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Zur Geschichte der britischen und deutschen KP

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Nationalislhus und Kommunismus waren die stärksten politischen Kräfte der vergangenen Jahrzehnte. Während aber über den Nationalimus und seine Steigerung ins Antihumane, Antieuropäische ein geradezu erdrückendes Quellenmaterial vorliegt, besteht keine Möglichkeit, eine erschöpfende Darstellung des Kommunismus im 20. Jahrhundert zu geben, da die Archive der unabhängigen Forschung verschlossen bleiben.

Was zur Verfügung steht, sind die ikonen-haften Monumentalbilder offiziöser Chronisten sowie die Zerrspiegel, welche die Häretiker ihren Gefährten von gestern vorhalten.

Wenig, viel zuwenig.

Nun hat William Gallacher, Mitglied des Parlaments von Westmlnster, ein englischer Kommunist, der in jungen Jahren noch mit Lenin gerechtet hat, für die Pinguin-Reihe — wie da Milieu hier auch das Revolutionäre in konventionell-demokratische Bahnen drängt! — ein Buch geschrieben: „The Case for Communism“, das mit seinen früheren Werken („The Rolling of the Thunder“, „Revolt on the Clyde“) zu dem ganz wenigen gehört, was man über die CPGB (Kommunistische Partei Großbritanniens) lesen kann. Im vergangenen Jahr aber ist neben diesem „rechtgläubigen“ Traktat das Buch einer großen Häretikerin erschienen. Es handelt sich um eine Österreicherin, um

Ruth Fischer, die Schwester Gerhard Eislers, die auf Anregung Lenins die KPÖ gründete, dann nach Berlin ging und bis zum Zerwürfnis mit Stalin eine maßgebliche Figur in der deutschen KP, ja in der Welthierarchie der Kominform blieb. An dieser, inzwischen auch in Deutschland publizierten Arbeit („Stalin and German Communism“, Harvard Press) wird man um so weniger vorbeigehen können, als die Autorin hier nur das erste, wenn auch vielleicht wichtigste Kapitel einer internationalen Kominformgeschichte geschrieben hat, die sie innerhalb der nächsten Jahre zu vollenden gedenkt. Hält man die beiden, von so gegensätzlichen Blickwinkeln aus geschriebenen Werke gegeneinander, vergleicht man die Geschichte der CPGB und der KPD, dann ergibt sich eine recht beweglich Schau: man vermeint plötzlich die ungeheuren Schwierigkeiten zu verstehen, mit der die russische Zentrale zu kämpfen hat, begreift, daß hier immer wieder das U n-vereinbare aufeinander abgestimmt, das Unmögliche angestrebt werden mußte. Dabei fällt auf, daß die Entwicklung in der relativ bedeutungslosen britischen CPGB eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Entwicklung ihrer deutschen Schwesterpartei aufweist, anscheinend ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen der russischen Zentrale und den Westeuropafachen Filialen eine gewisse Gesetzmäßigkeit. So wie die CPGB aus einer losen Gruppe extrem linker Verbände, die zum Teil in der ILP beheimatet waren, entstand, so wie sich in der „Plebs League“ eine Speerspitze bildete, so wuchs in Deutschland die KPD aus der USPD, wobei die Speerspitze nach dem ersten 'Weltkrieg den Namen Spartakusbund trug. Hier wie dort beschleunigten revolutionär-aufrührerische Zwischenfälle, wie etwa der „Rote Freitag“ von Glasgow im Jahre 1919, an dem neost William Gallacher auch Shinwell, der jetzige Kriegsminister, verhaftet wurde, die Entwicklung, deren Tempo in England immer langsamer blieb. Bald stellte sich in beiden Ländern das erste kritische Füh-rungsproblem ein: sollte eine kommunistische Elite oder eine revolutionäre Massenbewegung geschaffen werden? Karl Liebknecht entschloß sich für eine möglichst breite Basis, wobei er auf den harten Widerstand Rosa Luxenburgs stieß, die der Ansicht war, die Bevölkerung sei für eine gewaltsame Erhebung noch nicht reif. In England neigte sich Gallacher ihrer Ansicht zu. Der Mann, der später zehn Jahre lang im Parlament sitzen sollte (wo er, nebstbei bemerkt, recht beliebt ist), rief ungeduldig aus; „Wir haben Besseres zu tun, als unsere Zeit mit Wahlvorbereitungen zu vertrödeln!“ Indes gelang es Lenin, Gallacher umzustimmen, so daß die CPGB die parlamentarische Linie akzeptierte, der sie bis heute treu geblieben ist. Im übrigen hatte Gallacher mit dem zitierten Ausspruch nur die allgemeine Stimmung innerhalb der kommunistischen Parteien jener Zeit wiedergegeben. Es war eine unruhige Zeit und man erwartete große, gewaltätige Veränderungen. Indes war die breite Masse, wie Rosa Luxenburg so richtig vorausgesagt hatte, tatsächlich nicht geneigt, sich einem roten Aufstand anzuschließen. Die aufflackernden Unruhen führten Sozialdemokraten und Reichswehrgeneräle zusammen, Rosa Luxenburg und Karl Liebknecht aber wurden „auf der Flucht erschossen“, womit diese ominöse Formulierung zum erstenmal Anwendung fand. Mit ihnen erloschen zwei Figuren, denen man weder echte Leidenschaft noch Format absprechen kann.

Es muß in den Monaten, da die KPD um ihre großen Führer trauerte, gewesen sein, daß die erste Fühlungnahme zwischen den Sowjets und der Reichswehr stattfand. Wenn man sich daran erinnert, daß die Russen noch vor wenigen Jahren, )a Monaten, mit der Möglichkeit einer westalliierten Großoffensive gegen ihr Staatsgebiet gerechnet hatten und audi im polnischen Feldzug dem französischen Generalstab (Weygand!) gegenübergestanden waren, dann erscheint dies Kontaktaufnahme als eine letzthin recht verständliche Sicherung. Wie aber hätte man dies den deutschen Kommunisten erklärlich machen sollen? In diesen und ähnlichen zwiespältigen Lagen wurde immer mehr bei einer blendenden Regie Zuflucht genommen, deren Gepräge bald international wurde, um später vom Faschismus nachgeahmt zu werden. Anfänglich fand diese Regie übrigens bei der Arbeiterschaft meist Ablehnung. „Es gab einen künstlichen Rahmen von klassischer Musik und revolutionärer Dichtung“, schreibt Ruth Fischer von einer kommunistischen Tagung der zwanziger Jahre. „Die Delegierten hatten sich auf eine nüchterne Analyse der deutschen Situation gefreut und erwarteten praktische Vorschläge. Statt dessen hielt Paul Levi eine Rede über die ökonomische Weltlage, in der ein Reichtum an Statistiken mit den verschiedenartigsten Nachrichten aus Asien und der anglcnamerikanischen Welt vermischt wurden.“ Und auch Gallachers Bericht läßt andere Seiten dieser Regie sichtbar werden. Als er zum zweiten Kominformkongreß in Petrograd ankam, wurde ihm bereits eine Flugschrift Lenins in die Hand gedrückt, in der sich dieser über gewisse „Kinderkrankheiten“ des Kommunismus ausließ und Gallacher namentlich als einen der „Infizierten“ anführte. Natürlich standen dem Engländer keine russischen Druckereien zur Verfügung, die nun seine Ansichten verbreitet hätten. Mit den Monaten und Jahren aber überschnitten sich die Interessen der verschiedenen kommunistischen Parteien und der einzelnen Schichten der Kominform-hierarchie immer mehr, die Fäden verwickelten sich zu einem Knäuel, den nur ein Genie hätte entwirren können. Es blieb eigentlich nichts übrig, als das Ausmaß der Gegensätze geheim zu halten. Dabei wurde die russische Partei .oft wider Willen gezwungen, Entscheidungen zu treffen, wobei in Deutschland wie in England das Kernproblem im Verhältnis zur Sozialdemokratie gelegen war. Später tauchte in Deutschland die Frage auf, welche bürgerliche Gruppe als die gefährlichste zu bekämpfen sei. Anläßlich der Präsidentschaftswahl vertrat hier Ruth Fischer die Ansicht, daß die kommunistische Kandidatur Thälmanns ein schwerer Fehler sei, da dadurch die Zentrumskandidatur Marx' zugunsten der nationalen Rechtskandidatur geschwächt und Hinden-burg Präsident würde. Thälmann, ein Hafenarbeiter aus Hamburg, dessen Stern im Aufstieg war, aber gewann die Oberhand. Doch wie im Falle Rosa Luxenburg hatte die Frau das bessere Fingerspitzengefühl bewiesen. Hindenburg wurde Reichskanzler, der Weg für die Rechtsdiktatur war vorbereitet und die Rechtsdiktatur führte zum zweiten Weltkrieg. Charakteristischerweise suchte Ruth Fischer ihre innerdeutsche Niederlage in Moskau zu revidieren, nur verband sie sich mit Sinojew gegen Stalin, von dessen Methoden sie sich abgestoßen gefühlt haben will.

All diese Erinnerungen sind heute, wo die Sowjets zum zweitenmal ihr großes Spiel um Deutschland versuchen, erstaunlich aktuelL Wieder muß die Kominform das Unvereinbare aufeinander abstimmen und das Unmögliche anstreben. Damals galt es, den Spartakus aufstand mit der Zusammenarbeit Rote Armee — Reichswehr zu harmonisieren, heute sich den deutschen Nationalismus dienstbar zu machen und den Polen die Oder-Neiße-Grenze zu garantieren.

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