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Man hat sich im Verlauf der letzten Jahre schon daran gewöhnt: Rekorde im Fremdenverkehr, Erhöhung der Devisenerträge und daraus eine weitgehende Abdeckung des beträchtlichen Passivums der Handelsbilanz; weitere kostspielige Investitionen aus öffentlichen und privaten Mitteln im Beherbergungssektor; Subventionen für alle attraktiven Veranstaltungen; zusätzliche Werbung für Kongresse und Sportveranstaltungen, für Festspiele bis in die Märkte hinaus. Und nun, etwa zur Halbzeit des jährlichen Fremdenverkehrs, macht sich, über die gewohnheitsmäßige Krittelei hinaus, eine bedrückte Stimmung breit. Diese erste Hälfte der Hochsaison hat nicht das gehalten, was voreilige Optimisten versprachen.

Es fehlt natürlich nicht an Rechenkunststückchen. Einmal macht man für die schwachen Ergebnisse des Mai den Kalender verantwortlich — Pfingsten fiel in den Juni —, dann ist das schlechte Wetter im Juli an dem Defizit schuld, und wer den Gewerkschaften eins aufs Zeug flickten möchte, der schiebt den Streikdrohungen und der 45-Stunden-Woche die Verantwortung zu. Die Gründe liegen aber nur zum kleinsten Teil hier, sondern anderswo. Der Privatzimmerballon wurde planlos, unkontrolliert und unverhältnismäßig aufgeblasen. Wer in einer nur irgendwie anziehenden Gegend ein Wohnhaus für sich bauen ließ, der kalkulierte in die Baukosten bereits die zu erwartenden Einnahmen aus eingerichteten Fremdenzimmern ein. Wo bereits ein Wohnhaus stand, wurde schnell eine Dependance angebaut. Daraus erwuchs ein Uberangebot an Zimmern trotz des Trends zur Privatwohnung, trotz der Neigung, in stillen Orten, fern dem Rummel, den Urlaub zu verbringen. Die Hotels als die eigentlichen Devisenbringer, steuermäßig stärker belastet als die Privatvermieter, waren die ersten, die zu klagen begannen. Dazu kommt noch das Campingwesen, das — ein Schnitt ins eigene Fleisch — von den Gemeinden gefördert wurde mit dem Ergebnis, daß die Mehrzahl der Reisenden weder die mit erheblichen Kosten modernisierten und doch nicht immer und überall auf den internationalen Rang gebrachten Hotelzimmer frequentierte noch die zugebauten Privatquartiere füllte, Der Campingreisende, motorisiert und auf Witterungsunbilden sehr rasch reagierend, ist Flugsand, und wer auf diesen Sand baut, ist schlecht beraten.

Es gibt aber noch eine Fülle anderer Gründe für das herrschende Mißbehagen der Fremdenverkehrswirtschaft. Der Ausländer hat erkannt, daß Preis und Leistung nicht immer im rechten Verhältnis zueinander stehen; er hat genügend Gelegenheit zum Vergleich in einem Lande, das so hochentwickelten traditionellen Fremdenverkehrsländern wie Italien und der Schweiz benachbart ist. Dazu kommt eine wachsende Werbung anderer Länder: Jugoslawien, Westdeutschland (ein ständiger Gast auf unseren Ankündigungsflächen), ja sogar Griechenland, Ägypten, Bulgarien, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und das ganze westliche Mittelmeer (mit dem Modeziel Mallorca). Der Zug zu den Arrangements mit einbezogenen Flugpassagen gibt zu denken. Die Konjunktur, der Wohlstand breiter Schichten wenden sich nach außen. Die Großmannssucht trumpft auf. Die strukturelle Verlagerung des Reiseverkehrs ist — so gesehen — nicht allein eine rechnerische, sondern auch eine psychologische. Es müßte der Inlandgast des Gefühls enthoben werden, im eigenen Land ein Lük-kenbüßerzusein. Die Schulen, die Volkshochschulen, die Kinos, die Streuung des Werbematerials müßten erzieherisch wirken.

In den ersteh fünf Monaten des Jahres 1960 sind 1,6 Milliarden an Devisen vom Fremdenverkehr erbracht worden, 200 Millionen Schilling oder 15 Prozent mehr als 1959. Aber durch die Belastung mit der Anforderung ausländischer Geldmittel durch den Inländer in den gleichen fünf Monaten um 395 Millionen Schil-1in<j Gegenwert sind von dem Plus der fünfzehn Prozent nur noch drei Prozent übriggeblieben. Sollte daher der Zug zum verstärkten Ausland-besuch anhalten — nichts weist auf ein Nachlassen hin — und steht diesem Zug kein entsprechend großes Gegengewicht in der Form ausländischer Gäste entgegen, wird es am Ende des Jahres ein großes Kopfschütteln geben. Auch wenn der Fremdenverkehrs-rekord von 1959 mit seinen 5,3 Milliarden Schilling Devisenerlös heuer erreich* werden sollte — das steht noch in Frage —, muß die Handelsbilanz mit ihrem beträchtlichen Passivum eine Fülle von Sorgen aus dem Sommer 196 die fallenden Blätter des Herbstes tragen.

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