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Zu früh und zu spät

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Das österreichische Konkordat von 1855, das am 18. August — dem Geburtstag des Kaisers — der Vertreter Papst Pius IX., der Pronuntius Kardinal Viale-Prela, und der Vertreter des österreichischen Monarchen, Fürsterzbischof Rauscher von Wien, unterzeichneten, hat in der Geschichtsschreibung, in der Publizistik, in der öffentlichen Meinung einen schlechten Klang. Der politisierende Dichter Anastasius Grün, der dieses Konkordat ein „Kanossa“ nannte, und der politisierende Historiker Josef Redlich, der diese Vereinbarung als eine „Abdikation des Staates vor der Kirche“ bezeichnete, sprachen und sprechen nur die Meinung vieler aus. Selbst Katholiken äußern sich oft nicht gern und dann nur mit einem gewissen Unbehagen über dieses Konkordat. Wie ein Trauma scheint es manchmal über der österreichischen Geschichte zu lasten. Nach hundert Jahren ist es endlich Zeit, daß dieses Trauma verschwinde und eine nüchterne Beurteilung über dieses Kapitel der Vergangenheit Platz greift.

Unumgänglich notwendig zum besseren Verständnis dieses Konkordates ist die Kenntnis des josephinischen Kirchensystems. Der Josephinismus sah den Staat bekanntlich als Wohlfahrtsstaat an. In diesem sollte die Religion keineswegs verschwinden, sondern einen besonderen Platz einnehmen. Sie sollte dem Staat die sittliche Unterbauung geben und hatte die Aufgabe, der menschlichen Wohlfahrt nach den Erkenntnissen der Vernunft zu dienen, sie sollte Wohlfahrtsinstrument sein und Sicherheitsfaktor, indem sie einen Gendarmen auf Gebieten abgab, auf denen der weltliche Arm seine Macht nicht mehr geltend machen konnte. Der Staat braucht infolgedessen die Religion, einen Satz, den man bis heute noch oft hören kann. Aber um die Religion ganz für sich gewinnen zu können, muß der Staat das Gefäß der Religion, die Kirche, fest in seiner Hand haben. Aus diesen Gründen unterwarf sich der Josephinismus die katholische Kirche in Oesterreich derart, daß sie nur noch eine Art anglikanische Hochkirche bildete, die dogmatisch auf dem Boden des römischen Katholizismus stand und welche noch einige wenige, sehr dünne Fäden mit Rom verbanden.

Es ist für heutige Begriffe unvorstellbar, welche Rechte sich der Staat der Kirche gegenüber anmaßte. So verbot er den ungestörten Kontakt der Bischöfe mit Rom. Sie durften nur offene Briefe an die Zentrale des Katholizismus senden, die der Staat beförderte. Erlässe des Papstes und der Kurie bedurften der staatlichen Genehmigung zur Veröffentlichung. Hirtenbriefe der Bischöfe an das Volk mußten vor ihrer Verlesung der staatlichen Zensur vorgelegt werden. Geistliche oder weltliche Strafen an Kleriker oder Laien zu verhängen, war den Bischöfen verboten. Die Lehrpläne der theologischen Lehranstalten wurden vom Staat aufgestellt, die Professoren allein von ihm berufen. Der Staat stellte eigene Eheverbote auf und zwang anderseits mit Strafandrohung Priester jene Ehen, die nach kirchlichem Recht ungültig waren, einzusegnen. Er schrieb die Gebete für die Gottesdienste vor und sogar die Anzahl der Kerzen, die an Wochen- und Sonntagen in der Kirche brennen durften. Er verbot sogar den Klöstern das Chorgebet. Selbstverständlich durften sie keinen Kontakt mit ihrer Zentrale 1 in Rom haben. Die Pfarrkonkursprüfung war eine staatliche Prüfung, woraus mehr als deutlich hervorgeht, was ein Hofdekret von 1792 einschärft, daß „die geistlichen Beamten des Staates in der Kirche seien“.

Das Konkordat von 1855 entließ endgültig die katholische Kirche aus diesem unwürdigen Staatsdienst, der ihr den Titel einer „Polizeikirche“ eingetragen hatte, es machte aus einer österreichischen Hochkirche wieder eine katholische Kirche. Das Konkordat verbrief te durch internationalen Vertrag der Kirche die Freiheit. Rom durfte wieder ungehindert mit seinen Bischöfen verkehren, die Bischöfe mit Rom einerseits, mit den Gläubigen anderseits, sie bekamen die Jurisdiktionsgewalt über den Klerus, die Lehrpläne an den theologischen Fakultäten durften nur noch im Einverständnis mit der Kirche aufgestellt werden, die Berufungen ebenfalls nur im Einverständnis mit den Bischöfen vorgenommen werden. Die Pfarrkonkursprüfung wurde eine kirchliche Prüfung. Die lächerlichen und unwürdigen Eingriffe des Staates in den Gottesdienst und in das klösterliche Leben waren abgeschafft. Wo ist hier ein Kanossa? Wo ist hier eine Abdikation des Staates vor der Kircha?

Zwei Fragen allerdings sind es immer wieder, auf die mit besonderem Mißbehagen im Zusammenhang mit dem Konkordat hingewiesen wird. Es sind dies die Regelung der Ehe- und der Schulfragen. Die Ehe von Katholiken wurde nach dem Konkordat der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterworfen, die staatlichen Paragraphen des bürgerlichen Gesetzbuches über die Ehe zugunsten des kanonischen Rechts außer Kraft gesetzt. Bezüglich der Schule bestimmte das Konkordat, daß dieselbe weitgehend der kirchlichen Aufsicht zu unterliegen habe. Zwei Vorschriften allerdings, dies sei ruhig zugegeben, die dem heutigen Menschen, der nicht sehr tief in seiner Kirche lebt, nicht ohne weiteres als tragbar erscheinen. Aber bei näherem Zusehen schon verlieren diese beiden Bestimmungen ihre scheinbare Schärfe.

Zunächst die Bestimmungen des Konkordates über die Ehe: Vorausgeschickt sei, daß in weiten Teilen der Habsburgermonarchie, nämlich in Ungarn, bereits seit langem das kanonische Eherecht volle Gültigkeit hatte. In jenen Teilen aber, wo das staatliche Eherecht galt, bedeutete die Einführung des kirchlichen Eherechtes direkt eine „Erleichterung“. Denn das staatliche Eherecht war teilweise „päpstlicher“ als das kirchliche. Es kannte für Katholiken keine Trennung — oder, wie der Volksmund sagt, J.Scheidung“ — der Ehe; es kannte nicht einmal — wie das kanonische Recht — die Trennung der nichtkonsumierten Ehe durch Dispens oder Ablegung feierlicher Gelübde, es kannte auch nicht die Trennung auf Grund des „Paulinischen Privilegs“. Es kannte aber nicht nur fast alle kirchlichen Ehehindernisse, wie Bestand einer gültigen Ehe, Verwandtschaft, Schwägerschaft, ReligionsVerschiedenheit, Empfang der höheren Weihen, Ablegung feierlicher Gelübde, sondern auch Ehehindernisse, die das kanonische Recht nicht in gleicher Schärfe oder überhaupt nicht besaß. Zum ersten gehört das Ehehindernis des Verbrechens, das nach kanonischem Recht entsteht zwischen zwei Personen, die unter physischer oder moralischer Mitwirkung Gattenmord begangen haben. Im österreichischen Eherecht genügte zur Entstehung dieses Hindernisses bereits die Nachstellung in Mordabsicht, ohne daß ein Mord wirklich ausgeführt wurde. Zu diesem gehört das Ehehindernis, das darin besteht, daß der katholische Teil einer religiös gemischten Ehe, die staatlich getrennt wird — und kirchlich vielleicht nie gültig war -, zu Lebzeiten des katholischen Teiles nicht mehr heiraten darf. Wo liegt hier das „Kanossa“?

Aehnlich wie die Ehefrage verlieren auch die Bestimmungen des Konkordates über die Schule bei näherem Zusehen ihre Schärfe. Die Bestimmungen über den Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten stehen hier überhaupt nicht zur Debatte. Selbst die entschiedensten Gegner der Kirche müssen zugeben, daß die Kirche einen Einfluß auf die Gestaltung des Religionsunterrichtes, auf die Erstellung der Lehrpläne an den theologischen Fakultäten, auf die Berufung der betreffenden Lehrpersorien einen Einfluß haben muß. Zur Debatte steht allein die sogenannte Aufsicht der Kirche über die Schule überhaupt. Hier knüpfte nun das Konkordat nur an einen damals bestehenden Zustand an! Denn der josephinische Staat hatte weitgehend zu Organen der Schulaufsicht Pfarrer, Dekane und bischöfliche Konsistorien bestimmt. Diese unterstanden zwar den Statt-haltereien, bei den „Gubernien“ waren aber Schulreferenten wiederum Geistliche. Mit Vorliebe ernannte daneben der josephinische Staat Geistliche zu Studiendirektoren an den weltlichen Fakultäten. Das Konkordr.t änderte so mit leinen Schulbestimmungen einen bestehenden Zustand nicht optisch, sondern inhaltlich, da die Geistlichen von nun an nicht mehr josephinische Staatsbeamte, sondern katholische Geistliche sein sollten. Wo liegt hier ein „ Kanossa“?

Das Konkordat von 1855 war ein Triumph der päpstlichen Diplomatie, die seit 1816 einen tillen und geduldigen Kampf um die „Ent-taatlichung“ der österreichischen Kirche geführt hatte. Es war ein Triumph der religiösen Erneuerungsbewegung, die an den Namen Klemens Maria Hofbauer geknüpft ist, der den größten Einfluß auf den späteren Kardinal Rauscher hatte, welcher seinerseits wieder Erzieher des jungen Franz Joseph war. Und es war ein Triumph des jungen Kaisers, dessen ureigenstes Werk dieses Konkordat war, es war ein Triumph der franziszeischen Komponente in seinem Wesen, wie auch der josephinischen. Denn mit diesem Konkordat vollstreckte er das Testament des Kaisers Franz, der bestimmt hatte, daß alle Gesetze, welche mit der Verfassung, Lehre und der Disziplin der Kirche, nicht im Einklang stünden, so bald wie möglich beseitigt werden sollten. Anderseits hatte der junge Monarch mit dem Silvesterpatent von 1851 den vollendeten Staat Kaiser Joseph II. wieder neu geschaffen, den josephinischen, zentral gelenkten Wohlfahrtsstaat, der keine Länderverfassungen kennt, sondern nur Verwaltungsgebiete, die von einem absoluten Herrscher mit Hilfe einer großen Bürokratie und einem starken Heer (und einer militärisch organisierten Gendarmerie) regiert werden. Dieser josephinische Staat Nummer 2 glaubte ebensowenig wie der josephinische Staat Nummer 1 der Hilfe für sein sicher großes Aufbauwerk entraten zu können. Er hoffte — und hier unterschied sich der neue josephinische Staat vom alten —, ihre Hilfe zu finden, indem er sie sich nicht unterwarf, sondern ihr die von ihr geforderte Freiheit gab. Eine Tatsache, die zu leugnen unehrlich wäre, die aber ebenfalls noch kein „Kanossa“ darstellt.

Das Konkordat von 18 55 fiel dem wütenden Ansturm der Liberalen zum Opfer, denen die außenpolitischen Mißerfolge der Habsburgermonarchie in den Jahren 1859 und 1866 zu Hilfe kamen. Es fiel dem wütenden Ansturm der Liberalen zum Opfer, die zwar immer von einer freien Kirche im freien Staat sprachen, aber nicht ertragen konnten, wenn die Kirche in einem Land einmal wirklich frei war. Sie fiel den Angriffen zum Opfer, weil es seinen Gegnern, wie Pius IX. sagte, gar nicht um das Konkordat und gar nicht um zeitgemäße Abänderungen, zu denen sich die Kurie bereit erklärt hatte, ging, sondern um ein Prinzipium: die Ausschaltung der Religion aus dem öffentlichen Leben überhaupt.

Allerdings, diesen Angriffen der liberalen Josephiner war nur ein geringer Erfolg beschieden. Darin liegt einerseits die große Leistung Kaiser Franz Josephs, der vieles verhinderte, was der Kirche mehr hätte schaden können als das, was zu ihrem Nachteil wirklich geschehen ist. Darin liegt auch anderseits die große Leistung des katholischen Volkes von Oesterreich. Denn der Bruch des Konkordates ist gleichzeitig die Geburtsstunde der katholischen konservativen Sozialreform als auch der demokratischen christlichsozialen Bewegung.

So ist das Konkordat von 185 5 von großer Bedeutung I Durch sein Inkrafttreten verbriefte es der Kirche weitgehende Freiheiten, die sie vielfach bis heute bewahren konnte und die heute so selbstverständlich sind, daß derjenige, der diese beseitigen wollte, sich den Ruf eines Kirchenverfolgers zuziehen würde. Durch seinen Bruch gab es neue Impulse den katholischen Volksteilen von Oesterreich, indem sie diese zur Neubesinnung und zur Sammlung der Kräfte rief.

Die Tragik dieses Konkordates war, daß es zu früh kam und zu spät. Wäre es 1817 abgeschlossen worden, wie das bayrische, oder 1845 oder 1848, kaum jemand hätte es zu brechen gewagt. So kam es zu spät. Es kam aber auch zu früh, denn die religiöse Erneuerungsbewegung, die unter Klemens Maria Hofbauer begonnen hatte und die dieses Vertragsinstrument mitgeschaffen hatte, war noch zu dünn und hatte noch zu wenig Menschen erfaßt, um eine tragfähige Basis innerhalb der Bevölkerung abzugeben, auf die dieses Instrument sich hätte stützen können.

Es kam zu früh. Wäre es 1900 oder 1910 abgeschlossen worden, wieder hätte es niemand angegriffen. So aber brachte seine Verbindung mit dem absolutistischen Staat für dasselbe eine schlechte historische Stunde, die sich als schwere Belastung erwies.

Ueber all dieser Tragik soll die große Bedeutung dieses Konkordates, das die Kirche aus der „Abdikation vor dem Staat“ befreite, als eines Meilensfeines auf dem Weg zur Freiheit nicht vergessen werden.

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