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„Zweite Runde“ - statt Präsidentenwahl ?

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Oesterreich, vom Grabe Dr. Theodor Körners heimgekehrt, hält Ausschau nach einem neuen Bundespräsidenten. Man kann nicht sagen, daß die Frage, wer im Frühjahr 1957 in die. Präsidentschaftskanzlei im Leopoldinischen Trakt der Hofburg in Wien einziehen soll, unerwartet an die österreichische Politik herangetragen wird. Präsidentenwahlen standen, nachdem die sechsjährige Amtsperiode Dr. Körners Anfang Juni abgelaufen wäre und eine abermalige Kandi-, datur von niemanden — am allerwenigsten von Dr. Körner selbst — ernstlich erwogen wurde, seit langem auf dem politischen Terminkalender.

Und dennoch: die momentane Verlegenheit der Stunde. Die Vielzahl der Namen, die in den letzten Tagen ins Gespräch gebracht wurden — es werden ihrer noch mehr werden — spricht nicht gegen diese Feststellung. Eher bestätigt sie diese. Namen, gute Namen, aber nicht der Name eines Mannes, den die Oesterreicher sich schon heute an dem Schreibtisch in der Präsi- dentschaftskanzlei vorstellen können. Mit Theodor Körner verschied nämlich nicht ein Bundespräsident, es starb ein bestimmter Typus, den Oesterreich noch schmerzlich vermissen wird. Körner, wie auch sein Vorgänger Dr. Karl Renner, waren, mochten sie es auch in langen Etappen ihres Lebens selbst verleugnet haben, noch zutiefst Menschen des alten Oesterreich. Die Jugend und die besten Mannesjahre im Vielvölkerstaat hatten beide entscheidend geprägt. Die Atmosphäre des alten Reichsrates, der Geist der k. u k. Armee. Etwas blieb immer lebendig, mochten beide auch mitunter in stürmischen Epochen ihrer Entwicklung versucht haben, die Erde, auf der sie aufgewachsen waren, von den Füßen abzuschütteln. Im hohen Alter kehrte in gewandelter Form der Geist jüngerer Jahre zurück.

Vielleicht war es die Ahnung, daß für die Zukunft nicht nur nach einem anderen Mann, sondern — was noch weit schwieriger ist — nach dem Vertreter einer anderen Generation, mit einem von seinen Vorgängern gewiß abweichenden geistigen Habitus, Ausschau gehalten werden müsse, noch stärker als die Ereignisse in unserer nächsten Nachbarschaft mit ausschlaggebend, weshalb das Thema „künftiger Bundespräsident“ bis in die ersten Wochen des neuen Jahres in den verschiedenen politischen Gremien über zwanglose Gespräche nicht hinausgediehen war. Da monierte der Tod Dr. Körners — auch noch im Tode erwies sich der Bundespräsident als ein Mahner zur staatspolitischen Pflichterfüllung — seine unverzügliche Aufnahme in die politische Tagesordnung.

Die Situation ist grundverschieden von der vor sechs Jahren. Damals ging durch Wochen und Monate die Auseinandersetzung zunächst um die Frage: Wahl des Staatsoberhauptes durch das Volk, wie es die von der Zweiten Republik übernommene Verfassung des Jahres 1929 befiehlt, oder, wie es bisher gehandhabt wurde, Wahl des Bundespräsidenten nach einem mit Zweidrittelmehrheit beschlossenen Verfassungsgesetz durch die Bundesversammlung. Man kann nicht gerade behaupten, die großen politischen Parteien hätten den Gedanken der Volkswahl mit Begeisterung aufgegriffen. Die Wahrheit gebietet, festzuhalten, daß es — abgesehen von der Meinung einzelner politischer Persönlichkeiten — erst dem massiven Druck der öffentlichen Meinung gelungen war, gegen die Un- . lus't der Parteiapparate dem Bundesvolk den Weg zu den Urnen frei zu machen. Als dann der

Propagandafeldzug zu dem heftigsten und häßlichsten aller Wahlkämpfe in der Geschichte der Zweiten Republik ausartete und schließlich der von der der Sozialistischen Partei unterstützte Kandidat als Sieger hervorging, fehlte es nicht an hämischen Stimmen gerade an die Adresse jener alles andere als sozialistischen Blätter, die den Gedanken der Volkswahl zu dem ihren gemacht hatten. Dennoch: der Gedanke ist gut. Gerade die Koalition als Regierungssystem, dem Oesterreich seinen Aufstieg verdankt, bedarf — soll es nicht erstarren — die „direkte Demokratie“ als ein Regulativ.

Gewiß: man könnte einmal die Debatte „Wahl des Staatsoberhauptes durch die Bundesversammlung oder durch das Volk grundsätzlich neu aufnehmen und, nachdem man jetzt Erfahrungen mit beiden gesammelt hat, zu einer endgültigen Entscheidung kommen. Allein der Vorabend "einer Präsidentenwahl ist der ungünstigste Zeitpunkt für einte solche Diskussion. An diesem muß unweigerlich der Eindruck entstehen, daß das Volk in Seinen Rechten geschmälert werden soll. Praktisch gebe es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur einen von allen verstandenen und gebilligten triftigen Grund für eine Verfassungsänderung und eine prompte Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung; eine gefährliche außenpolitische Situation. Wären die Präsidentenwahlen zum Beispiel in den kritischen Wochen der heroischen ungarischen Erhebung fällig gewesen — in diesem Blatt hätte man bei aller Grundsatztreue, der sonst das Wort geredet wird, gewiß nicht gezögert, für den kurzen Weg durch die Bundesversammlung zu plädieren. So aber ...

Doch die Geschütze, die man allenthalben zur Verteidigung der Volkswahl gefechtsklar gemacht hat, dürften in den Arsenalen bleiben können. Nach den letzten Aeußerungen der zuständigen Männer beider großer Parteien sind keine ernsten Anstrengungen zur Umgehung der Volkswahl zu erwarten.

Das Bundesvolk wird also wieder den ersten Bürger der Republik wählen. Soweit wäre also alles gut und schön, doch taucht diesmal eine neue Gefahr auf. Die Versuchung ist groß, aus der Wahl des Bundespräsidenten eine „zweite Runde“ der vor Jahresfrist abgehaltenen Nationalratswahl zu machen. Die Folgen liegen auf der Hand. Sie heißen: eine neue Störung des mühsam errungenen politischen Gleichgewichts, Sand in die parlamentarische Maschine, die praktisch erst im Herbst für sachliche Arbeit flottgemacht werden könnte, scharfer Wahlkampf, bei dem — ähnlich wie dem im Jahre 1951 — bald nicht mehr vom Präsidenten, sondern von Rentenerhöhungen, Hausherrnprofiten und wie die anderen stehenden Inven- tare aller österreichischen Parlamentswahlen nun eben heißen mögen, die Rede wäre. Die Volkspartei würde ihren Vorsprung von 1956 erbittert verteidigen, die Sozialisten aber müßten nach der altbekannten Devise „Sieg um jeden Preis“ antreten. Eine neuerliche Schlappe könnte für den Parteivorstand nicht ohne ernste interne Folgen bleiben. Armer Präsidentschaftskandidat, der durch - so eine Gasse in die Hofburg einziehen müßte!

Das Gebot der Stunde kann demgegenüber nur heißen: Bundespräsidentenwahl durch das Volk: ja — aber Verzicht auf eine zweite Runde der Nationalratswahl 1956!

Das ist gewiß leichter gesagt als getan. Die

Parteimaschinen, einmal auf Wahlkampf geschaltet, entwickeln ihre eigene Dynamik. Wehe, wenn sie losgelassen! Dagegen hilft nur eines: von Anfang an einen Wahlgang völlig neuer Art vorbereiten. Der Verzicht auf aktive Politiker als Kandidaten, der diesmal auf Grund der gegebenen personellen Situation besonders nahe liegt, würde einem solchen Wandel bedeutend' entgegenkommen. Von der Volkspartei ist solchen Plänen gegenüber zunächst größere Aufgeschlossenheit zu erwarten als von sozialistischer Seite. In der ersteren weiß man zu gut, daß nur ein Mann beste Aussichten hätte, das Rennen zu machen. Dieser eine Mann aber ist auf dem Ballhausplatz viel notwendiger als gegenüber in der repräsentativen Hofburg. Andere mitunter genannte Namen einzelner Politiker versprechen vielleicht auf Wähler in gewissen politischen Randbezirken einige Anziehungskraft, ihre Kandidatur aber müßte ernsten Widerständen in den Kernschichten begegnen.

In den Reihen der SPOe ist das reine Parteidenken an sich stärker verankert. Auch vertraut man hier darauf, im Schatten von Renner und Körner wieder „unserem Mann" den Weg zu ebnen. Man sollte nicht zu voreilig sein mit solchen Hoffnungen. Vertrauen in das Gesetz der Serie ist etwas für Abergläubische, aber nichts für Politiker — noch dazu für so aufgeklärte. Wir haben schon erwähnt, daß mit dem Namen und der Person Körners sich mehr verband als nur die Vorstellung „Kandidat der SPOe“.

In den letzten Wochen — damals lebte der Bundespräsident noch — konnte man mitunter den Eindruck gewinnen, daß der da und dort vernehmbare Vorschlag, die beiden großen Parteien könnten gemeinsam die Wahl eines unabhängigen Kandidaten unterstützen, nicht ganz so illusionistisch ist, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. Wir möchten von ihm nicht so schnell Abschied nehmen. Man sage nicht: das Volk hat kein Verständnis für solch einen Urnengang. Es würde ihn als Farce betrachten.

Eine größere Farce wäre es, Präsidentenwahlen auszuschreiben und statt ihnen frischfröhlich eine „zweite Runde“ der Nationalratswahl 1956 zu schlagen.

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