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Zinsfuß, Lord Hailsham und die Liberalen

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Das Hauptproblem der konservativen Regierung scheint gegenwärtig zu sein, den inneren Wert und den Devisenkurs des Pfundes aufrecht zu halten und die Inflation abzustellen oder doch so weit zu kontrollieren, daß sie nicht rascher vorschreitet als in anderen Ländern. Man beschloß also, den offiziellen Zinsfuß zu erhöhen. Der Diskontsatz der Bank von England, der der Maßstab für alle Zinssätze im Lande ist, ist mit sieben Prozent heute der höchste seit mehr als zwanzig Jahren. Der hohe Zinsfuß bildet die Handhabe der Regierung für ihre Politik der Kreditdrosselung, die die Ansprüche an die Kapital- und Arbeitskräfte Englands dämpfen sollen. Ratenkäufe sind jetzt kostspieliger, und wer ein Haus mit einer Hypothek bauen will, muß nun viel mehr Zinsen zahlen.

Die Konservativen schreiben ihre empfindlichen Rückschläge bei den jüngsten Nachwahlen zwei Faktoren zu: der Inflation und dem neuen Mietengesetz. Während man zuversichtlich damit rechnet, daß die nachteiligen Wirkungen des Mietengesetzes bis zu den nächsten Parlamentswahlen in zweieinhalb Jahren sich zu günstigen umgewandelt haben werden (nämlich daß die Erleichterung des Wohnungsmarktes bis dahin fühlbar wird), verhält es sich mit der Inflation aber anders. Ihr Ende ist vorläufig nicht abzusehen, und man hat das Gefühl, daß eine Regierung, die der Inflation in den nächsten zwei Jahren nicht Herr werden kann, bei den Neuwahlen unterliegen muß.

Eine Regierung, die sechs Jahre im Amt ist, verliert meist etwas an Beliebtheit, daran ist an und für sich nichts Ungewöhnliches. Macmillan versucht nun, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, und sein erster Schritt dazu war, die Ernennung von Lord H a i 1 s h a m zum Vorsitzenden der Konservativen Partei und zum Präsidenten des Geheimen Staatsrates. Lord Hailsham ist eine temperamentvolle, eigenwillige Persönlichkeit, von der man weiß, daß hinter ihr ein unerschütterlicher Glaube an die christliche Weltanschauung steht. Seine gradlinige Haltung, die er robust, explosiv und mitreißend zu vertreten versteht, hat ihm bei Freund und Feind große Achtung eingebracht. Allerdings war er dadurch bei den Verantwortlichen seiner Partei, die sein unabhängiges Denken fürchteten, nicht allzu beliebt. Macmillan — selbst ein wenig ein Revolutionär seiner Partei — weiß aber die großen Qualitäten eines Hailsham zu schätzen, der auf der einen Seite sozialpolitisch von den eingefleischten „Tories" als zu fortschrittlich bezeichnet wird, anderseits aber außenpolitisch als extrem konservativ gilt. Wie Churchill trat er mit Ueberzeugung für eine Politik der starken Hand gegen Aegypten ein und griff die USA wegen ihrer unentschiedenen Haltung in der Suezfrage heftig an. „Ich kann es mir leisten, die Amerikaner anzugreifen, da meine Mutter Amerikanerin ist“, erklärte er in den Krisentagen des November 1956, „und ich weiß, daß die Amerikaner es letzten Endes vorziehen, eine ehrliche Kritik zu hören, als eine Unterwürfigkeit, die nicht vom Herzen kommt." •

Hailsham weist äußerlich und innerlich viel Aehnlichkeit mit Winston Churchill auf, und viele seiner Bewunderer sehen in ihm einen Felsen, der in Notzeiten letzte Rettung bedeuten kann. Widerstrebend mußte er vor Jahren, nach dem Tode seines Vaters, den Sitz im Unterhaus aufgeben, um in die Stille des Oberhauses zu übersiedeln. Aber der Gebietswechsel hat seine politische Laufbahn nicht unterbrochen: er war Marineminister, dann Erziehungsminister und gehört nun als Präsident des. Geheimen Rates weiter dem Kabinett an, ja er wurde gerade deshalb auch zum Parteivorsitzenden ernannt, um eine enge Verbindung zwischen Kabinett und Parteiorganisation herzustellen. „Meine Aufgabe wird es sein“, sagte Lord Hailsham, „den Leuten viel mehr zuzuhören, als selber zu reden, obwohl ich wahrscheinlich genug zu reden haben werde.“ Wer Lord Hailsham kennt, wird nicht daran zweifeln. Was er zu sagen haben wird, hängt natürlich von der Politik des Kabinetts ab, und als einer der wichtigsten Minister wird er bei den Entscheidungen viel mitzureden haben.

lieber einen Punkt äußerte sich Lord Hailsham bei seiner Ernennung &ht 'ehtsdhieden: die Konservativen werden keine Wahlkoalition mit den Liberalen eingehen, um die Labour Party zu schlagen. Viele Konservative sind über das Auftreten der Liberalen Partei bei den letzten Nachwahlen beunruhigt, weil dadurch nach ihrer Ansicht die Stimmen gegen die Labour Party gespalten wurden. In der Nachwahl von Gloucester hatten die Liberalen den größten Erfolg der letzten Zeit: sie erhielten dort mehr als ein Viertel der Stimmen.

Allerdings sind auch die Liberalen gegen jedes Abkommen mit den Konservativen, da sie als dritte Kraft eine große Chance vor sich sehen, sich aktiv in die Regierungsgeschäfte einzuschalten. In den Ergebnissen der letzten Nachwahlen erblicken die Liberalen den Beweis einer Strömung gegen die Regierung, aber ohne eine entsprechende Strömung zugunsten der Sozialisten dabei festzustellen. Damit ist nach ihrer Ansicht der Augenblick für die Liberale Partei gekommen. Das Problem ist nur, wie sich dieser Augenblick am besten ausnützen läßt, damit die Liberalen mehr Stimmen und damit mehr Sitze im Unterhaus erhalten. Etwas neidvoll betrachten sie die FDP in Deutschland, die auch nicht mehr Anhänger hat als die Liberale Partei in England, aber 40 Mandate erhielt, während die Liberalen gegenwärtig nur 5 Sitze im britischen Parlament haben. Weder die Konservativen noch die Labour Party werden jedoch den Liberalen den Gefallen erweisen, das Verhältniswahlrecht einzuführen.

Was immer die einzelnen englischen Parteien auf ihren Parteitagen beschließen, die Zukunft aller wird davon abhängen, ob es der konservativen Regierung gelingt, die Wirtschaftslage zu meistern oder nicht. Und nach den letzten Maßnahmen hat man den Eindruck, daß die Regierung selbst vor unpopulären Maßnahmen im Interesse des Landes nicht zurückscheut, wenn sie dafür in zwei Jahren um so populärer sein kann. Lord Hailsham soll die treibende Kraft hinter den neuen Maßnahmen sein. Ihm traut man zu, der richtige Mittelsmann zu den Wählern zu sein, die ihn als gerade und integre Persönlichkeit kennen, die nicht davor zurückschreckt, offen ihre Meinung zu sagen, auch wenn sie sich gegen die Parteilinie richten sollte. „Wahlen gewinnt man nicht mit politischen Kniffen und Spitzfindigkeiten“, erklärte Hailsham bei seiner Einführung ins Amt des Parteiobmannes, „Persönlichkeiten wie Truman, Adenauer und Diefenbaker gewinnen Wahlen, weil die Wähler von ihrer Integrität und Menschlichkeit angezogen werden.“

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