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Wie sollen wir wegkommen vom Klischee, weg vom Zerrbild, in dem der Heurige, die Rössel-Wirtin und der Herr Karl dominieren? Wie kann es gelingen, dem Ausland ein Bild des heutigen Österreich, seiner Leistungen und seines Könnens zu zeichnen, wie es der Wirklichkeit entspricht? Wie es vielleicht weniger attraktiv für Filmproduzenten ist, aber dafür unser Land in seiner Rolle innerhalb der europäischen Gemeinschaft, innerhalb der Kulturstaaten erkennen läßt? Die 150 Fachleute aus allen Bereichen des kulturellen Lebens der Republik, die zwei Tage hindurch über diese Fragen diskutierten, waren sich über die Abhilfemaßnahmen keineswegs einig — nur die Berechtigung einer Forderung konnte niemand abstreiten: Zuerst müssen im Inland neue Voraussetzungen geschaffen werden, aus denen dann ein neues Österreich-Bild erwachsen kann.

Knappe eineinhalb Jahre hat die neugeschaffene Sektion VII des Unterrichtsministeriums unter dem Gesandten Franz Karasek zui Verfügung, um dem Auslandskulturdienst eine neue Form zu geben. Nun sollte die Enquete den nach Wien einberufenen Leitern der neun Kulturinstitute neue Anregungen geben, sie sollte versuchen, Grundlagen für ein neues Konzept zu erarbeiten. Minister Piffl-Per- čevič hatte eingangs selbst die Leitlinie angedeutet: Weg vom Klischee des weinseligen, musealen Fremdenverkehrslandes, Erarbeitung eines gegenwartsbezogenen, zukunftsweisenden Bildes, Verzicht auf jede politische Propaganda, um die Begegnung über ideologische und gesellschaftliche Grenzen hinweg nicht zu stören. Vielleicht sollte eine Clearingstelle für einen reibungslosen Umschlag kultureller Programme sorgen.

Anregungen, Wünsche, Klagen…

Konnten die zwei Tage genügen, dieses Ziel zu erreichen? Die rund 70 Wortmeldungen steckten einen Rahmen ab, der eindrucksvoll die Weite des Bereichs kultureller Bemühungen erkennen ließ, von der Zusammenarbeit österreichischer Hochschulen mit solchen des Ostens bis zu den Post-Graduate-Kursen für Geologen aus Entwicklungsländern an der Geologischen Bundesanstalt, von den Gastspielen der Staats- und Privattheater in Übersee bis zur Tätigkeit der österreichischen Schulen in Teheran und Guatemala, von der viel zuwenig bedankten Arbeit der Auslandsösterreichervereine bis — vor allem — zu den Bemühungen der Kulturinstitute, gegen die harte Konkurrenz an Orten wie Paris, London, New York und anderen die Stimme des kleinen Österreich erklingen zu lassen.

Aber welche Stimme soll dort erklingen? Peter Weiser forderte provokant, von Barock, Biedermeier und Fin de siede auf 1968 umzuschalten. Es sei nicht notwendig, dem Ausland Beethoven nahezubringen. Er mußte sich entgegnen lassen, daß auch der Fortschritt seine Wurzeln in der Tradition haben müsse. Aber trotzdem: Was soll aus dem österreichischen Kulturgut an wen exportiert werden? fragte Otto Mauer.

Anregungen, Wünsche, Klagen über zu geringe bisherige Beachtung gab es viele — sie betrafen durchwegs den unmittelbaren Wirkungskreis der Referenten (dazu war die Enąuėte ja auch einberufen worden), nur ließen sie mitunte’ den Blick auf das Ganze, auf die gegebenen Möglichkeiten vermissen.

Zu den wichtigsten, im Inland zu erfüllenden Desideraten gehörte der „Kultur-Fahrplan” (Friedrich Heer), der den möglichen Beitrag Österreichs zur Welt des 20. Jahrhunderts umreißen sollte, wie die Stärkung Wiens als „Umschlagplatz der Ideen” (Günther Nenning), auf dem der Osten vom Westen und dieser von jenem lernen könnte. Dazu gehörte der Ruf nach einer kulturpolitischen Akzentuierung der Kurzwelle (Karl Rössel-Majdan), die eine Million regelmäßiger Hörer in Europa und Übersee anzusprechen vermöge; nach der Herausgabe eines Österreich-Handbuches in den wichtigsten Weltsprachen, in dem jeder die Daten des österreichischen Kulturlebens nachschlagen könnte (Günther Wytrzens), oder die Herausgabe einer repräsentativen Monographienreihe über Österreichs zeitgenössische Kunst (Werner Hofmann) und schließlich eines Lehrbuches für ausländische Deutschstudenten, die auch die österreichische Komponente der deutschen Sprache kennenlernen sollen (Walter Seidlhofer).

Österreichische „Kulturgeographie”

Wohin soll Österreich seine kulturellen Bemühungen richten? Die Frage der geographischen Schwerpunktverteilung nahm einen wesentlichen Teil der Diskussion ein. Daß Österreich in den großen Weltzentren — Rom, Paris, London, New York — präsent zu sein habe, schien selbstverständlich. Aber vielleicht kam zu wenig zum Ausdruck, unter welch scharfen Konkurrenzbedingungen die Kulturinstitute stehen und wie daher jede Kürzung gefährlich werden müßte.

Als „Intensivzone” kam immer wieder der Levanteraum mit seinen drei Zentren in Istanbul, Kairo und Teheran zu Wort, mehr noch aber der europäische Osten und Südosten, vor allem der Donauraum, für den Österreich nicht als Fremdmacht güt Was bedeutet es etwa für die österreichische Kulturpolitik, wenn 60 Prozent der kroatischen TV-Teilnehmer am österreichischen Fernsehen partizipieren und der kroatische Rundfunk überlegt, ob er nicht direkt Österreichs Programm übernehmen könnte? Die Kulturinstitute in Warschau und Agram, bald vielleicht auch in Budapest, erhalten damit für ihre Arbeit einen völlig andern Akzent als jene im Westen.

Als Extensiv-Zone, in denen die österreichische Präsenz mit andern Mitteln dokumentiert werden müßte, wurde schließlich Late-in- amerika genannt, wo österreichische Schulen als Stützpunkte dienen können und die österreichischen Siedler den Kontakt mit der Heimat erhalten sollten, aber auch Skandinavien.

Natürlich mußten und müssen viele Wünsche offenbleiben — schon in den Grundlagedokumenten, dann auch in der Diskussion, sei es, daß man Kompetenzstreitigkeiten aus dem Wege gehen wollte, sei es auch, daß man nicht zu sehr ins Detail gehen konnte. So dürfte eine Werbung im Ausland, die das Österreich von heute und morgen vorstellen will, nicht an jenen Materien Vorbeigehen, die am meisten in die Zukunft weisen — die Schul- und Hochschulreform, die Bildungsplanung, die Forschungsförderungsmaßnahmen, kurz die Maßnahmen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Die Bemühungen, das Österreich- Bild von Heurigenseligkeit und Mayerling-Reminiszenzen zu reinigen, dürfte jenen Raum nicht aussparen, in dem dieses Zerrbild am lebendigsten ist — den deutschen. Nicht daß in Bonn ein Kulturinstitut erforderlich wäre — aber sollte man nicht einmal versuchen, das Interesse der deutschen Massenmedien auf die Leistungen des heutigen Österreich zu richten, auch außerhalb von Burgtheater und Staatsoper? Und müßte nicht einmal daran gedacht werden, in Bonn einen Wissenschaftsattache zu akkreditieren, der den Kontakt zu den vielen an deutschen Universi täten tätigen Wissenschaftern halten sollte? Sie sind heute bereit- das unersetzbare Reservoir dei österreichischen Berufsverhandlun - gen.

Ob Intensiv- oder Präsenzzonen auf welchen Erdteilen immer — die internationalen Organisationen gewinnen immer mehr an Bedeutung und dürfen bei der Auslandsarbeit nicht ausgeklammert werden. Die Schul- und Hochschulreformbemühungen von UNESCO und Europarat brauchen die Teilnahme österreichischer Experten ebenso wie die technisch-wissenschaftlichen Spezialkonferenzen der OECD.

Vor allem aber: Kulturpolitik, auch im Ausland, kann heute nicht ohne den direkten Kontakt zu den Massenmedien betrieben werden. Das Fehlen diesbezüglicher Feststellungen in der Diskussionsgrundlage wurde bald aufgeklärt — die Debatte blieb aber auf wenige Grundsatzbemerkungen beschränkt. So wichtig die Zielrichtung auf elitäre Gruppen durch die Veranstaltung im kleinen Kreis ist — auch und gerade im Westen darf die Breitenwirkung daneben nicht fehlen. Sie ist aber nur mit Hilfe von Presse, Hörfunk und Fernsehen zu erzielen (wobei man nicht dem Fehler verfallen darf, im Bann des Flimmerschirms die anhaltendere Wirkung des „Schwarz auf Weiß” der Zeitung und Zeitschrift zu unterschätzen).

Die Bemühungen um die Gestalter der Medien, speziell die unmittelbar interessierten Kultur- und Wirtschaftsredakteure, Kulturpolitiker und Kritiker, müssen ebenso von Wien aus wie unmittelbar von den Kulturinstituten und den Kulturattaches erfolgen — in enger Zusammenarbeit mit dem Bundespressedienst und den Presseattaches. Sie müssen sich — im Sinn des Eingangsmottos — aber ebenso an die einheimischen Medien richten. Die mehrfach kritisierte mangelhafte Berichterstattung über kulturelle Ereignisse liegt mitunter gar nicht so sehr am zu knappen Raum oder am fehlenden Interesse. Meistens ist letzten Endes eine mangelhafte Information schuld.

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