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Wozu ist die Straße da?

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Von Dipl.-Iiig. Viktor Horwatitsch, Städtischer Oberbaurat i. P.

Das Verkehrsproblem ist nicht nur eine technische, sondern neben der moralischen noch eine sehr dringende soziologische Frage. Nun hat man wohl in den letzten Tagen im Rahmen einer sehr verdienstvollen Enquete in Wien die technische sehr eingehend öffentlich besprochen, die soziologische aber meines Wissens nur am Rande berührt: zu unrecht, denn wenn sie auch nicht sichtbar in Erscheinung tritt, so berührt sie die Allgemeinheit nicht minder.

Im Vordergrund steht dabei die Frage der gerechten Aufteilung der Kosten, die die Regelung des Verkehrsproblems erfordert. Von den Vertretern der motorisierten Straßenbenützer wird immer angeführt, daß die im Benzinpreis enthaltenen Abgaben und die sonstigen den

Kraftverkehr belastenden Steuern rein zweckbestimmt seien und weit mehr brächten, als für den Straßensektor aufgewendet würde. Diese Ueberlegung ist ungenau, denn es werden immer nur die ■ unmittelbaren Aufwendungen für die Erhaltung und den Neubau der Straßen berücksichtigt. Es müßten aber die gesamten für den Straßenverkehr auflaufenden Kosten kontenmäßig ermittelt weiden. Also nicht bloß die für die reine Erhaltung und den Neubau, sondern auch der Anteil an der Verwaltungsarbeit, wie der Planung, Verrechnung usw., der Sicherheitsmaßnahmen (Verkehrszeichen, Ampeln usw.) sowie der Verkehrspolizei, einschließlich der hierzu mittelbaren Verwaltung und der Pensionisten, sodann müßten die Anteile, die auf den motorisierten Verkehr, den Pferdefuhrwerksverkehr und schließlich die Fußgänger entfallen, nach festen und beweglichen Kosten unterteilt werden. Dieses Verfahren ist ja allgemein bekannt und ist in besonders verfeinerter Weise in der Elektrizitätswirtschaft bei der Ermittlung der Stromkosten ausgebildet worden.

Diesem Verfahren wird vielleicht entgegengehalten werden, daß am Kraftverkehr ja ziemlich alle Wirtschaftszweige mittelbar oder unmittelbar ihren Nutzen haben und die Kosten daher von der Allgemeinheit zu tragen wären. Das ist nicht richtig, denn es ist allgemein üblich, eine strenge Trennung aufzustellen und, wie es in der Verwaltungspraxis geübt wird, die zusätzlichen Kosten dem später hinzukommenden Partner anzulasten. Nur bei allgemein verpflichtenden Angelegenheiten, wie öffentliche Verwaltung (Zoll, Heer, Unterricht usw.), ist dieses Verfahren überflüssig. Nimmt man aber bei Sonderaufwendungen die Beurteilung des allgemeinen Vorteiles hinein, so bleibt dem „Ermessen“ ein viel zu großer Spielraum — er kann nach der ziffernmäßigen Feststellung unter Umständen berücksichtigt werden, aber nie ohne diese.

Ein weiterer Punkt bei der Kostenermittlung ist das Parkproblem. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß die Straße dem Verkehr zu dienen hat, nicht aber dem Abstellen auf längere Zeit als der unmittelbaren Abwicklung des Geschäftsfalles, zum Beispiel Arztbesuch, Kaufbesorgung oder Geschäftsbesprechung, entsprechen würde. Die Behinderung geht ja zum Beispiel auf der Mariahilfer Straße schon so weit, daß in der zweiten Reihe entladen werden muß. Eng mit dieser Frage verbunden ist die Frage der Garagierung. Hier muß um so mehr festgehalten werden, daß ein Garagieren auf öffentlichem Grund nicht zulässig ist, da ja auch hier Verkehrsfläche der Benützung entzogen wird. Es geht ja auch nicht an, Möbel bei Raummangel auf den Gehsteig zu stellen oder dort zu zelten, wenn man kein Quartier findet — so grotesk der Gedanke, im wesentlichen ist es dasselbe. Es ist ein bedauerliches Versagen der Privatwirtschaft, daß eine großzügige Lösung dieser Frage von ihr zumindest nicht einmal versucht worden ist. Wundert man sich dann darüber, daß die öffentliche Hand, von der man die Bereinigung dieser Fragen verlangt, immer weitere Gebiete unter ihre Herrschaft bringt? Ich verweise nur auf die der Gemeinde durch das Verhalten der Hausbesitzer fast aufgezwungene Entschädigung von einigen tausend Schilling für nicht ausgeführten Garagenraum.

Man wende nicht ein, daß unter solchen Kostenauflagen der Kraftverkehr zu hoch be-

lastet würde: auf irgendeine Weise müßten die Einrichtungen ja doch beschafft werden, nur daß sie dann die Allgemeinheit und nicht die Nutznießer belasten würden, wie etwa bei dem glücklicherweise nicht ausgeführten Parkplatz an Stelle des Heinrichshofes. Ich weiß, daß diese Grundsätze zur Kostendeckung einen Sturm der Entrüstung hervorrufen würden. Es handelt sich hier aber zunächst um grundsätzliche Erwägungen, die in der Ausführung ja noch zu Abänderungen führen können. Aber es ist nicht minder grundsätzlich festzuhalten, daß erst auf Grund solcher Erwägungen die Gleichheit des Kraftverkehrs mit jenem der Voll- und Straßenbahnen, nicht bloß in Oesterreich, hergestellt würde. Die Bahnen müssen — es ist dies eine Binsenwahrheit, die in der Oeffentlichkeit immer wieder vergessen wird — ganz für ihren Weg aufkommen, s i e müssen jedes Personal zahlen, sie haben viel schwerere Haftungsverpflichtungen, sie müssen jeden Grund, also auch für die Abstellplätze bezahlen, von ihnen wird von der Oeffentlichkeit verlangt, daß sie die schienengleichen Uebergänge beseitigen sollen und daß sie endlich die Warnzeichen für den Kraftverkehr besorgen und instand halten. Uebri-gens hat sich noch nach jeder neuen Belastung des Kraftverkehrs „ein Sturm der Entrüstung“ erhoben, der aber der Vermehrung des Kraftverkehrs keinen Abbruch getan hat.

Und ist dann auf Grund solcher Ueber-legungen der Kraftverkehr wirklich defizitär, so ist noch immer keine neue Lage entstanden: es müßte nur ein Weg gefunden werden, die Lasten, die ja sonst die Allgemeinheit zu tragen hätte, zu überwälzen — und wenn auch nur zum Teil —, nicht aber dürfte die Allgemeinheit den allgemein gerühmten billigen motorisierten Sonntagsausflug finanzieren. Daß natürlich politische Erwägungen hineinspielen werden, ist zu erwarten, würde man ja doch einen Teil

der Wähler, gleichviel welcher Farbe, ver-schnupfen ...

Der Raum für eine grundsätzliche Erörterung ist zu knapp, um weitere Belastungen, die die Allgemeinheit hinnehmen muß, zu erörtern. Es sei nur auf die Verlangsamung des öffentlichen Verkehrs in der Stadt hingewiesen. Eine Untergrundbahn bedeutet nur ein Kapitulieren vor dem aufkommenden Kraftverkehr, soweit die Schnellbahn nicht im unmittelbaren Interesse der Bewohner liegt. Sonst müßte eigentlich der Kraftverkehr in die Tiefe verlegt werden, wie zum Beispiel am Matzleinsdorfer Platz. Weiter wäre hinzuweisen auf die hohe Belastung aus dem Unterschied zwischen den tatsächlichen und den bezahlten Aufwendungen bei Unfällen durch den Kraftverkehr, die keineswegs als unvermeidbare Fälle, wie Krankheiten, anzusehen sind. Ich will weiter nur die Teilung der Menschen in eine motorisierte und eine nichtmotorisierte Klasse andeuten, die nur deshalb nicht zur Empörung führt, weil diese hofft, in jene aufzurücken, bis auf die wenigen, die dieses Adelsbriefes nicht bedürfen. Hätte aber in der kaiserlichen Zeit der Verkehr die Fußgänger nur annähernd so „molestiert“ wie heute, welche Steine würde man dieser Zeit noch nachwerfen!

Das alles sei selbstverständlich ohne grundsätzliche Gegnerschaft zur Motorisierung gesagt. Aber wie überall, soll jeder eben seine Lasten selbst tragen. Tut er es nicht, so entstehen ganz unklare und ungerechte Verhältnisse, die man mit Recht rügt — wie zum Beispiel beim Milchpreis, bei den Bundesbahnen und so weiter.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn die „Furche“, die ja stets um den Ausgleich der menschlichen Ansprüche besorgt ist und die keinem Interessenkreis auch nur mittelbar verpflichtet ist, diese Frage zur Diskussion stellen würde.

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