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Wollen wir die Integration?

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Am 29. Juli 1970 hat der EWG-Ministerrat die Behandlung des Österreichischen Integrationsproblems neuerlich vertagt. Wer die schwierige Materie der europäischen Integrationspolitik im allgemeinen und der österreichischen im besonderen kennt, wird weniger enttäuscht sein als diejenigen, die an den Beschluß der EWG vom Dezember 1969 bezüglich Österreich große Hoffnungen geknüpft haben. Trotzdem ist dieses Datum — vorläufig — ein bedeutsames geworden, da nun endlich in Brüssel die Entscheidung gefallen ist, die Verhandlungen mit den Beitrittswerbern Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland aufzunehmen. Die EWG ist damit in ihrer ersten Phase ihrer Erweiterungsaufgabe nähergekommen.

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Am 29. Juli 1970 hat der EWG-Ministerrat die Behandlung des Österreichischen Integrationsproblems neuerlich vertagt. Wer die schwierige Materie der europäischen Integrationspolitik im allgemeinen und der österreichischen im besonderen kennt, wird weniger enttäuscht sein als diejenigen, die an den Beschluß der EWG vom Dezember 1969 bezüglich Österreich große Hoffnungen geknüpft haben. Trotzdem ist dieses Datum — vorläufig — ein bedeutsames geworden, da nun endlich in Brüssel die Entscheidung gefallen ist, die Verhandlungen mit den Beitrittswerbern Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland aufzunehmen. Die EWG ist damit in ihrer ersten Phase ihrer Erweiterungsaufgabe nähergekommen.

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Die bisherigen Versuche in dieser Richtung sind bekannt. Die Verhandlungen im sogenannten Maudling-Komitee 1958/59 über die Bildung einer Großen Europäischen Freihandelszone, die mehrfach wiederholten Versuche der EFTA, zu einer multilateralen Lösung, zeitweise auch „.Brückenschlag“ genannt, zu gelangen, die Einzelverhandlungen mit Österreich und schließlich die neuerlichen Beitrittsanträge von Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland sowie die Assoziationsanträge der drei neutralen Staaten. Ebenso bekannt ist die wiederholte französische Weigerung, die seinerzeitigen Versuche zu einem positiven Ergebnis gelangen zu lassen. Der erste Fortschritt wurde im Dezember des vergangenen Jahres bei der EWG-Ministerkonferenz in Den Haag gemacht, mit den Beitrittswerbern nun Verhandlungen aufzunehmen.

Was uns hier nun interessiert, ist natürlich der Fall Österreich. Welches sind die Vorstellungen über einen solchen „präferentieUen Handelsvertrag“ und welche Chancen sind einem solchen Versuch zuzumessen, und was ist von einer Gesamtregelung mit allen drei Neutralen zu halten? Um diese Möglichkeiten richtig beurteilen zu können, muß man zunächst untersuchen, welche Integrationslösung für das immerwährend neutrale Österreich möglich ist. In den seinerzeitigen Verhandlungen sprach man von einem „wirtschaftlichen Vertrag besonderer Art“. Entgegen anderen, meist parteipolitisch inspirierten Behauptungen war und ist dieses österreichische Vertragsvorhaben eine Minimallösung, die es gera.de noch ermöglicht, von einer österreichischen Integrationsteilnahme reden zu können. Österreich wollte und will — hoffentlich! — die Herstellung eines gemeinsamen Zollbereiches mit der EWG und einer harmonisierten Agrarmarktordnung. Nicht mehr. Eine echte Integrationsteilnahme ist nur dann gegeben, wenn die Zölle zwischen Österreich und der EWG wegfallen und Österreich die gleiche Agrarmarktordnung wie die EWG hat. Sonst gäbe es ja auch keinen Wegfall zoll- und handelspolitischer Schranken auf dem Agrarsektor. Um dieses Vertragsziel zu erreichen, sollten in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren die Zwischenzölle abgebaut, die österreichischen Außenzölle mit denen der EWG harmonisiert und die Bestimmungen der Agrarmarktordnung gleichgezogen werden. Dabei ist daran gedacht, stufenweise vorzugehen, um die entsprechenden wirtschaftspolitischen Anpassungen systematisch mitwachsen zu lassen. Das und nicht mehr muß also der Inhalt einer echten österreichischen Integrationspolitik sein, wobei bei der Formulierung eines solchen Vertrages natürlich auf neutralitätspolitische Belange Rücksicht zu nehmen ist. In concreto heißt das, daß ein solcher Vertrag kündbar sein muß und daß sich Österreich auf dem Sektor der Harmonisierungsmaßnahmen dort, wo es notwendig ist, eine Art autonomer Nachvollziehung vorbehalten muß, weil sich ein neutraler Staat nicht supranationalen Behörden . unterwerfen kann. Unter diesen Harmonisierungsmaßnahmen sind jene wirtschaftspolitischen Elemente zu verstehen, die sich aus einem gemeinsamen Zollbereich ergeben. Gemeint sind die Wettbewerbsverzerrungen, die infolge verschiedener gesetzlicher Grundlagen zum Beispiel im Steuerrecht in einem einheitlichen Zollgebiet entstehen und daher systematisch beseitigt werden müssen.

Diese Situation wirft eine Reihe von Fragen auf, die zu beantworten sind, wenn man daraus erfolgversprechende österreichische Schlüsse ziehen will. Die wichtigsten dieser Fragen sind: Warum Entschloß sich Österreich nach dem berühmten de Gaulleschen Veto vom 14. Jänner 1963 gegen die britischen Beitrittsbemühungen zu seinem „Alleingang“? Welcherart waren — und sind — die französischen Beweggründe für die ablehnende Haltung? Welche Rolle spielte das sogenannte italienische Veto? Zunächst warum Alleingang: Nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen über eine Große Europäische Freihandelszone und der zu Beginn 1960 erfolgten Gründung der EFTA setzten sehr bald die Bemühungen der EFTA-Ministerkonferenzen um eine andere multilaterale Lösung ein. Der wesentliche Kern dieser multilateralen Lösung bestand darin, daß man neuerlich eine Lösung auf der Basis einer Freihandelszone anstrebte, wobei zum Unterschied zu den fehlgeschlagenen Bemühungen um die Große Europäische Freihandelszone die EFTA-Staaten als eine Gesamtheit verhandeln wollten. Wie immer diese Lösung im einzelnen aussehen mochte, so war doch klar, daß die mit Großbritannien zu treffende Lösung wegen ihrer überragenden Bedeutung zuerst gefunden werden solle. Das Ende dieser Bemühungen im Jänner 1963 stellte die EFTA-Staaten neuerlich vor die Frage, was nun geschehen könne. Während sich nun alle übrigen EFTA-Staaten nicht bereit fanden, ihre Bemühungen unmittelbar fortzusetzen, entschied die> österreichische Bundesregierung mit Zustimmung des Nationalrates, einen bilateralen Versuch zu unternehmen. Diese Entscheidung war vor allem damit begründet, daß nach dem ganzen Stand der Dinge, so wie sie sich damals darboten, die österreichischen Assoziierungsbemühungen als ein Sonderfall angesehen wurden, der sich aus dem Neutralitätsstatus und den Staatsvertragsverpflichtungen, aber auch aus der allgemeinen politisch-wirtschaftlichen Situation Österreichs ergab. Sieht man von Großbritannien ab, so ist das wirtschaftliche Interesse Österreichs an einer Regelung seiner Beziehungen zur EWG mit Abstand das größte von allen EFTA-Staaten, weil die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und den EWG-Staaten eben weit stärker und intensiver sind als die der übrigen EFTA-Partner. Damals gingen 52 Prozent des österreichischen Exports in die EWG, 59 Prozent des Imports kamen von der EWG und der österreichische Ausländerfremdenverkehr wurde zu fast 90 Prozent von Staatsbürgern aus der EWG bestritten. An diesen Ziffern hat sich bis heute nicht sehr viel geändert. Im Laufe der von 1965 bis 1967 abgewickelten exploratorischen Gespräche und offiziellen Vertragsverhandlungen wurde immer wieder von französischer Seite ein starkes positives Interesse am „Sonderfall Österreich“ an den Tag gelegt und vor allem betont, daß ein Assoziierungsvertrag mit Österreich ein eigenständiger Fall sein solle, der keine präjudiziellen Wirkungen haben dürfe. Der damalige französische Außenminister, Couve de Murville, hat dies in mehreren persönlichen Gesprächen mit dem Schreiber dieser Zeilen ausdrücklich bestätigt. Es war daher mehr als eine Überraschung, als sich 1967 eine Kehrtwendung der französischen Politik in der österreichischen Integrationsfrage bemerkbar machte. Das gleichzeitig auch ausgesprochene sogenannte „italienische Veto“ war von untergeordneter Bedeutung. Es wurde auch nie von der französischen Seite als Argument verwendet. In einer mehr als vierstündigen Konferenz am 18. Mai 1967 am Quai d'Orsay, die zwischen dem französischen Außenminister und dem österreichischen Handelsminister stattfand, konnte auch noch nach harten Bemühungen der österreichischen Delegation die französische Zusage erreicht werden, sich um die Fortsetzung der Verhandlungen zu bemühen. Diese Zusage aber wurde nicht eingehalten, und anläßlich des Staatsbesuches des damaligen französischen Ministerpräsidenten Pompidou und des Außenministers Couve de Murville in Wien im Herbst 1967 erfolgte eine endgültige französische Absage. Es gab ohne Zweifel zwei Gründe für diese französische Haltung. Der eine war eine offensichtliche Rücksichtnahme auf die wiederholt zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der österreichischen Bemühungen durch die Sowjetregierung, der andere die ablehnende Haltung der französischen Regierung gegenüber den generellen Erweiterungsplänen der EWG. Der damalige französische Staatschef, der sich bekanntlich um ein besseres Verhältnis zur Sowjetunion bemühte, glaubte offensichtlich, mit dem Fallenlassen der österreichischen Integrationsbemühungen Erfolge für die Grundlinie der französischen Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion zu erzielen. Daß er sich dabei täuschte, ist längst historische Tatsache geworden. Dennoch wäre es ein geschichtlicher Irrtum, anzunehmen, daß das bisherige Scheitern der österreichischen Bemühungen um eine Sonderregelung fruchtlos gewesen sei. Wie immer die künftige Entwicklung auch sein mag, so steht fest, daß in den seinerzeitigen Verhandlungen zwischen Österreich und der EWG die österreichische Integrationsposition geklärt wurde und somit alle Voraussetzungen schon geschaffen sind, auf denen ein künftiger Vertrag, wie immer er im einzelnen aussehen mag, aufbauen kann, ja aufbauen muß, weil das damals verhandelte Konzept praktisch das einzige ist, das für Österreich verwirklicht werden kann.

Was nun die sowjetische Haltung betrifft, so muß auch dazu immer wieder ein offenes Wort gesprochen werden. Die sowjetische Auffassung, nach der ein österreichischer Assoziierung svertrag der Neutralität und den Staatsvertragsverpflichtungen widersprechen würde, läßt sich nicht mit einer einzigen Silbe begründen! Es gibt weder eine wirtschaftspoli-tische Neutralität, noch wäre ein Assoziierungsvertrag mit der EWG ein Vertrag mit Deutschland, der dem Artikel 4 des Staatsvertrages widersprechen würde. Eine sowjetische Insistenz gegen die österreichischen Assoziierungsbemühungen würde somit eine Einmengung in österreichische Angelegenheiten darstellen, ein Faktum, das, von allen anderen Erwägungen abgesehen, auch diametral dem österreichischen Neutralitätsstatus widersprechen würde. Die während der österreichischen Verhandlungen mit Brüssel geübte Taktik gegenüber der Sowjetunion bestand daher auch immer darin, den sowjetischen Gesprächspartner auf dessen Wunsch über die österreichischen Assoziierungsbemühungen vollinhaltlich und wahrheitgetreu zu informieren und den souveränen Standpunkt der österreichischen Regierungspolitik unmißverständlich zu betonen.

Die Frage der Gegenwart ist nun die, wie es weitergehen soll. Im Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, ist ein abschließendes Urteil fast unimöglich. Einmal liegt der schon erwähnte Beschluß vom Dezember des vergangenen Jahres vor, mit Österreich die Verhandlungen über einen „präferentieUen Handelsvertrag“ aufzunehmen, der indessen wegen seiner Undurchführ-barkeit in einer ziemlich unbestimmten Form noch abgeschwächt wurde, zum andern wird in Brüssel auch von einer gemeinsamen Regelung für die neutralen Staaten geredet. Seit neuestem spricht man in der EWG von vier neutralen Staaten, indem man Finnland einbezieht. Das ist eine Vorgangsweise, die von Österreich nicht übersehen werden darf. Selbstverständlich wird es Österreich begrüßen, wenn auch Finnland zu einer Regelung seiner wirtschaftlichen Beziehungen mit der EWG kommt. Ob dies von der finnischen Regierung aber überhaupt gewünscht wird, ist mehr als fraglich. Die zu Beginn 1970 bis auf weiteres gescheiterten Verhandlungen um eine skandinavische Zollunion (Nordek) beweisen eher das Gegenteil. Aber nicht allein das ist es, was Aufmerksamkeit erfordert. Wenn die Informationen aus Brüssel stimmen, so bildet sich dort in jüngster Zeit die Auffassung, daß man die europäischen Neutralen in zwei Gruppen teilen dürfe oder sogar müsse: Schweiz und Schweden einerseits, Österreich und Finnland anderseits. Eine solche Ideologie muß aber bei aller Freundschaft für das finnische Volk österreichischerseits zurückgewiesen werden. Nach herrschender Völkerrechtslehre ist Finnland wegen seines Beistandsvertrages mit der Sowjetunion kein neutraler Staat, und das auch dann nicht, wenn die finnische Regierung bemüht ist, eine Quasi-Neutralitätspolitik zu betreiben. Dazu aber kommt noch, was ja allgemein bekannt ist, daß die Einflußnahme der sowjetischen Regierung auf die finnische Politik sehr bedeutsam ist. Österreich aber hat nicht im geringsten die Absicht, sich einer gleichen Einflußnahme auszusetzen. Es hat als echter, immerwährend neutraler Staat hie-zu nicht einmal eine völkerrechtliche Möglichkeit. Österreich und Finnland daher in der europäischen Integrationspolitik in einen Topf zu werfen, das kann von Österreich nicht unwidersprochen bleiben. Warum schweigt übrigens der Ballhausplatz dazu?

Wie sieht es mit den Möglichkeiten eines „präferentieUen Handelsvertrages“ aus? Ein solcher wäre mit Rücksicht auf die Bestimmungen des GATT (Art. 24/5 c) nur als erste Stufe zu einem in eine Zollunion oder eine Freihandelszone mündenden endgültigen Vertrag möglich. Daher verlangt man in Brüssel ein solches Verhandlungsprogramm, während die französische Seite neuerdings nur bilaterale Zollkonzessionen zugestehen will, für die Österreich eine Ausnahmegenehmigung beim GATT beantragen müßte. Es steht ganz außer Diskussion, daß ein solcher Antrag, der im GATT mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden müßte, jemals Erfolg haben könnte. Ausnahmen von Art. 24/5 c gibt es sinnvollerweise im GATT nur für Entwicklungsländer und nicht für hochindustrialisierte Staaten. Wer also Österreich auf den Ausnahmeweg im GATT verweist, verhindert damit neuerdings die österreichischen Integrationsbemühungen! Was aber die Möglichkeit multilateraler Gespräche mit den Neutralen betrifft, so muß man sich fragen, was dabei herauskommen kann, noch dazu, wo, wie oben ausgeführt, das österreichische Integrationsvorhaben sowieso europabekannt ist,

während weder die Schweiz noch Schweden jemals genauer erklärt haben, wie sie sich ihren Assoziierungsweg zur EWG vorstellen. Daß eine große westeuropäische Wirtschaftseinheit kommen muß, darüber sind sich wohl alle im klaren, die die ökonomische Entwicklung der Gegenwart und auch der nächsten Zukunft richtig einzuschätzen vermögen. Die Entwicklung zum Großwirtschaftsraum ist in der Welt von heute unaufhaltsam geworden. Kleine, autonome Volkswirtschaften werden schon in nicht allzu ferner Zukunft kaum mit der Entwicklung von Großwdrtschaftsräumen Schritt halten können. Sie müßten, wenn ihnen eine Teilnahme an einem solchen Großwirtschaftsraum nicht gelingt, unvermeidlich im Hintertreffen bleiben. Jedes Nachlassen der Konjunktur aber wird die Nichtteilnahme Österreichs an der EWG wieder spürbar werden lassen. Aber das ist, wie gesagt, nur eines der vielen österreichischen Integrationsprobleme. Das überragende Problem unserer Integrationsbemühungen wird von der Notwendigkeit gezeichnet, für Österreich den Weg zur Teilnahme am westeuropäischen Wirtschaftsraum zu finden und zu ebnen.

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