturz Peröns galten die Offiziere der „Befreiungsrevolution“ und die aus der Emigration heimkehrenden Politiker als „Retter“, während sie jetzt diskreditiert sind. Damals übernahm General i. R. Pedro Aramburu die „provisorische Präsidentschaft“ der Revolutionsregierung. Er ist auch beim Volk geachtet, weil er unbestechlich und ohne Machthunger das Seine zur Normalisierung des demokratischen Regimes tat. Dr. Frondizi hatte ihn als Vermittler zu den Streitkräften gerufen. Er hätte einen Weg aus dem Chaos weisen können.

Nun ist wieder alles offen: Argentinien geht sorgenvollen Zeiten entgegen.

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