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Zwei Parteien befinden sich im Aufwind

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„Im Frühjahr wird gesät, im Herbst geerntet." Diese Bauernregel gilt für Bundeskanzler Kohl seit der Europa-Wahl und den Kommunalwahlen vom 12. Juni als Grundgedanke.

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„Im Frühjahr wird gesät, im Herbst geerntet." Diese Bauernregel gilt für Bundeskanzler Kohl seit der Europa-Wahl und den Kommunalwahlen vom 12. Juni als Grundgedanke.

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Die CDU ging trotz pessimistischer Prognosen als eindeutige Wahlsiegerin hervor. Die Rechnung der SPD, die Europa-Wahl werde gerade in den neuen Bundesländern - wo mit Ausnahme Brandenburgs auch Kommunalwahlen stattfanden - die Präsenz der SPD-Opposition unter Führung von Rudolf Scharping unter Beweis stellen, ging nicht auf.

Alle drei Parteivorsitzenden, Kohl, Kinkel und Scharping, waren in den Wochen v.or der Europa-Wahl unentwegt in deutschen Landen unterwegs - und dabei kamen die neuen Bundesländer nicht zu kurz. Es mußte aber zur Kenntnis genommen werden, daß auch die Wähler in den neuen Bundesländern zwischen einer Kommunalwahl, einer Europa-, Bundestagsoder Landtagswahl sehr wohl zu unterscheiden wissen.

Der FDP-Vorsitzende Klaus Kinkel mußte sich in Dresden auf der Hauptstraße am altehrwürdigen Goldenen Reiter mit einer 150 Mann starken Wählerlobby zufriedengeben, auch wenn das FDP-Zugpferd, Ingol Roßberg, seit Monaten einen verbissenen Wahlkampf führte. Experten sprechen davon, daß er dafür rund eine Million DM Wahlgelder •seiner Partei in Anspruch nahm. Roßberg lag am 12. Juni an 4. Stelle mit 7,6 Prozent.

Helmut Kohl nutzte alle Chancen eines sich langsam anbahnenden Konjunkturaufschwungs in den neuen Bundesländern. Am 2. Juni nahm er in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden an der Grundsteinlegung der größten E-Chip-Fabrik Europas teil, die von Siemens auf einem ehemaligen Gelände, der Sowjetstreitkräfte errichtet und 1.400 neue Arbeitsplätze schaffen wird.

Still, geordnet und diszipliniert verlief der Wahlkampf der PDS/Re-formkommunisten. Vor mehr als 5.000 Zuschauern traten die hauptakteure Gregor Gysi und Graf von Einsiedeln, ein Urenkel Otto von Bismarcks, auf dem Dresdener Theaterplatz gemeinsam mit der PDS-Kandidatin für das Amt des Dresdener Oberbürgermeisters, der

49jährigen Lehrerin Christine Ostrowski, auf.

Die PDS zeigte im Wahlkampf keine Berührungsängste, auch nicht in Gesprächen mit Andersdenkenden und kirchlich gebundenen Bürgern. Gysi und Ostrowski traten sogar in katholischen Gemeinderäumen auf: ein Beweis für Toleranz seitens der katholischen Kirche, vielleicht auch schon im Hinblick auf den Katholikentag in Dresden, wo es gilt, den Dialog mit Andersdenkenden zu erreichen. Es ist interessant festzustellen, daß sich innerhalb der PDS bereits eine christliche Linke schrittweise manifestiert. Es gehört zur historischen Erfahrung der Linken in Deutschland, daß sich oft Adelige und Intellektuelle in ihr engagieren.

Das Gruhdziel der PDS ist es, alle Kreise und Schichten anzusprechen, ihre eigentlichen Probleme vor Ort kennenzulernen und sich dieser anzunehmen. Ideologische Fragen und Auseinandersetzungen treten vollkommen in den Hintergrund und sind auch gar nicht gefragt. Der PDS-Leitgedanke „Wir sind eure Interessenvertreter auf allen Ebenen" ist aufgegangen und wird auch den Bundestagswahlkampf als populistisches Argument beherrschen.

Erstanalysen bestätigen, daß es überwiegend Akademiker sind, die sich der PDS zuwenden, an zweiter Stelle stehen Facharbeiter. Mittelständler und Handwerker halten die weiteren Ränge. 57 Prozent des Wählerpotentials der PDS kommt nicht von ehemaligen SED-Mitgliedern. Ursachen für die Zuwendung zu den Reformkommunisten sind Frust und totale Unzufriedenheit mit den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen. Dabei haben die Menschen in den neuen Bundesländern keine Sehnsucht nach der ehemaligen DDR. Selbst die PDS distanziert sich davon, wie ihr Vorsitzender, Lothar Bisky, in einem ZDF-Interview erklärte. Wenn die PDS auch den Sprung ins Europäische Parlament nur knapp verfehlte (sie lag in Gesamtdeutschland bei 4,7 Prozent), so dominiert sie in den ostdeutschen Groß-, teilweise auch in den Mittelstädten vor der SPD in den Kommunalparlamenten.

Nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am 26. Juni erklärte Gregor Gysi selbstsicher: „Die nationale Front der Parteien kontra PDS funktioniert nicht, sie sprach den Wähler nicht an." Die CDU kam mit einem blauen Auge davon (34,2 Prozent, 37 Sitze), die SPD erhielt 33,4 (36 Sitze), die PDS 19,5 Prozent (21 Sitze). Die Grünen schafften gerade noch die Fünf-Prozent-Hürde, die FDP wurde mit 3,4 Prozent weit unter den Erwartungen geschlagen.

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