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Digital In Arbeit

Zwangsarbeit unter Werferfeuer

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An jenem Samstagnachmittag, als ach mit Oberst Steppan und unserem ersten Mitarbeiterstab unsere Tätigkeit besprach, kam plötzlich ein junges Mädchen in größter Aufregung zu uns gerannt und bat um Hilfe, da in ihrem Wohnhause in der Salesianergasse bewaffnete Russen eingedrungen seien und Zivilkleider verlangt hätten. Wir holten den Ortskommandanten und liefen mit ihm dorthin. Er ließ die Eindringlinge, die er sofort als frühere Wlassow-Soldaten erkannte, im Hof durch seine Leute erschießen, während wir an unsere Arbeit zurückgehen wollten. Es kam aber anders: An der Ecke Neuling-gasse-Modenapark wurde eben eine „Stalinorgel“ in Stellung gebracht, um die auf dem linken Donaukanalufer verschanzte SS zu beschießen. Wir wurden kurzerhand unter vorgehaltenen Maschinenpistolen gezwungen, unmittelbar vor dem feuernden Geschütz das Vorfeld von den dort lagernden Holzstößen zu räumen. Durch volle zwei Stunden mußten wir die schweren Holzbalken schleppen, ständig mit Erschießen bedroht, wenn es nicht rasch genug ging. Mein Protest beim kommandierenden General blieb erfolglos, Boten konnte ich keinen schicken, weil man niemanden wegließ. Endlich erschien unser Kommandant, der uns befreite und über meine Beschwerde den General ver-anlaßte. sich bei mir zu entschuldigen. Der Einsatz der Stalinorgel muß Erfolg gehabt haben, denn in dieser Nacht, vom 14. auf den 15. April 1945, war das letzte Nachtbombardement.

Bereits im Laufe des Sonntags, des 15. April, beauftragte ich den keiner Arbeitsmobilisierung, welche es auch wäre.

Giltig bis zum 1. Mai (ersten Mai) 1945.

Der Militärkommandant für den 3. Bezirk der Stadt Wien.

Gardemajor I. Kapelkin m.p.“,

Diese Vollmacht, die jedes Monat ( neu geschrieben und gestempelt“, werden mußte, gab mir unbe- ; schränkte Vollmacht über den ganzen Bezirk und dessen Bewohner, ■ sie hatte aber auch unbeschränkte“, Pflichten zur Folge.

Was den Kommandanten anlangte, ' so war er mir von Anfang an sym- ' pathisch: Von mittlerer schlanker ' Gestalt, hatte er blondes Haar und blaue Augen, trug eine hohe Pelz-mutze und keinerlei Distinktionen, ( die für Offiziere erst einige Zeit spä- ■ ter eingeführt wurden. Darauf ist es '. zurückzuführen, daß Offiziere nur von der Mannschaft ihrer eigenen“, Abteilung erkannt und respektiert wurden. Der Kommandant hieß Kapelkin und hatte die Kriegsaka- . demie absolviert und war nicht Mitglied der kommunistischen Partei, was mir meine Amtsführung we- 1 sentlich erleichterte, konnte ich doch 1 in allem und jedem auf seine volle ' Unterstützung rechnen.

Nun galt es, ein Amtslokal zu finden. Oberst Steppan hatte, da das • Amtsgebäude am Karl-Borromäus- . Platz ausgebombt und von russischen ' Abteilungen besetzt war, das leerstehende Palais der Gräfin Dorothy“, Palffy ausfindig gemacht, es lag in der Grimmelshausengasse. Dort war“, von nun an der Sitz des Polizeipräsidenten und des Bürgermeisters . des dritten Bezirks und vom nach- ' sten Tag an das täglich von hunder-ten Personen umlagerte Zentrum des“, Bezirkes. Die „Grimmelshausen-“, gasse“ war zu einem Begriff für die ' Landstraßer geworden.

Meine Amtstätigkeit glaubte ich“,aber nicht besser und würdiger be-“,ginnen zu können, als daß ich am ]Sonntag um 6 Uhr früh in der Rochuskirche die Sakramente emp-“,fing, indem ich den Kaplan Seidler“,in seiner Wohnung aufsuchte und (hierum bat. Gott hat auch' meine ■Amtsführung gesegnet und mich in jener schweren Zeit in all den un-“,zähligen Gefahren, in die ich mich begeben mußte, wunderbar beLeiter der Widerstandsbewegung im Bezirk, Rudolf R., die zu Hunderten auf Straßen, Plätzen, unter Haustoren und in Höfen umherliegenden Kadaver, deren Geruch bereits die Luft verpestete, so gut es ging, unter Aufgebot aller verfügbaren Arbeitskräfte, Männer und Frauen, einzuscharren. In der kleinen Salmgasse lagen allein 25 tote Pferde, die man durch den Hausflur des „Holländer-Palais“' (Nr. 6) schleifte und in einem Garten vergrub. Während ich mich von der Durchführung der Arbeiten überzeugte, wurde ich von mehreren Frauen händeringend gebeten, sie vor plündernden Soldaten zu schützen, und gleichzeitig von Hausbewohnern verständigt, in einer Wohnung lägen die Leichen eines Ehepaares, das Selbstmord begangen habe. Zu gleicher Zeit waren an verschiedenen Stellen im Bezirk Häuser in Flammen aufgegangen. Auf dem Esteplatz wurden die Mieter eines Hauses brutal auf die Straße gesetzt, ohne daß man ihnen gestattete, auch nur das Notwendigste mit sich zu nehmen. Ich hätte gleichzeitig überall im Bezirk sein sollen, um zu helfen und zu trösten.

Am nächsten Tag ging ich daran, mit freiwilligen Mithelfern eine Organisation aufzubauen, um der Bevölkerung Brot, Wasser, Obdach zu verschaffen und, was das Wichtigste war, Sicherheit vor Verhaftung, Vergewaltigung und Verschleppung zu geben.

Zu Hunderten kamen täglich Ausgebombte zu mir und wurden von mir in leerstehende Wohnungen eingewiesen: Von Anbeginn war mir bewußt, welche Verwirrung und wieviel Unrecht daraus sich entwickeln könnte. Die Not des Tages erforderte aber sofortige Maßnahmen, und hätte ich das Heft aus der Hand gegeben, würden sich die Kommunisten wahrscheinlich Wohnungen und Privateigentum angeeignet haben. Ich betonte immer wieder, diese Einweisungen seien provisorisch und jedermann sei als Treuhänder für die Einrichtungsgegenstände verantwortlich! Dies ließ ich auch auf die Einweisungsscheine schreiben und verlangte, als erster Bezirksbürgermeister, die Errichtung und Hinterlegung von Inventaren. Dadurch gelang es mir, soweit dies unter den außergewöhnlichen Umständen möglich war, Ordnung zu machen, was sich späterhin bestens bewährte: Noch sechs Jahre später bildeten die mustergültig angelegten Karteien und Abschriften aller Verfügungen die Grundlage für die viele Jahre später auszutragenden Miet- und Möbelprozesse. Da eine Überprüfung der Angaben der Wohnungswerber ja nicht möglich war, mußten sich diese mit einer Befürwortung einer der politischen Parteien, zu denen anfänglich auch die Widerstandsbewegung zählte, ausweisen.

Am 17. April ging ich mit Oberst Steppan über die verwüstete Ringstraße mit ihren Bombentrichtern, teilweise noch brennenden Hausruinen, an Tierkadavern vorbei, zum erstenmal ins Rathaus. Wir stellten uns dem Bürgermeister Theodor Körner vor, der mich als ehemaligen Artillerieoffizier herzlichst begrüßte und mir gleich das „Duwort“ antrug. Wir konnten uns nicht lange unterhalten, denn die Russen holten ihn und Stadtrat Speiser ins Hotel Imperial ab, wo General Blagoda-tow, der Stadtkommandant, residierte. Prälat Fried kam Arm in Arm mit Professor Arzt daher. Die Geschäfte führte der kommunistische Vizebürgermeister Prikryl, der mit verbundenem Kopf am Schreibtisch saß und Passierscheine ausstellte.

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