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Zwei „Neue“ aus einem Guß

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In der Tagespresse wurden die neuen Ford- Modelle, die Mitte September der europäischen Fachpresse präsentiert wurden, bereits ausführlich beschrieben. Einige hundert Journalisten aus allen Teilen Europas waren in der Beethoven-Halle Bonns versammelt, Generaldirektor J. S. Andrews begrüßte in vorbildlicher Kürze die Gäste, nach ihm hielten Techniker und Kaufleute der Werke in Köln interessante Referate, die neuen Fahrzeuge und deren reichhaltiges Zubehör konnten im Vorraum der Halle besichtigt werden, und schließlich fand ein gemeinsames Abendessen mit Unterhaltungsprogramm statt. Am nächsten Tag standen die Modelle auf einer zum Teil abgesperrten Rundstrecke für Probefahrten zur Verfügung.

Von den Vorträgen anläßlich der Präsentation verdienen die Ausführungen des stellvertretenden Generaldirektors R. G. Layton vor allem Beachtung, denn sie befaßten sich mit der Lage der deutschen Autoindustrie und boten aufschlußreiche Aspekte auf die allgemeine Lage. Layton führte aus, daß die Kraftfahrzeug- und Verkehrswirtschaft in der deutschen Volkswirtschaft seit 1964 bei einem voraussichtlichen Volkseinkommen von etwa 300 Milliarden DM mit etwa 15 Prozent beteiligt sind. Sie sind daher ein Konjunkturbarometer erster Güte, und nach dem augenblicklichen Stand könne man ihr eine weitere günstige Entwicklung prophezeien. In den zehn Jahren von 1954 bis 1964 hat sich die europäische Automobilproduktion fast vervierfacht. Während damals weniger als zwei Millionen Personenwagen in Westeuropa erzeugt wurden, werden es heuer etwa 7,3 Millionen sein. Damals wurden in Westeuropa etwa 1,5 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen, heuer schätzt man das Dreieinhalbfache (5,4 Millionen). Während dieser Zeitspanne erhöhten sich die Exporte aus dem europäischen Raum nach Ubersee von 400.000 auf 1,6 Millionen Einheiten. In dieser Entwicklung hat Westdeutschland eine überragende Rolle gespielt. (Sie spielt sie auch noch heute, Deutschland ist zum größten Exporteur von Automobilen in der Welt geworden.) Die Personenwagenerzeugung dieses Landes stieg von 535.000 Einheiten 1954 auf zirka 2,5 Millionen Einheiten heuer. Den Neuzulassungen in der Bundesrepublik von rund 300.000 Stück damals stehen 1,3 Millionen heuer gegenüber.

Noch dynamischer entwickelten sich die Exporte, die von 236.000 auf rund 1,300.000 heuer ansteigen werden. Westeuropas Erzeugung ist mit 7,3 Millionen Personenwagen mit 40 Prozent an der Weltproduktion beteiligt, zehn Jahre früher war es bloß die Hälfte (20 Prozent). Somit wird heuer Westeuropa fast die USA-Produktion von zirka 8 Millionen erreichen. Auf diese Weise ist der Anteil der USA-Hersteller an der Weltproduktion von 74 Prozent vor zehn Jahren auf weniger als die Hälfte zurückgegangen. Erklärt wird diese gegensätzliche Entwicklung mit der Saturierung in den Vereinigten Staaten, ein Zustand, den wir erst im nächsten Jahrzehnt erreichen werden.

In Westeuropa kommen noch mehr als dreimal so viel Personen auf ein Kraftfahrzeug als in den USA. Mit sich angleichendem Lebens-standard zwischen diesen beiden Blöcken müßte die Nachfrage nach europäischen Automobilen also weiter zunehmen. Diese Annahme entspricht der Entwicklung des Pro- Kopf-Einkommens, das in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik auf über 5500 D-Mark pro Jahr (mehr als das Doppelte seit 1954) gestiegen ist. Damals betrug das Einkommen in Westdeutschland noch weniger als ein Drittel des Einkommens in deh Vereinigten Staaten.

Wichtige Impulse sind von der Schaffung des Gemeinsamen Marktes ausgegangen, anderseits aber ist es bedauerlich, daß Europa vorläufig in zwei rivalisierende Wirtschaftsblöcke gespalten ist. Layton kam auch auf die Rückschläge innerhalb der Berichtsperiode zu sprechen und stellte fest, daß gerade die Bundesrepublik davon verschont geblieben ist und daß auch die Pessimisten bezüglich der erwarteten Überkapazitäten nicht recht behalten haben. Der Redner bekannte sich zum System des freien Wettbewerbes, begrüßte die Konkurrenz, die sich zwischen den Herstellern bezüglich des Preises ergibt, und stellte fest,

daß es wieder einen Käufermarkt gibt. Trotz allgemeiner Lohn- und Preiserhöhungen blieben die Preise der Automobile für den Kunden trotz Verbesserungen der Qualität gleich, ein Beispiel aus dem eigenen Haus demonstriere diese Tatsache, denn die Preise der heutigen 17-M-Modelle sind sogar niedriger als die der 1952 eingeführten erheblich kleineren und primitiveren 12-M-Modelle. Innerhalb von zwölf Jahren erhält der Kunde also „mehr Auto“ für weniger Geld. Mit einem Bekenntnis zum freien Spiel aller Wirtschaftskräfte schloß der stellvertretende Generaldirektor seine überaus aufschlußreichen Ausführungen.

Der Verkaufsdirektor von Ford-Köln, Max Über, betonte die Verlagerung des Bedarfs nach dem größeren Fahrzeug, ein Umstand, dem die neuen Modelle Rechnung tragen. Unter Beibehaltung der bisherigen bewährten Eigenschaften der Kölner Ford-Fahrzeuge (Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit, Komfort) hat man nunmehr „zwei Wagen aus einem Guß“ neu geschaffen, von denen der eine jerfzt den Kampf in der Zweiliterklasse gegen die beiden anderen Giganten Deutschlands in dieser Kategorie aufzunehmen gedenkt, denn gegenwärtig hat Ford auch ein Fahrzeug geschaffen, das mit den Sechszylindertypen von Daimler-Benz und Opel vergleichbar ist.

Wie sich die Journalisten bei Probefahrten überzeugen konnten, sind alle Fahrzeuge bedeutend geräumiger, komfortabler und stärker geworden, insbesondere wurde die Straßenlage, das Kurvenverhalten und die Beschleunigung verbessert. Vom Chefkonstrukteur der Werke, J. A. Gutzeit, erfuhr man die technischen Daten, insbesondere beeindruckten jene Ziffern, welche die Dimensionen der neuen Fahrzeuge charakterisieren, hier gilt wieder einmal das abgedroschene Wort von „innen größer als außen“, denn tatsächlich sind die Abmessungen für Insassen und Kofferraum mehr gestiegen als die äußeren Maße,

die Wendigkeit des Fahrzeuges hat im'Ver- gleich zu früher gewonnen, da der Wendekreis kleiner geworden ist.

Erstmals tritt im Bauprogramm der Kölner Ford-Werke ein Personenwagen mit Zweiliter- Sechszylinder-V-Motor in Form des Taunus 20 M in Erscheinung, ein Wagen, der der sehr gehobenen Mittelklasse angehört. Der seit 1960 gebaute Taunus 17 M ist bei Beibehaltung der Modellbezeichnung völlig neu konstruiert worden. Der kleinere 12 M bleibt als Wagen mit Frontantrieb weiter in Produktion, wird allerdings ebenfalls verbessert.

Die neuen Fahrzeuge beziehungsweise deren Erzeugung stehen im Zeichen der Rationalisierung im Motoren- und Karosseriebau (Baukastensystem einerseits, Einheitsrohkarosserien anderseits). Die Motoren weisen eine einheitliche Bauart mit in engem V-Winkel von 60 Grad liegenden Zylindern, hochliegender, durch Zahnräder angetriebener zentraler Nockenwelle und Massenausgleichswelle bei den Vierzylindern auf. Die Grundkarosserietypen sind einerseits die bekannte Außenhaut des 12 M und die neue des 17 M und 20 M. Auch in der Konstruktion des Fahrgestells, der Aufhängung und der Bremsen sind die beiden neuen Modelle sehr ähnlich, wenn nicht sogar gleich. Durch diese Angleichung an das Zweilitermodell des 20MTS gewinnt der 17 M in seiner neuen Form einen größeren Abstand zu seinem Vorgänger. Wenn wir von der Konkurrenz mit Mercedes 220 und Opel- Kapitän sprachen, dann muß hinzugefügt werden, daß die neuen Fordwagen immerhin um einiges kleiner, aber auch bedeutend billiger sind als ihre Konkurrenten.

In der äußeren Form der neuen Fahrzeuge fällt die sportlich anmutende Lage der Räder in bezug auf die Karosserie auf. Fast bündig schließen sie mit der Seitenfläche der Karosserie, die nunmehr weniger stark bombiert ist, ab. Die Seitenwände sind flacher, die ganze Karosserie ist funktioneller geworden, die Gürtellinie ist niedrig gehalten, von den früheren Modellen ist allerdings das charakteristische Taunus-Gesicht mit den weit außenliegenden rechteckigen Scheinwerfergehäusen und der seitlich hochgezogenen Stoßstange geblieben. Allerdings sind Scheinwerfergehäuse und Kühlergitter durch einen Chromrahmen zu einer Einheit verschmolzen. Die neue Dachlinie bringt eine beträchtliche Vergrößerung der Kopfhöhe über den hinteren Sitzen. Äußerlich unterscheiden sich die beiden Fahrzeuge 17 M und 20 M durch eine seitliche Chromleiste beim letzteren Fahrzeug, durch das mit einer Chromblende verzierte Heck und einige wenig in die Augen fallenden Veränderungen, womit wir die gleichen Zweifel bezüglich der leichteren Verkäuflichkeit der teureren Modelle, speziell bei uns in Österreich, äußern möchten, wie wir es bereits bei Mercedes und Opel getan haben, denn wer bei uns den teureren Wagen kauft, der will das auch nach außen hin deutlich zum Ausdruck bringen. Diese Entwicklung jedoch — geringe äußere Unterschiede durch die Verwendung der gleichen Rohkarosserie für verschiedene Modelle — ist allerdings vom wirtschaftlichen Standpunkt nur zu begrüßen.

Besonders stark beeindruckt haben uns bei den Probefahrten einerseits die neuartige Vollkreisventilation, die in Kopf höhe eine ständige, kaum merkliche Luftbewegung erzeugt, ferner die hervorragenden Bremsen (alle Modelle haben ATE-Dunlop-Scheiben- bremsen vorn, das Spitzenprodukt 20 M TS wird serienmäßig mit einem Bremsverstärker ausgerüstet). Die hinteren Trommelbremsen weisen aufgepreßte (geklebte) besonders wärmefeste Beläge auf, die zusammen mit den Backen ausgewechselt werden. Ferner gefiel uns die Präzision der leichtgängigen Lenkung, die Weichheit der Federung, die Richtungsstabilität der Fahrzeuge mit Untersteuerungstendenz, weniger gefiel uns die Anbringung des Reserverades im an sich großen Kofferraum, in den das Gepäck allerdings nicht geschoben werden kann, sondern gehoben werden muß, und ein wenig enttäuscht waren wir von den verhältnismäßig wenig Vorkehrungen zur Hebung der inneren Sicherheit. Wir hatten gehofft, daß ein Werk wie Ford-Köln, mehr den Forderungen zum Schutz der Insassen bei eventuellen Unfällen Rechnung tragen wird. Wo sind die wirklich nachgebenden Armaturenbretter, Bedienungshebel, der beim Anprall herausspringende Rückschauspiegel, der glatte „Himmel“ des Daches und vieles mehr? Die Preise der Fahrzeuge sind, in Anbetracht der gebotenen Qualität, sehr günstig: 59.100 Schilling für die zweitürige, 63.200 Schilling für die viertürige Ausführung des 17 M mit 1,7-Liter-Motor. Die Preise für den 20 M und 20 M TS stehen zur Zeit noch nicht fest.

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