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Digital In Arbeit

Wurfelspiel um die Freiheit

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Das Streikrecht ist eine besondere Form des legitimen Widerstandsrechtes der Arbeitnehmer, ausgeübt in Grenzstationen bei der Austragung von Arbeitskonflikten. Das Recht der Arbeitnehmer, zu streiken, ist nun ebenso wie das logisch übergeordnete Koalitionsrecht ein ganz wesentlicher Bestandteil jener Versuche, die auf eine Sozialreform gerichtet sind. Ist doch die Sozialreform als Prozeß zuweilen nur in der Auseinandersetzung von Macht und Gegenmacht zu vollziehen.

Wird gestreikt, so wird die an sich schon knappe Ware „Arbeit“, soweit sie von Arbeitnehmern geleistet wird, am Streikort aus dem Verkehr gezogen. Die Verweigerung der Arbeitsleistung wirkt nun ganz besonders drastisch, wenn sie mit der Herstellung lebenswichtiger Güter befaßt ist. In diesem Fall kann man das Wort Streik an seinen Ursprung zurückführen, -da die Arbeiter dann, wenn sie streiken, in der Lage sind, „to strike a strök“e~“. Dagegen wirä der Streik von Museumsbeamten kaum als außerordentliche Härte empfunden. Würde, um ein anderes Beispiel zu nennen, der Streik von Bäckereiarbeitern größte Verwirrung hervorrufen, wäre ein Streik von Lehrern eine Angelegenheit, die bei den „Konsumenten“ der pädagogischen Dienstleistungen sicher helle und auch bei längerer Dauer ungetrübte Freude hervorrufen könnte.

Der Streikeffekt ist also verschieden, ebenso die soziale, ökonomische und politische Bedeutung. Von der passiven Resistenz, die bei manchen Arbeitnehmergruppen ohnedies nicht sofort auffallen würde, und vom System der Arbeitszurückhaltung (Ca-Canny) wollen wir, weil ihre Wirkung meist keine dramatische ist, absehen.

Die Wirkung eines gelungenen Streiks kann n u h “u. a. sein:

1; Lohnerhöhung. Sie kann relativ so hoch sein, daß es dem Unternehmen nicht möglich ist, sie mit der Bruttogewinnspanne zu kompensieren. Dann werden die Preise erhöht. Handelt es sich bei den in Frage kommenden Gütern um solche des Existenzbedarfes, bleiben die nun teurer gewordenen Güter weiter in fast gleicher Menge gefragt. Der im Interesse einer Gruppe erfolgreiche Streik war dann in einem gewissen Sinn eine Form der Ausbeutung des Arbeitnehmers durch andere Arbeitnehmer.

Sind die wegen des Lohnanstieges teurer gewordenen Güter solche des Luxusbedarfes, kann es bei diesen zu einer Reduktion der Nachfrage und in weiterer Folge zu einer Kündigung von Arbeitnehmern kommen.

Es zeigt sich also, daß der Streik nicht bei allen Arbeitnehmergruppen gleiche Wirksamkeit hat. Wird nun der Streik konsequent und fast durchweg bei Lohnauseinandersetzungen angewendet, muß sich so eine Differenzierung im Einkommen der Arbeitnehmer ergeben. Nicht etwa nach Leistungsgröße, sondern nach der unmittelbaren volkswirtschaftlichen Bedeutung und Gewichtigkeit jener Güter, die von den einzelnen Arbeitnehmern hergestellt werden.

2. Die durch den Streik erzwungene Verteuerung der Arbeitsstunde wird manche Unternehmungen veranlassen, soweit technisch möglich, die menschliche Arbeitsleistung durch Maschinenarbeit zu ersetzen.

3. Eine besondere Form des Streiks ist der Generalstreik. Irgendwie ist er eine Abart des Aufstandes. Es streikt praktisch jeder gegen jeden. So kommt es zur Aussperrung der Konsumenten. Soweit die „Reichen“ Konsumenten sind, spüren sie die Folgen eines Generalstreiks “erheblich weniger als die „arbeitenden Massen“. Jeder Streik kürzt das Sozial-' Produkt, wenn es sich nicht um Arbeitnehmer handelt, die metaökonomische Werte schaffen. Der Generalstreik aber kürzt das Sozialprodukt (vor allem, weil er die Organisation der Volkswirtschaft lahmlegt) und die durchschnittliche Wohlfahrt in einem solchen Umfang, daß seine Anwendung nur in ganz wenigen Fällen und für kurze Dauer moralisch gerechtfertigt ist.

Was wir nun in Oesterreich seit der Befreiung an Streiks, aber noch mehr an Streikdrohungen erleben, hat nun mit dem klassischen Streik als einem legitimen Mittel der Durchsetzung arbeitnehmerischer Forderungen nur zum Teil etwas zu tun.

In manchen Branchen ist die Gewinnspanne sq hoch (weil die Produktivitäts-, besser: die Ertragssteigerungen nicht anteilmäßig auf die Arbeiter weitergegeben wurden), daß Lohnerhöhungen ohne Gefährdung der Preisstabilität gewährt werden können. In manchen Branchen ist der Preis gebunden (Milch, Brot). Durch Streiks erzwungene Lohnerhöhungen können bei Gütern mit gebundenen Preisen vorweg nur mit Rationalisierungen oder mit Gewährung öffentlicher Subventionen ausgeglichen werden. In manchen Branchen wieder muß eine Lohnerhöhung als Folge eines Streiks auf die Preise fortgewälzt, kann aber gesamtwirtschaftlich aufgefangen werden. Das heißt also, daß, gesamtwirtschaftlich gesehen, durchaus Lohnsteigerungen ohne Gefährdung der Währung und der durchschnittlichen Wohlfahrt möglich wären; auch im Jahre 1956.

Wesentlich ist aber, daß viele Lohnforderungen nicht geordnet und da und dort durch einen Streik durchgesetzt werden, sondern weitgehend in einer Art Streikpsychose. Aehnlich jener, die wir erst vor einigen Wochen bei den Preisen erlebten. Manche, die für Streikdrohungen verantwortlich zeichnen (es sind keineswegs immer die Gewerkschaftsführer), haben zuweilen jede Einsicht in die Wirklichkeit des Geschehens verloren und machen sich über die ökonomischen Folgen von Streiks kaum eine Vorstellung. So beginnt das Streikfieber eines der Abfallprodukte der österreichischen Befreiungsneurose zu werden, die ausgebrochen ist, weil nicht wenige in unserem Land Freiheit mit Bindungslosigkeit verwechseln und höchst originelle Auffassungen von Staatsführung und dem Umfang der ökonomischen Substanz Oesterreichs haben. Daher ist es dazu gekommen, daß der Streik als ein letztes Mittel im Verlauf sozialökonomischer Auseinandersetzungen weithin in seiner Bedeutung entwertet wurde und zu einem Ventil für jene geworden ist, die durch zehn Jahre aufgestaute Komplexe rasch und theatralisch loswerden wollen.

Es muß auch hier gesagt werden: Seit Monaten wird in unserem Vaterland in einem kaum mehr zu verantwortenden Umfang fast jede Argumentation im Rahmen der Lohn- und Gehaltsdiskussionen vorweg und lapidar mit dem Hinweis auf den Streik bekräftigt. Das heißt: Gewalt als erstes Argument. Auf die durch die Streiks hervorgerufenen und volkswirtschaftlich oft bedeutsamen Kosten^ und Preisänderungen wird nur in wenigen Fällen und, wenn der Streik geordnet abläuft, Rücksicht genommen. Auch die Unternehmerseite gibt oft willig nach. Weiß sie sich doch bei Gütern, in denen das

Anbot knapp ist, sicher, daß auch der neue Freis auf dem Markt angenommen wird.

Im Verlauf des Streikpalavers zeigt sich in Oesterreich bei der Masse der Verantwortlichen ein bemerkenswerter Infantilismus in der Beurteilung ökonomischer (vor allem staatswirtschaftlicher) Vorgänge. Es erweist sich so die konsequente Nichtbeachtung des Oekonomi-schen im Unterricht an unseren mittleren Lehranstalten als die Ursache eines psychologischen Staatsnotstandes: Man ist bereit, dem Vaterlande zu geben, was dem Vaterlande gebührt. Aber es darf nichts kosten.

Im letzten Quartal des Jahres 195 5 konnten wir in Oesterreich einen reichen Streikdrohungskatalog aufweisen. So kam ts, daß manche Zeitungen begannen, Streiklisten aufzustellen. Morgen können es die Hebammen sein und in Bälde die Mütter, welche Wirt-ichaftsgeldforderungen nur noch durch Versiegelung der Küchen durchzusetzen glauben. Jedenfalls wissen wir heute nicht, wo und wann die psychologische Streikspirale endet. Jedes Gespräch mit den Sozialpartnern (die es in einer bestimmten Form in jeder Wirtschaftsordnung gibt) wird jedenfalls durch den Hinweis auf den möglichen Streik vorweg Verwirrt.

Nun kann ein Land und eine politische Ordnung (vor allem eine ohnedies elastische demokratische Ordnung) einige Zeit das Spiel mit den Streikdrohungen ertragen. Dabei sollte bei aller notwendigen Kritik nicht übersehen werden, daß in vielen Fällen hinter der Drohung mit dem Streik die ernste Sorge von verantwortungsbewußten Arbeiterführern um die Durchsetzung der Sozialreform steht. Oder daß fs um die Berichtigung von Löhnen geht, deren Tiefstand angesichts des in unserem Land getriebenen Luxus' ein skandalöser ist. Es darf aber die Drohung mit dem Streik nicht zum konstitutiven Element in der Lohn- und Preis-findung werden. Wenn es nur noch Machtlöhne und Machtpreise gibt, wird jede volkswirtschaftliche Disposition in Hinkunft mit übernormalen Risiken (und dadurch zusätzlichen Kosten) belastet. Auch ein Budget könnte auf diese Weise nur formalen Charakter haben und hätte so gut wie keinen Aussagewert.

Die Demokratien haben die Bedingungen ihrer Liquidation meist selbst geschaffen. Nun ist die junge österreichische Demokratie nicht jeder Belastung gewachsen. Es könnte wohl sein, daß jene, die jetzt als reine Toren hinter Tafeln mit markigen Streikparolen einherziehen, noch den Tag X erleben, an dem sich ihre „geheimsten“ Wünsche erfüllen. Aber es kann auch der Tag X + 1 kommen, an dem dann viele, die an der demokratischen Ordnung keinen Gefallen fanden, u. a. weil die .Streikschraube überdreht wurde, tränenden Auges in ein Paradies zurückblicken müssen, in dem man den Menschen, weil sie für voll genommen wurden, so etwas wie eine demokratische Betätigung gestattet hatte, auch das Recht, nach Belieben zu streiken.

Es hat also — knapp nach der vollzogenen Befreiung — das Würfelspiel um Oesterreichs Freiheit begonnen. Die zu verspielen eine Schar Hysteriker im Verein mit der Masse von Gutgläubigen bereit sind, wenn auch nur um ein paar Schilling, um eine „Teuerungszulage“, die man sich mit einer schnell hervorgestoßenen routinemäßigen Streikdrohung ergattern will.

Wer den Streik um des Streikes wegen will, wer kein anderes Argument als jenes der Gewalt gelten lassen will — er mag nun rechts oder links stehen — verstärkt die anarchistischen Tendenzen in unserem Land. Wenn in äußerster Konsequenz einmal durch den Streik der Staatsnotstand herbeigeführt würde, dann hätte der Streikzieher (wenn auch fast durchweg unbewußt) den Weg zum Hochverrat geebnet. Denn er hat jene unterweltlichen Gewalten hochkommen lassen, denen eine legitime Tätigkeit in einer demokratischen Ordnung untersagt werden muß.

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