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Zwei Handschriften des Axamer Josefspiels

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In den Jahren 1677 78 zeichneten zwei Axamer, der Dorfschmied Josef Maurer und der Gastwirt Hans Dollinger, ein Volksschauspiel von den zwölf Söhnen des Patriarchen Jakob in zwei gleichlautenden, sauberen Reinschriften auf. Die beiden Quartbände sind in Pergament gebunden und enthalten 160, beziehungsweise 157 beschriebene und etliche leere Blätter. Der Sprechtext ist mit schwarzer, die Akteinteilungen, Bühnenanweisungen und Rollennamen mit roter Tinte sorgfältig ausgeführt. Diese Handschriften sind das Werk vielwöchentlicher Hingabe. Etliche Kleinigkeiten wurden von späterer Hand geändert. Josef Maurer starb am Pfingstsamstag 1726 und hinterließ diese beiden Bücher sowie ein handschriftliches Gebet- und ein ebensolches Medizinbuch mit anderen, nicht mehr feststellbaren Handschriften dem Lorenz Jäger in Axams. Dieser kaufte sich zu Medraz im Stubaital an und vererbte seine Bücher den weiteren Besitzern seines Medrazer Hauses bis auf den Mesner und Bildschnitzer Johann Gwercher, der vor rund 10 Jahren dort verstarb. Gwercher hatte die Handschriften dem damaligen Pfarrer von Fulpmes, der gleichfalls Mäurer wie der eine Schreiber hieß, einsehen, und zu weiterer Begutachtung dem damaligen Chefredakteur der „Neuen Tiroler Stimmen“, Dr. Georg Jehly, übergeben lassen. Nach Jehlys bald darauf erfolgtem Tode gelangten die Handschriften außer Landes.

Die ältere der beiden Spielhandschriften, die am 19. September 1677 vollendet wurde, erwarb vor dem ersten Weltkrieg der Theaterhistoriker und Universitätsprofessor Dr. Artur Kutscher in München. Kutscher suchte in vielen Exkursionen mit seinen Hörern auch alte tirolische Spielstätten auf, so Fulpmes und Erl, zeigte die erworbene

Handschrift bei Seminarübungen und Theaterausstellungen gerne vor und zählt sie zu seinen wertvollsten Volksschauspielzeugnissen und Erinnerungsstücken. Er zweifelt, ob die Handschrift noch bestünde, wenn nicht er sie erworben und behütet hätte, und ist nicht geneigt, sie zu seinen Lebzeiten aus seinem Hause zu geben. In dieser Handschrift fehlte schon 1903 an Blatt, und zwar die Überschrift und erste Seite des dritten Aktes. Diese Lücke ergänzte Pfarrer Maurer nach dem Text der anderen Handschrift.

Die zweite, vollständige Handschrift des Axamer Josefspiels wurde am 20. Oktober 1678, also vor 270 Jahren, vollendet und einer Aufführung vom 8. Juni 1683 zugrunde gelegt, ein Beweis, wie lange sich die Axamer damals für ihre Spiele vorbereiteten. Durch einen Nachfolger Jehlys wurde dieser Band dem Geistlichen Karl Stronski aus Oberösterreich überlassen. Stronski studierte damals an der Universität in Innsbruck und vollendete unter Professor Dr. J. E. Wackernell seine wissenschaftliche Arbeit über die Aufführungen der Innsbrucker Jesuiten. Daher erklärt sich Stronskis Interesse an solchen Spielhandschriften. Er nahm etliche aus Tirol in seine Heimat mit, konnte sich aber infolge seines Mittelschuldienstes in Wien nicht mehr näher damit befassen. Bei meinen Nachforschungen nach Spielhandschriften verfolgte ich die Schicksale der Axamer Bände seit Jahrzehnten und wandte mich an Professor K. Stronski, meinen Schulkameraden, mit der Bitte, diese Spielhandschriften nach Tirol zurückzugeben, damit sie ihrem Ursprungsland erhalten bleiben und hier ausgewertet werden. Ehe Stronski meiner Bitte entsprechen konnte, starb er. Dank der Vermittlung des derzeitigen Dekans der Innsbrucker medizinischen Fakultät, Professor Dr. G. Sauser,

der wie Stronski aus Oberösterreich stammt und mit dessen Bruder befreundet ist, überließ schließlich dieser, Landesgerichtspräsident Dr. Ludwig Stronski, die erbetenen Handschriften meiner Frau, die eine Schülerin Karl Stronskis war, als Erinnerung an ihren Lehrer. Mit ihrer Zustimmung kam ich kürzlich nach zweiundzwanzigjährigen Bemühungen in die Lage, der Gemeinde Axams diese einzige vollständige Handschrift ihres vielbesuchten Josefspiels unter der Bedingung zum unveräußerlichen Geschenk zu machen, daß die Gemeinde diese Handschrift einstweilen als ihre Leihgabe zur feuersicheren Aufbewahrung und wissenschaftlichen Auswertung dem Volksliedarchiv in der Innsbrucker Universität solange anvertraut, bis eine Photokopie des Werkes hergestellt werden kann.

Diese Axamer Spielhandschrift zählt neben dem Fließer Barbaraspiel von 1644 und dem Amraser Andrdas-von-Rinn-Spiel von 1648 zu den volkskundlich und theatergeschichtlich bedeutsamsten Tiroler Volksspieltexten aus dem 17. Jahrhundert. Sie ist unter den genannten die umfangreichste und kostbarste Handschrift dieser Art und das rühmlichste Zeugnis für die Dorfkultur und Schulbildung jener Zeit. Von 1683 bis 1948 lassen sich Aufführungen dieses Josefspiels auf der seit 1613 nachweisbaren Spieltenne von Axams in regelmäßigen Zeiträumen feststellen, ein Zeichen, daß noch andere Handschriften dieses Spiels nach dem Tode Maurers am Orte verblieben waren, doch haben sich nur viel jüngere und geringere Bearbeitungen in Axams und im Tiroler Landesmuseum erhalten.

Waren nun die beiden Axamer, Maurer und Dollinger, die Verfasser, Bearbeiter oder Schreiber dieses Josefspiels? Als Verfasser kommen sie kaum in Betracht. Seit dem Ausgang des Mittelalters gab es verschiedene Dramatisierungen dieses Stoffes. Eine solche des berühmten Jesuiten und Theaterfachmannes Jakob Spanmüller (Pontanus)' aus Brüx in Böhmen wurde von Innsbrucker Jesuitenschülern aufgeführt. Pontanus wurde wiederholt zu Festspielen an den Hof Erzherzog Ferdinands von Tirol gerufen. Die wichtigste und dem Axamer Spiel wohl zunächststehende Bearbeitung des Stoffes stammte von dem großen Dramatiker am kaiserlichen Hofe in Wien, dem Jesuiten Nicolaus Avancinus, einem Südtiroler von Nonsberg. Er gestaltete auch das Volksbuch der Markgräfin Genoveva von Brabant, das sein Konfrater, der Haller Michael Stau- dacher, verfaßt hatte, zu einem Bühnenstück und schuf mehrere ähnliche lateinische Bühnenwerke, die bald hernach, verdeutscht und vervolkstümlicht, auf Tiroler Dorfbühnen, besonders in Axams, vorgeführt wurden. Inwieweit das Axamer Josefspiel von Pontanus, Avancinus und anderen Dichtem abhängig blieb, vermag ich im einzelnen noch nicht zu sagen, weil mir die betreffenden Werke augenblicklich nicht zur Verfügung stehen. Früher oder später wird sich aber an den drei angeführten Spieltexten von Fließ, Amras und Axams das Verhältnis der Jesuitenkomödie zum alpenländischen Volksschauspiel beispielhaft darlegen lassen.

Das Axamer Josefspiel von 1677 78 besteht aus fünf Akten, 67 Sprechrollen, darunter Spielführer, Gottvater, Engeln, Teufeln, Narren, Zauberer und vielen lebenden Bildern und anderen Zutaten. In die alt- cestamentlidie Geschichte sind Aufzüge, Musikstücke, Tänze, Raufszenen, Narrenkomik eingefügt. Das ganze Schauspiel ist bewegt, abwechslungsreich, ein vielseitiges, anschauliches und symbolisches Bild des Lebens und der Menschen, ein klassisches Beispiel österreichischen Bauernbarocks.

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