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ZUKUNFT: SCHON BEGONNEN

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Den herkömmlichen Vorwurf, Wissenschaft registriere nur tote Vergangenheit, hat das Thema der jüngsten Internationalen Filmwissenschaftlichen Woche in Wien glänzend widerlegt; es hieß: „Zukunftstendenzen von Film und Fernsehen.“

Die Hauptsorge der Veranstalter, die Fülle von Fachtagen werde dem Besuch an die Arme fallen, war unbegründet: Thema und Filme lockten tausende Inländer und gegen 40 ausländische Gäste an. Glückliche Umstände halfen dabei mit: Die filmarchivalischen und filmwirtschaftlichen Fragen waren ausgeschaltet; für die ersteren war bereits vor dem Sommer eine kleine Tagung durchgeführt worden; für die letzteren soll 1968 anläßlich des 60jährigen Jubiläums des österreichischen Films eine Veranstaltung an der Hochschule für Welthandel stattfinden.

Es war diesmal, was bei allen Kongressen immer schwierig ist, doch genügend Zeit für Diskussionen, das doppelt angesetzte Symposion war von großem Vorteil. Auch die üblichen Filmvorführungen am Abend waren wieder gut besucht. Bin Nachteil war, daß die Tagung nicht an einem einzigen Ort durchgeführt werden konnte, sondern verschiedene Säle benützt werden mußten.

Das Hauptthema bildete die Frage, wie zur Entwicklung, die Film und Fernsehen genommen haben, und zu den dadurch aufgerollten Problemen in soziologischer, psychologischer, pädagogischer und ethischer Hinsicht die Film- und Fernsehwissenschaft helfend zur Verfügung stehen kann. Vier Arbeitsgruppen befaßten sich damit: 1. „Die Antworten der Wissenschaft“, 2. „Die Bildmedien und das Experiment“, 3. „Das Urheberrecht bei Film und Fernsehen“ und 4. „Film-und Fernseherziehung“.

*

Vor allem beim Fernsehen ist die Gestaltung des Programms die große Aufgabe und Sorge. Es wird zur Information, zur Weiterbildung, zur Unterhaltung und Erbauung ausgestrahlt. Und es ist eine sehr teure Sache; die Sender helfen sich daher auch mit Coproduktion. Wie auch beim Rundfunk ist es nun von größter Wichtigkeit, zu erfahren, wie die Sendungen beim Publikum „ankommen“. Auf den Inhalt und die Gestaltung des Gebrachten kommt es dabei an, aber natürlich auch auf die Kreise der Zuhörer und Zuschauer. Kann die Wissenschaft mit ihren Instituten bei der Aufdeckung dieser Zusammenhänge helfen?

Eine andere Frage ist beim Fernsehen immer wieder: Was können, was sollen Kinder sehen, was ist für sie nicht mehr geeignet? Die Wissenschaft betont, das Publikum müsse zunächst die „Wort-Bild-Sprache“ der Medien wirklich verstehen — das lernt man nicht immer als Autodidakt. Es muß dann aber auch das Angebot der Medien in sein Wissen einordnen und soll schließlich die geeignete Auswahl für sich treffen lernen. Bei der Beratung zwischen Film- und Fern-sehwissenschaftern und den „Praktikern“ (darunter auch Vertreter vom österreichischen Rundfunk-Fernsehen) wurde dem Vorschlag Beifall gezollt, ein „Dokumentationszentrum“ einzurichten, das alle Arbeiten und Untersuchungsergebnisse

sammelt und ordnet, aber auch Vorschläge und Anfragen für eine künftige Bearbeitung vormerkt.

Auch von der gar nicht leichten Arbeit an den Hochschulen mit den großen Hörerzahlen (etwa 500 Hörer im Saal!) war die Rede und von der Notwendigkeit, besonders in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern den Film noch mehr heranzuziehen, aber nicht nur in der Vorlesung, sondern mit mehreren Kopien auch in den Studentenhäusern, etwa am Abend zur Wiederholung für solche, die das wünschen.

Die Arbeitsgruppe 4 beschäftigte sich mit der Film- und Fernseherziehung der Jugend. Vorgestellt wurde der Videorecorder, ein Gerät, das die Aufzeichnung von Fernsehsendungen auf Band ermöglicht, die dann zu beliebiger Zeit etwa in einer Klasse oder sonstwo wiederholt werden können (eine freilich nicht billige Angelegenheit!) Dann zeigten Lehrer die praktische Filmerziehung in der Schule mit Kurzfilmen (Märchen- und Trickfilme, Puppenfilme und andere). Den Anwesenden wurde zuerst der betreffende Streifen, dann aber das auf Band aufgenommene Klassengespräch über den Film dargeboten — eine ganz ausgezeichnete Lösung! Daran schloß sich ein Forumgespräch, in dem zu dem Vorgeführten Stellung genommen wurde; dabei gab es freilich über so manches geteilte Meinungen. Gerade das aber trägt bei zu der Erkenntnis, daß je nach der Lehrerpersönlichkeit auch bei der Filmierziehung doch im einzelnen verschiedene Absichten und Methoden vertreten werden können. Hier sei der Ausspruch eines ministeriellen Vertreters erwähnt: Das Skelett der Filmerziehung und Filmverwendung in den Schulen ist durch die Erlässe gegeben; das Weitere liegt nun bei der Lehrerschaft.

Umrahmt und ergänzt waren die Beratungen durch die Abendvorführungen bedeutender Filme. So wurde der 1947 von Prof. Geza Radvany hergestellte Film „Irgendwo in Europa“ gezeigt (ergreifend das Schicksal einer Schar elternloser Kinder). Ferner „The Saga of Anathan“, ebenfalls ein Nachkriegsfilm (1953); erst viele Jahre später erfahren verschollene japanische Soldaten vom Ende des Krieges. Es ist Josef von Sternbergs (in Wien geboren) letzter Film. Beide Regisseure waren bei der Vorführung anwesend (siehe untenstehendes Bild).

Ein Film des Zweiten Deutschen Fernsehens, hergestellt von der Univox, München in Palästina 1967, Reg. Ilan Eldad, war die „Sabbat-Legende“. Ein Poem mit folkloristischen, musikalischen und tänzerischen Leistungen: wie der Sabbat entstand. — Zu nennen noch ein interessanter Film über „Oskar Kokoschka“ in der Reihe Selbstporträt des NDR (Norddeutschen Rundfunk). Ferner wurden auf der Tagung gezeigt: „Eine Woche in Frankreich“, ein französischer Film, Städte und Dörfer im Zeitraffer (alle 15 Sekunden ein Bild, 300 Mal schneller!). Ob dieses Experiment, übrigens nicht ganz neu, auf die Dauer nicht ermüdet? — „Menschen von Morgen“, Interview im Film vor dem Zuschauer, Geständnisse vor der Kamera. Zwölf junge Menschen werden bei der Aufnahme zwei Stunden lang befragt.

In der Arbeitsgruppe 2 wurde eine Reihe von „Übungsfilmen“, hergestellt in den Filmschulen Berlin, Brüssel, Budapest, Lodz, Paris und Wien (an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst), vorgeführt. Teilweise recht interessant, so eine Themenstellung (Paris) an vier Studenten aus verschiedenen Ländern: „Was machen junge Leute in Ihrem Land um fünf Uhr nachmittag?“ Ein Film (Experimen-talfilm) läßt nur zwei Stimmen die Worte sprechen „John“

und „Marsha“, auf der Leinwand zwei Farbflächen in Bewegung entsprechend dem Liebesgetändel. Ein polnischer gekonnter Film: Ein Kunststudent zum Studium in einem Kloster, daneben ein alter Mönch, der in den letzten Tagen seines Lebens dem Tode entgegengeht.

Auffallend oft der Abstand einer Handlung (Drehbuch) von der Gestaltung; das eine gut, das andere gar nicht ansprechend, und umgekehrt.

Im Ganzen gesehen: eine wertvolle Tagung.

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