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Zur Konjunkturdebatte

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Die Wiener Internationale Herbstmesse 1966 öffnet ihre Tore zu einem Zeitpunkt, in dem die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Industriestaaten zu umfassenden Diskussionen über den jetzt einzu schlagenden Weg der Wirtschaftspolitik führt. Als ich vor einem Jahr anläßlich der Herbstmesse 1965 wie üblich Gelegenheit hatte, zu der wirtschaftlichen Situation Stellung zu nehmen, mußte ich darauf verweisen, daß wir für das Jahr 1966 nicht nur in Österreich mit einer Verflachung der konjunkturellen Entwicklung rechnen müssen. Diese Prognose, die auch nicht bestritten wurde, hat sich als richtig herausgestellt. Heute sind wir in der Lage, die Merkmale dieser Konjunkturverflachung schon ziemlich genau zu überblicken. Sie sind in ihren Grundzügen in den europäischen Industriestaaten ziemlich gleichartig; Unterschiede hängen von der speziellen Situation der einzelnen Volkswirtschaften ab.

Wir müssen feststellen, daß heute Vollbeschäftigung,- ja Anspannung des Arbeitsmarktes, steigende Umsatzziffern, quantitative Exportvermehrungen neben außerordentlich verschärften Konkurrenzbedingungen auf den Weltmärkten, verstärktem Importdruck, steigendem Handelspassivum und bedenklicher Kosteninflation bestehen. Dieses Nebeneinander von teilweise einander widersprechenden Entwicklungstendenzen ist das Ergebnis einer durch innere und äußere Einwirkungen geformten Entwicklung unserer österreichischen Wirtschaft. Das Totlaufen der alten Koalitionspolitik verzögerte die Wachstumsgesetze, was neben der Kapitalknappheit wieder zur Verlangsamung lebensnotwendiger Investitionen führt; die Unmöglichkeit eines gesamteuropäischen wirtschafts- oder wenigstens handelspolitischen Arrangements verstärkte den gerade in Österreich zu wirksamen Diskriminierungseffekt seitens unserer wichtigsten Handelspartner; die Tatsache, daß wir noch immer keinen Anschluß an das internationale Forschungswesen gefunden haben, verringert die Chancen Verbesserter Rentabilität; die Lohnwelle 1966 in ihrem Umfang und ihren Auswirkungen — alles bisher Dagewesene weit übertreffend — erzeugt einen Kostendruck, der vielfach die Rentabilität von Produktion und Handel nicht nur vermindert, sondern vielfach auch in Frage stellt; es wäre ein Irrtum, der auch durch gewerkschaftliches Wunschdenken nicht korrigiert werden könnte, wenn man annähme, daß sich die Lohnwelle 1966 nicht auf die Preise auswirken müßte! Wenn sich trotz dieser bedenklichen Fakten diese Probleme noch in Grenzen halten, innerhalb derer man sie wenigstens halbwegs kontrollieren kann, so ist dies auf die Konsumkonjunktur zurückzuführeh, die heute eine weltwirtschaftliche Tendenz ist.

Die Tatsache der allgemeinen Konjunkturverflachung führt nun in der internationalen Diskussion begreiflicherweise zu der Frage, auf welche Weise man die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen könne, um wieder zu den hohen Zuwachsraten der vergangenen Jahre zu gelangen. Während die einen größte Zurückhaltung vor allem auf dem monetären Sektor vorschlagen, um die deutlich spürbaren Inflationstendenzen so weit wie möglich abzufangen, befürworten die anderen eine expansive Wirtschaftspolitik, die durch weitere Konsumvermehrung wieder zu einer Konjunkturbelebung führen soll. Die Diskussion über diese schwierige Problematik ist noch nicht zu Ende. Für-Österreich wird die Entscheidung wahrscheinlich weder in dem einen noch in dem anderen Extrem zu suchen sein. Eine bedenkenlose weitere Ankurbelung des Konsums müßte gerade für die österreichische

Wirtschaft zu neuen Rückschlägen auf dem Investitionssektor führen, was so ziemlich das Verkehrteste wäre, was wir tun könnten. Anderseits ist aber der Bedarf der österreichischen Wirtschaft eben auf dem Investitionssektor so groß, daß die Finanzierung der Investitionen nicht durch eine allzu restriktive monetäre Politik unmöiglich gemaeht werden darf. Man wird also einen Mittelweg finden müssen, der den Konsumsektor vorläufig nicht weiter expandieren läßt, um dafür mehr Mittel für Investitionszwecke zur Verfügung stellen zu können. Eine solche Politik wird allerdings nur dann zum Erfolg führen, wenn alle Verantwortlichen einen wirksamen Damm gegen die Kosteninflation errichten, das heißt — um es ganz deutlich auszusprechen —, daß weitere Lohnsteigerungen in diesem und im nächsten Jahr unweigerlich zu schweren Rückschlägen in der österreichischen Wirtschaft führen müßten. Daß Preiserhöhungen, die nicht in der Kostenvermehrung ihre

Begründung finden, ebenso ischädliich wären, ergibt sich von selbst.

Als eines der wichtigsten Teilprobleme in diesem Zusammenhang muß das ständig steigende Handelspassivum hervorgehoben werden. Es entstand und entwickelt sich noch immer weiter durch die binnenösterreichische Konsumkonjunktur einerseits und die ständig steigenden Exportschwierigkeiten anderseits. Hier ist ein Wort zu unseren Integrationsbemühungen zu sagen. Der Vertrag, den Österreich mit der EWG anstrebt, soll unter anderem die handelspolitische Diskriminierung seitens unseres größten und wichtigsten Handelspartners beseitigen. Da man Exportgeschäfte, die man auf der einen Seite verliert, nicht beliebig auf einer anderen Seite aufziehen kann, sind alle Ratschläge, die österreichische Exportwirtschaft möge doch, wenn sie auf dem EWG-Markt steigenden Schwierigkeiten begegne, sich einfach anders orientieren, ein Wunschtraum, den nur der träumen kann, der sich in der Wirtschaftspolitik nicht auskennt. Österreichs Wirtschaft hängt nun .einmal zu einem wesentlichen Teil davon ab, daß die österreichischen Exporte in den EWG-Raum sichergestellt sind und an der Zuwachsrate teilnehmen können. Allein dieses unabdingbare Postulat macht es geradezu unverständlich, daß es noch immer Leute gibt, die ernst genommen werden wollen, wenn sie Bedenken gegen die österreichischen Bemühungen um einen Vertrag mit der EWG anmelden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß entweder völliges Unverständnis der wirtschaftspolitischen Gegebenheiten oder konstruierte, politische Ressentiments bei solchen Überlegungen Pate stehen. Eine nüchterne Analyse der österreichischen Außenhandelswirtschaft zeigt nämlich, daß der Diskriminierungseffekt seitens der EWG den Export österreichischer Waren in diesen Raum immer schwieriger, zum Teil bereits unmöglich macht, während die Exporteure aus dem EWG-Raum die österreichische Zollbarriere mit Leichtigkeit überspringen können. Die österreichischen Zölle sind heute gegenüber dem Import aus der EWG nur noch ein schwacher Schutz, während die EWG-Zölle für den österreichischen Export ein immer schwieriger werdendes Hindernis werden. Das führt zu dem Schluß, daß der nach Beseitigung der Zölle zwischen Österreich und der EWG zu erwartende, verstärkte Importdruck immer geringer wird und von Tag zu Tag an Bedeutung verliert, während die Befreiung der österreichischen Exporte nach der EWG von den EWG-Zöllen die wichtigste Voraussetzung zu einer Verbesserung der österreichischen Handelsbilanz sein wird. Immer mehr erweist sich die Richtigkeit der beiden letzten Regierungserklärungen vom 2. April 1964 und vom 20. April 1966 daß der Abschluß eines Vertrages zwischen Österreich und der EWG die vordringlichste Aufgabe der österreichischen Außenpolitik ist.“

Wenn wir uns bisher mit der Entwicklung der Konjunktur und einigen Konsequenzen befaßt haben, die wir daraus zu ziehen haben, so muß der Vollständigkeit halber, vor allem aber auch im Zusammenhang mit der Handelspolitik noch darauf verwiesen werden, daß wir, wenn nicht alle Anzeichen trügen, auch in der Welthandelspolitik vor neuen Entwicklungen stehen. Die Bemühungen der UNO ebenso wie des GATT, den Entwicklungsländern ihren Start zu einer echten, positiven wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen und zu erleichtern, spielen hier eine bedeutende Rolle. Echte Hilfe für die Entwicklungs-

länder erfordert logischerweise echte Opfer auf seiten der Industriestaaten. Österreich kann und wird sich dieser Tatsache nicht verschließen. Die Frage lautet in unserem Zusammenhang: Wie ermöglicht man den Entwicklungsländern einen verstärkten Export ihrer Produkte? Soweit es sich dabei um landwirtschaftliche Produkte handelt, werden sich für Österreich keine Probleme ergeben, weil es sich hier wohl nur um Dinge handelt, bei denen keine Konkurrenz einer österreichischen Produktion besteht. Anders liegt die Situation auf dem industriellen Sektor, wo Niedrigpreisexporte dieser Länder geeignet sein können, zu Schwierigkeiten auf dem österreichischen Binnenmarkt zu führen. Man wird auf diesem Gebiet zunächst die Entwicklung abwarten müssen.

Eine Prognose für die weitere Entwicklung der österreichischen Wirtschaft läßt sich heuer schwerer stellen als in den Vorjahren. Die Verflachung der Konjunktur dürfte anhalten. Inwieweit belebende und hemmende Elemente in nächster Zeit wirksam werden, läßt sich im Augenblick nicht mit Sicherheit abschätzen. Jedenfalls wird es gut sein, wenn wir in absehbarer Zeit nicht mit falschem Optimismus an eine Erhöhung der Zuwachsrate des Bruttonationalproduktes glauben. Die für 1966 erwartete Zuwachsrate von drei bis vier Prozent dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach auch für 1967 ihre Gültigkeit behalten. Da dies aber ein so kleiner Zuwachsfaktor ist, daß er praktisch nicht durch eine Konsumvermehrung — die ja auch gar nicht wünschenswert wäre — fruktifiziert werden kann, bleibt zunächst nur die schon ausgesprochene Aufforderung zu größter Disziplin als Richtungweiser für unser wirtschaftspolitisches Handeln.

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