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Zeugen lebendigen Geistes

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Zehntausende Urkunden — manche von ihnen sind älter als ein Millenium — beweisen, daß in Niederösterreich der Kirchenbau am Beginn der historischen Entwicklung stand.

Die Kirchen waren schon in der ersten Kolonisationsperiode des Donaulandes zwischen Enns und Leitha, zur Zeit Karls des Großen, nicht nur kulturelle, sondern auch wirtschaftliche Zentren; diese Entwicklung fand nach der entscheidenden Lechfeldschlacht ihre zielstrebige Fortsetzung.

Die Stifte und Klöster wurden zu Lehrmeistern der Kolonisten; die Kirchen zum Mittelpunkt von Gemeinwesen, aus denen sich erst viel später die Gemeinden im modernen Sinn entwickelten. Die beispielhafte Mitarbeit der Kirche an der Erschließung unseres Heimatlandes hat auch das innige Verhältnis der Bevölkerung zu den sakralen Bauten im Lande mitbestimmt, ,.,

Die zahlreichen Wehrkirchen im Donauraum beweisen die schicksalhafte Verbundenheit der Einwohner mit ihrem Gotteshaus. Die schönen Wallfahrtskirchen im Lande aber sind der steingewordene Ausdruck des Dankes einer Bevölke-tung, die im Verlaufe eines Jahrtausends österreichischer Geschichte wiederholt dazu bestimmt war, den Ansturm der Barbarei und des Unglaubens abzuwehren. So wurden die Gotteshäuser im Donauland zu Denkmälern des Glaubens und des Gottvertrauens. Würde uns nichts anderes an sie binden als diese aus der Geschichte gewonnene Erkenntnis, es wäre Grund genug, uns zur Erhaltung und Verschönerung unserer Kirchen zu verpflichten.

Doch sehen, Gott sei Dank, bei weitem die meisten Niederösterreicher auch heute noch in ihren Kirchen mehr als nur kulturell wertvolle Denkmäler; nach wie vor ist das Gotteshaus der Ort, wo sich die Einwohner unserer Dörfer, Märkte und Städte wirklich als große geistliche Familie fühlen können und fühlen sollen. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit und inneren Geborgenheit überträgt sich in manchen Kirchen auch auf den Ortsfremden. Es stimmt zum Nachdenken, wenn man beispielsweise in den herrlichen Stiftskirchen von Melk, Göttweig, Altenburg oder Herzogenburg Ausländer antrifft, denen die innere Ergriffenheit eines einmaligen Erlebnisses aus den Augen leuchtet.

Trotzdem können nicht Denkmalpflege oder Fremdenverkehrsförderung die letzten Gründe dafür sein, daß sich auch das Land bemüht, den Kirchenbau zu fördern und die Restaurierung vorhandener sakraler Denkmäler zu unterstützen. Wir sehen in der Kirche mehr als nur ein Denkmal und betrachten daher den Kirchenbau und die Kirchenerhaltung als wesentlichen Beitrag zur Wahrung der gesunden geistigen Struktur der Bevölkerung dieses Landes.

Darum war es für das Land auch eine Selbstverständlichkeit, mitzuhelfen, dem Marienheiligtum in Mariazell wieder ein würdiges Aussehen zu geben, und darum haben wir auch unseren Beitrag zum Wiederaufbau des Domes von Sankt Stephan geleistet. Die Kirchen, Kapellen und Bildstöcke im Lande sollen nicht nur Denkmäler einer großen Kulturtradition, sondern auch Zeugen eines lebendigen Geistes sein. Gerade darum ist es notwendig, daß sich auch die moderne Architektur bei uns für den Kirchenbau interessiert — andere Länder, vor allem Westdeutschland und die Schweiz, haben auf diesem Gebiet vorbildliche Arbeit geleistet. Wahrscheinlich sind wir mit dem modernen Kirchenbau noch nicht soweit, wie wir sein sollten und sein müßten, weil der Krieg auch den Sakralbauten in unserem Lande schwere Wunden geschlagen hat. Die Kriegsschäden zu beseitigen und Restaurierungsarbeiten durchzuführen, für die während der Kriegszeit weder Geld noch Interesse bei den weltlichen Stellen vorhanden war, war- die Aufgabe der vergangenen Jahre. Dringend notwendige Neubauten, konnten nur dort in Angriff genommen werden, wo die Sorgen der Seelsorge alle wirtschaftlichen Bedenken in den Hintergrund treten lassen mußten.

Als Landeshauptmann jenes Bundeslandes, das man so gerne das Land der Stifte und Klöster nennt, möchte ich den Aebten unserer großen Stifte für die musterhafte Arbeit und für die Opfer danken, mit denen sie ihre Häuser restaurieren ließen und wieder zu sehenswerten Kulturzentren machten. Die zahlreichen Besucher vor allem aus dem Ausland sind die augenfälligste Anerkennung dieser Leistungen. Doch nicht nur große Stiftsbasiliken wurden in den vergangenen Jahren in Niederösterreich restauriert; es gibt nur ganz wenige Kirchen, in denen nicht dies oder das zur Verschönerung getan worden wäre.

Die Notwendigkeit des modernen Kirchenbaus ergibt sich vor allem an den Rändern unserer Städte aus der Aenderung in ihrer baulichen Struktur. An der Peripherie größerer geschlossener Bauräume, deren Umfang vom Mittelalter bis zur Jahrhundertwende kaum wesentlich gesprengt wurde, entstanden in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem aber im letzten Dezennium, ausgedehnte Siedlungen, die über keine Kirchen verfügen. In vielen dieser Neusiedlungen hat das Land bereits neue Schulen gebaut; seit Jahrhunderten aber gehören in jeden Ort in unserem Lande Kirche und Schule nicht nur geistig, sondern auch baulich irgendwie zusammen. Ich freue mich daher, daß die Kirche nun dabei ist, diesen Neusiedlungen auch die notwendigen Gotteshäuser zu geben; wir sind bereit, diese Vorhaben mit Rat und Tat zu fördern.

Als Niederösterreich Grenzland gegen den Halbmond war, hatten die Wehrkirchen des Landes ihre Funktion nicht nur als Gotteshäuser zu erfüllen; als die Türkengefahr abgewendet werden konnte, bauten unsere Ahnen als Denkmäler des Dankes herrliche barocke Wallfahrtskirchen, wie Maria-Taferl, Dreieichen, Sonntagsberg usw. Auch heute ist Niederösterreich im gewissen Sinne wieder Grenzland gegen den Unglauben. Wir können gegen eine moderne Propaganda der Gottlosigkeit nicht mehr mit Wehrkirchen bestehen, aber der aufrechte Geist des Christentums, der der Bevölkerung in den Kirchen, mögen sie nun romanisch, gotisch, barock odf-i aus Stahl und Beton erbaut sein, vermittelt wird, gibt heute wie vor 300 Jahren den Ausschlag.

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