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Zu sehr „verstaatlicht“, zuwenįg „vergesellschaftet“

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Die Forderung der sozialistischen Arbeiterbewegung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien entspringt dem Wunsche nach Sicherheit. Eine im Dienste der Allgemeinheit stehende Wirtschaft soll die Arbeiter und Angestellten vor den in einer kapitalistischen Gesellschaft immer wieder auftretenden Wirtschaftskrisen und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit und Not bewahren.

Somit steht die Forderung nach Sozialisierung jedesmal im Vordergrund, wenn revolutionäre oder wirtschaftliche Beben ein Land oder die Welt erschüttern.

Schon im März 1919 beschloß die damalige österreichische Nationalversammlung ein Gesetz zur Vorbereitung der Sozialisierung. Das Gesetz bestimmte, daß aus Gründen des öffentlichen Wohles hierzu geeignete Wirtschaftsbetriebe zugunsten des Staates, der Länder und der Gemeinden enteignet werden konnten. Mit der Vorbereitung wurde eine Staatskommission für Sozialisierung betraut, für die als Vorstand die Abgeordneten Dr. Seipel, Dr. Bauer, Domes, Kunschak und Dr. Wutte vom Nationalrat gewählt wurden. Dieser Vorstand berief in die Kommission eine Reihe von Fachleuten, sowohl aus dem Kreise der Arbeiterschaft wie dem der Unternehmer.

Die Regierung gab damals folgendes Sozialisierungsprogramm bekannt: Privatunternehmun; gen des Kohlenbergbaues und des Kohlengroßhandels, der Eisenerzgewinnung und der Roheisenerzeugung, die verarbeitenden Betriebe der gleichen Branchen, die Elektrizitätswirtschaft und die großen Forste nebst der Holzindustrie und dem Großhandel mit Holz. Die österreichischen Gewerkschaften kritisierten damals, daß die Banken in diesem Programm nicht enthalten waren. Das Programm sah gemeinwirt- schaftliche Anstalten, Gesellschaften gemeinwirtschaftlichen Charakters und gemischtwirtschaftliche Unternehmungen vor.

Die Arbeiterschaft setzte große Hoffnung in die Sozialisierungsmaßnahmen, doch versandeten diese schließlich Schon bestehende Gesellschaften wurden liquidiert, und es blieben nur zwei gemeinwirtschaftliche Unternehmungen, die „Gemeinnützigen Werke Arsenal“ und die „Heilmittelstelle“ über. Die wirtschaftliche Dauerkrise und Arbeitslosigkeit in der Ersten Republik schrieb die Arbeiterschaft in erster Linie ihrem fehlenden wirtschaftlichen Einfluß auf Grund des Scheiterns der Sozialisierungsbestrebungen zu.

Es war daher begreiflich, daß in der Zweiten Republik die Gewerkschaften und die Sozialistische Partei von vornherein versuchten, einen Teil ihres Sozialisierungsprogrammes zu verwirklichen. Die katastrophale Kapitalsnot nach Kriegsende veranlaßte auch die Oesterreichische Volkspartei, dem Konzept der Sozialisten zuzustimmen. Private Unternehmer wären nicht imstande gewesen, die zum Teil zerstörte oder demontierte österreichische Grundstoffindustrie wiederapfzubauen. Ueberdies galten die meisten Betriebe der Großindustrie teilweise oder vollständig als „Deutsches Eigentum“ und wurden vorerst von den Westmächten nur unter treuhändische Verwaltung der Republik gestellt. Die in der russischen Besatzungszone gelegenen Unternehmungen unterstanden bis zum Abschluß des Staatsvertrages im Jahre 1955 der russischen Militärverwaltung. Mit den beiden Bundesgesetzen vom 26. Juli 1946 und vom 26., März 1947 wurden die großen Kreditinstitute, die wichtigsten Kohlenbergwerke, die bedeutendsten Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie, die Betriebe der Rohölgewinnung und -Verarbeitung sowie eine Anzahl von Unternehmungen des Maschinenbaues, des Verkehrs und der Elektroindustrie sowie die großen Elektrizitätsversorgungsunternehmungen in den Besitz der öffentlichen Hand übernommen. Im ganzen fielen mehr als 70 Unternehmungen unter diese beiden Verstaatlichungsgesetze, von denen allerdings bis zum Sommer 1955 ein Teil als USIA-Betriebe dem österreichischen Einfluß entzogen war. Schon mit diesen beiden Verstaatlichungsgesetzen war eine Entschädigung der früheren Eigentümer vorgesehen. Mit dem im Juli 1954 vom Nationalrat beschlossenen „Ersten Verstaatlichungs-Entschädigungsgesetz“ wurde ein erster Schritt zur Lösung dieser wichtigen Frag getan. Die Wahrnehmung der durch die Vrstaat- lichung dem Staat zugefallenen Antlsrechte erfolgte bis zum Jahre 1949 durch d: frühere Bundesministerium für VermögenssicRung und Wirtschaftsplanung. Nach AuflösUg dieses Ministeriums wurde deren Verwhung auf Grund des Bundesgesetzes vom 1' Dezember 1949 (Kompetenzgesetz) durch as Bundesministerium für Verkehr und verpflichte Betriebe übernommen. Schließlich gigen mit dem Bundesgesetz vom 11. Juli 195ffdie Agenden dieses Ministeriums, mit Ausnpe der Elektrizitätswirtschaft, unmittelbar df die Bundesregierung über, die zur Führug der Geschäfte die Oesterreichische Industri- und Bergbau- verwaltungs-Ges. m. b. H. gridete. Auf Grund des Treuhandvertrages über hm diese Gesellschaft „die Anteilsrechte i treuhändige Verwaltung, um die Wirtschalichkeit dieser Gesellschaften und Unternefaungen im Dienste der Gesamtwirtschaft zu s igern und die Interessen des österreichischer Volkes zu wahren . Die Tätigkeit der Gesell aft erstreckt sich in erster Linie auf die Ballung der leitenden Organe, die Finanzfrag und eine Koordinierung der Produktionspritamme.

Von 1945 bis Ende 955 wurden in den von den Verstaatlichungs setzen erfaßten Unternehmungen rund 13 lilliarden Schilling zu Investitionszwecken a’gewendet, an denen die Güter erzeugenden Jtriebe mit 53 Prozent und die Energiewirtsch t (Kraftwerksbauten) mit 47 Prozent beteili' sind. Nur 8,5 Prozent der Gesamtinvestition in der verstaatlichten Industrie wurden in liesen zehn Jahren von der öffentlichen Ha aufgebracht, während demgegenüber in de gleichen Zeit die verstaatlichten Unternehmigen einen Betrag in der dreifachen Höhe, ámlich 2,9 Milliarden Schilling, in Form von / gaben und Steuern an den Staat abgeführt hab1-

Der Stan .' der Beschäftigten stieg von 56.000 im Are 1946 auf rund 101.000 im Jahre 1956, Unter Einschluß der inzwischen eingegliedeAi USIA-Betriebe beträgt die Zahl der Beseitigten in der verstaatlichten Industrie hf.ie rund 127.000 Personen, das sind 22 Proze1' der in der österreichischen Industrie insgesan-'beschäftigten Arbeitnehmer. Der Anteil deterstaatlichten Industrie an der gesamten irustriellen Wertschöpfung Oesterreichs betrug™ Vorjahr rund 26 Prozent.

[ Produktivität in den verstaatlichten Be- riebe konnte im Verhältnis zum Jahre 1950 im Durchschnitt um 52 Prozent gesteigert werden. Während in der ersten Hälfte 1957 die industrielle Produktion allgemein in Oesterreich um 5,5 Prozent stieg, nahm sie in den verstaatlichten Unternehmungen um 14,5 Prozent zu; die Produktivität stieg allgemein um 5 Prozent, in der verstaatlichten Industrie jedoch nahezu um 10 Prozent.

So beachtlich die Leistungen der verstaatlichten Industrie sind und so sehr sie bestrebt ist, über die Kollektivverträge hinaus die Arbeitsbedingungen zu verbessern und zusätzliche soziale Einrichtungen, wie zum Beispiel Werkbauten, Ledigenheime, Kinderkrippen, Urlaubs- heime, zu errichten, so betrachtet die Arbeiterschaft die jetzige Struktur keineswegs als den Schlußpunkt der Entwicklung. Die Unternehmungen sind noch immer zu sehr „verstaatlicht“ und zuwenig „vergesellschaftet“. Vergesellschaftet, das heißt, daß nicht nur die öffentliche Hand oder Länder und Gemeinden Eigentümer von Wirtschaftsunternehmungen sind, sondern daß die Konsumenten, und zwar sowohl die Weiterverarbeiter wie die Letztverbraucher, vertreten durch ihre genossenschaftlichen und freien Organisationen, und die in den Unternehmungen beschäftigten Arbeiter und Angestellten mitbeteiligt sind und mitverwalten. Damit soll nicht etwa eine Verbürokratisierung, sondern eine Entbürokratisierung erreicht werden. Der zunehmenden Konzentration von Wirtschaftsmacht in den Händen des Staates soll entgegengewirkt werden.

Der Vorentwurf des neuen sozialistischen Parteiprogramms spricht ausdrücklich davon, daß die Gemeinwirtschaft nicht zur Begründung neuer Machtpositionen, sei es einer staatlichen, sei es einer neuen Wirtschaftsbürokratie führen soll. Wirksame Selbstverwaltung soll den übermäßigen Staatseinfluß abbauen. Voraussetzung eines gedeihlichen Funktionierens der Wirtschaft ist die Entwicklung der Wirtschafts-: demokratie. Sie kann nur erreicht werden, wenn Verständnisbereitschaft und Verantwortungsbewußtsein von oben und unten, von Betriebsführung wie Belegschaft, walten.

Die Zweite Republik hat mit dem Ausbau der verstaatlichten Industrie, im Gegensatz zu 1919, Vorbildliches und deshalb auch sicherlich Bleibendes geschaffen. Daß die Formen, in die die verstaatlichte Industrie gepreßt wurde, nicht voll befriedigen, stellt ¥uns nur die Aufgabe, daraus etwas Bleibendes im Dienste und zum Nutzen des ganzen österreichischen Volkes zu machen.

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