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Zwei hollandische Geburten

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Die Erwartung des freudigen Ereignisses hat in den letzten Wochen die Atmosphäre in den Niederlanden weitgehend bestimmt. Ein Großteil der Bevölkerung sah der prinzlichen Geburt mit Interesse entgegen, das sich zur Hochspannung steigerte, als der Geburtstag den voraussichtlichen Termin überschritt.Gut Ding muß Weile haben: Die Kronprinzessin Beatrix, die im vergangenen Jahr mit Claus von Arnsberg in die Ehe trat, hat einen stattlichen Sohn zur Weit gebracht. Nach mehr als einem Jahrhundert ein männlicher Thronfolger namens Willem Alexander! Welche Erwartungen vermögen allein schon diese historischen Namen zu wecken! Der Ministerpräsident äußerte noch am gleichen Abend in Rundfunk und Fernsehen die Hoffnung, daß die Monarchie, die in einer großen geschichtlichen Vergangenheit wurzelt, in diesem Vertreter künftig eine starke Stütze finden und somit für die weite Zukunft zu neuer Blüte gedeihen möchte.

Damit war eine Hoffnung ausgesprochen, die nicht von jeder Gruppe im Lande geteilt wird. Monarchie oder Republik, das ist vielmehr ein Streitpunkt, der allmählich zu einem zusätzlichen Spaltpilz in dem an Differenzen ohnehin überreichen politischen Leben zu werden droht. „Wie bei jeder Wiege geziemt sich auch hier ein Glückwunsch für Mutter und Kind“, schrieb tags nach der Geburt die katholische „Neue Linie“ mit geringer Begeisterung. Und fuhr fort: „An sich ist die Monarchie unseres Erachtens ein Anachronismus. In einer modernen Demokratie ist Machtübertragung auf Grund von Erblichkeit ein Widerspruch und eine Folgewidrigkeit. Es wäre VogelStrauß-Politik, diese Tatsache an der Wiege eines Oraniers, der wahrscheinlich einmal der Träger dieser Erbfolge sein wird, nicht ins Auge zu fassen. Weil die Dynastie der Oranier eng mit der Geschichte des Volkes verknüpft ist und sich fast reibungslos in unsere parlamentarische Demokratie eingefügt, erfährt das Königshaus hierzulande geringeren Widerstand als anderswo.“

Noch ein anderes freudiges Ereignis war Anlaß, zu feiern. Auch die langwierigste Regierungskrise geht erfahrungsgemäß einmal zu Ende. Die Freude anläßlich der endlich gelungenen Kabinettsformation hatte allerdings einen bitteren Beigeschmack. Die Geburt war begleitet von vielerlei Komplikationen und verlief keineswegs flott. Das Ergebnis hat dementsprechend nur geringen Beifall geerntet.

Die Autorität Jelle Zijlstras, des in der Periode des Interims urplötzlich populär gewordenen Staatsmannes, wurde dazu ausersehen, die unpopuläre neue Koalition den Wahlergebnissen zum Trotz dem Volke schmackhaft zu machen. Die Entscheidung hatten andere hinter den Kulissen längst getroffen. Die Wiederherstellung der alten konservativen Koalition der drei christlichen Parteien mit den Liberalen war nur noch eine Formalität. Viele hat es dennoch enttäuscht, daß der Mann, der die Würfel dann offen auf den Tisch warf, sich weigerte, selbst die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen. Nach der kurzen, vielversprechenden und vertrauenserwek-kenden Zwischenregierung trat Jelle Zijlstra nun zurück. So kam eine Regierung zustande mit Piet de Jong, dem ehemaligen „Korvettenkapitän“, am Steuer. Und auch die übrige Schiffsbemannung läßt Zweifel aufkommen.

Der verdiente Altpremier Zijlstra hat die vernichtende Kritik, die auf die neue Regierung losprasselte, abzuschwächen versucht, indem er ihr einen originellen Kommentar mit auf den Weg gab. Er bemerkte, daß sich in den letzten Jahrzehnten jedes Kabinett als ein völlig andersgeartetes verabschiedet habe, als es anfangs angetreten sei..-.

Für die christlichen Parteien schien es von größter Wichtigkeit, daß die neue Regierung schnellstens formiert werde. Gelänge das nicht, so müßte man in zwölfter Stunde noch mit den Sozialisten verhandeln, und zwar in einer nahezu aussichtslosen Situation. Möglicherweise würde unter diesen Umständen die Einheit der drei christlichen Parteien in die Brüche gehen. Piet de Jong begnügte sich also mit den Männern der zweiten Garnitur, der er selbst auch angehört. Man sagt ihm einen großen Sinn für Humor und die Gabe des Improvisierens und Organisierens nach. Ob das genügt, die nicht geringen Aufgaben und Probleme zu lösen?

Die Regierungserklärung war karg. Die Zusage einer weiteren Demokratisierung des Unterrichtes etwa kann doch nur eine Phrase sein, wenn gleich darauf die Mitteilung folgt, daß die Staatsausgaben für den Unterricht „tempo-risiert“ werden müssen. Über die Entwicklungshilfe, die angeblich hohe Priorität bekomme, vernehmen wir in der Erklärung nur, daß man ein Prozent des Nationaleinkommens in einiger Zeit zu erreichen hoffe, ein Bestreben, das im Vergleich zu den Plänen der Enzyklika „Popu-lorum progressio“ als unzulänglich bezeichnet werden kann.

Die konservative Gesinnung dieser neuen Regierung hindert nicht, daß sie bald zur Lösung der Schwierigkeiten und großen Fragen schreiten muß. Wir denken dabei an die finanzielle Gesundung, an soziale Maßnahmen, an die Änderung des bestehenden Partei- und Wahlsystems und vieles mehr.

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