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Zwischen 2. und 3. Akt

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Niemand in Israel gibt sich darüber einer Täuschung hin, daß durch die Suezkrise die schweren Gefahren, die drohend auf dem jungen Staat lasten, nun in ein akutes Stadium getreten sind. Man erblickt in der durch Nasser verfügten Nationalisierung des Kanals den zweiten Akt einer sorgfältig vorbereiteten Haupt-und Staatsaktion, die mit dem halb erzwungenen, halb erlisteten Abzug der britischen Truppen aus Aegypten begonnen hatte. Der dritte Akt werde, so meint man in Tel Aviv und im jüdischen Jerusalem, einen konzentrischen Angriff der von Nasser geführten arabischen Staaten auf Israel bringen, woferne diesem Krieg nicht ein anderer, zwischen Anglo-Franzosen und Aegypten, vorangehen müßte. Hierauf hätte dann der allgemeine, von der Sowjetunion offen geförderte Aufstand in Algerien samt der Vertreibung der französischen Truppen aus Marokko und Tunesien zu folgen. Und im fünften Schlußakt erhöbe sich dann ein arabisches Bundesreich vom Atlantischen zum Indis-hen Ozean, das im kommenden .Ringen um die Weltherrscuaft an der Seite der UdSSR und Chinas, vielleicht auch Indiens und Indonesiens, dem schwachen, uneinigen Eurora samt den allerdings noch starken USA gegenüberstünde. So lauten wenigstens die Ansichten des Durchschnitts-Israeli und die der Politiker aller Parteien, außer den Kommunisten, wenn man sie nämlich privat um ihre Meinung befragt. Offiziell bezeigen die Staatslenker eine verklausulierte Zuversicht in die Abwehrkraft Israels und seiner Armee, in die Weisheit der westlichen und sogar der sowjetischen Staatsmänner, in den Friedenswillen der Völker, sogar der arabischen (die nur durch ihre Feudalherren verhetzt seien).

Die Regierung Ben Gurion läßt sich aber klugerweise weder durch die nach außen zur Schau getragene Selbstsicherheit noch durch den, insbesondere bei den aus westlichen Ländern stammenden Intellektuellen spürbaren Pessimismus in ihrem vorsichtigen Verhalten beirren. Es hat in Europa einigermaßen überrascht, daß Israel, bei allein Haß, den es Nasser und dem Kairoer Offiziersregime widmet, nicht die leiseste Neigung bekundet, sich im Kriegsfall an der Seite Englands und Frankreichs zu schlagen, und daß es nur dann zu den Waffen griffe, wenn es selbst, durch die Araber, in den Konflikt hineingezogen würde. Die öffentliche Meinung — und die Koalitiorsregie-rung — hat sich nicht einmal moralisch auf die Seite Londons und Paris' gestellt; de“ Ia Israel herrschenden Sozialisten, sie seien mehr rechts orientiert wie die führende Regierungsfraktion MAPAI, oder eher links, wie die MAPAM, bringen es nicht über sich, den „Großkapitali-stCTt“, den Suezkanal-Aktionären, freundliche Worte zu sagen. Das alles, obzwar sich Israel für seine gemäßigte Politik in der Suezfrage kernen Dank von ägyptischer Seite erwartet. Wohl hat gelegentlich ein Sprecher des Senders Kairo die verhaßten Israeli dafür belobt, daß sie im Augenblick so brav und friedfertig seien, doch dieser vereinzelten Stimme steht ein fanatischer Rachechor gegenüber, der über die Kantalangelegenheit hinweg bereits als sofortige Felge der, innerlich ersehnten, anglo-franzosi-schen Intervention den Vernichtungskrieg wider die „Zionisten“ bejubelt.

Am Nil, im Schatten Nassers, sitzt ja einer der bewährtesten einstigen Leiter der nazistischen Propaganda gegen das Weltjudentum — oder besser: der nazistischen Weltpropaganda gegen das Judentum — Johannes v. Leers. Sowohl in Aegypten als auch in anderen arabischen Staaten sind Angehörige der nationalsozialistischen Emigration ak einflußreiche militärische und politische Berarer zu finden, denen es übrigens sehr leicht gelingt, die antisemitischen Gefühle der Bevölkerung auch gegen, die Westmächte auszunützen. Die israelische Lesart von den verführten Massen, die durch ein paar Feudalherren gegen das semitische Brudervolk im Heiligen Lande aufgehetzt würden, hat an der rauhen Wirklichkeit keinen Rückhalt. Es waren vielmehr die Monarchen und die westlich gebildeten Mitglieder der Aristokratie, unter denen sich am längsten und am ehesten

Freunde einer Verständigung mit Israel fanden: König Abdallah von Jordanien, König Faruk von Aegypten, manche Politiker im Pharaonenlande, syrische Scheiche, tunesische, algerische und marokkanische Große.

Heute nun, da faktisch die beiden die Massen ansprechenden Strömungen des Kommunismus und des Nationalsozialismus in getarnter oder in nur notdürftig dem besonderen mosei-manischen Terrain angepaßter Form das Feld zwischen den Säulen des Herkules und dem Persischen Meerbusen beherrschen, ist die Lage Israels am schlimmsten. Da ergibt sich aber einer der Widersprüche, die für die heikle Situation dieses Staates charakteristisch sind. Die sozialistisch geleitete israelische Demokratie fühlt sich nicht recht wohl in enger Interessengemeinschaft mit den konservativen, bochkapi-talistischen Kreisen des Okzidents; die in die Väterheimat „zurückgekehrten“ Juden wolten nicht als europäische Eindringlinge gelten, sondern eine der asiatischen Nationen sein, und es behagt ihnen zumeist gar wenig, durch die Macht der Tatsachen zu weltpolitischen, ja unter Umständen zu militärischen Feinden der Sowjetunion, zu Verbündeten Deutschlands zu werden. Diesen Wandel aufrichtig zu bejahen, vermögen nur wenige politisch hellsichtige Köpfe, während die Mehrheit noch unter dem Bann der frischen Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg beharrt.

So erklärt sich das merkwürdige Benehmen der israelischen Öffentlichkeit und, zum Teil, das der verantwortlichen Sphären. Unverkennbare Schadenfreude über die Verlegenheit Englands, dem man die Bitternisse der Mandatszeit nicht vergessen hat, Aerger über das — vergebliche — Liebeswerben beider angelsächsischen Reiche um die Araber und über die mangelnde aktive Unterstützung Israels, über Waffenlieferungen an die Muselmanen und über abgelehnte oder nur heimlich, tropfenweise bewilligte Sendungen von Kriegsmaterial an den Jirdenstaat sind zu beobachten. Anderseits geht dieses Ressentiment nicht so weit, daß man die ungeheure Gefahr der Stunde übersähe und daß man in einem so bedrohlichen Augenblick eine Bundesgenossenschaft verschmähte. Wären die Israeli nur dessen sicher, hernach nicht sofort bedenkenlos geopfert zu werden, und hätten sie Zutrauen in den Willen und in die Fähigkeit der Anglo-Franzosen, einen Krieg gegen Aegypten und andere Araberstaaten durchzuhalten, mit allen Konsequenzen, die sich aus ihm ableiten könnten!

Von der hie.r skizzierten Auffassung, die etwa der beider sozialistischer Parteien (MAPAI, MAPAM) und eines erheblichen Teils der bürgerlich-liberalen Allgemeinen Zionisten und der „Religiösen“ entspricht, unterscheiden sich die Ansichten, der, in kleiner Minderheit verbliebenen, hundertprozentigen Kommunisten einerseits, des rechtsgerichteten, nationalistischen Cheruth samt manchen Allgemeinen Zionisten und Religiösen anderseits. Die Kommunisten, auch in Israel — nach einem Wort Leon Blums — „fremde Nationalisten“, verfechten bedingungslos den Standpunkt der Sowjetunion, also im jetzigen Moment dender Todfeinde ihres Staats. Sie hüllen das in die übliche Friedensphraseologie, predigen eine Verständigung mit den Arabern, von der diese augenblicklich noch weniger wissen wollen denn je zuvoi, und verdammen vorbehaltlos auch nur den Schein eines Zusammenwirkens mit den „Imperialisten“ in London und Paris. Ernster zu nehmen sind die Cheruth-Leute und ihre weltpolitischen Gesinnungsgenossen bei Zionisten und Religiösen. Wie Beigin, ihr streitbarer Führer, fordern sie einen. Präventivkrieg, ehe die Araber, dank den Lieferungen aus dem Ostblock, nicht nur an Zahl, sondern auch an Kriegspotential überlegen werden. Cheruth und Gefährten sind bereit, mit Engländern und Franzosen gemeinsam zu operieren, sie hegen keine Bedenken, das auch gegen die UdSSR zu tum, wenn je aus der Suezkrise ein dritter Weltbrand entstünde. Praktisch zum gleichen Ergebnis kommt eine kleine Gruppe realpolitischer Männer aus allerlei Parteien, wie der frühere Regierungschef und Außenminister Sharett, die zwar weder Ueber-nationalisten noch kriegslustig sind, doch streng an der Solidarität mit dem Westen, insbesondere mit Amerika, festhalten möchten: in der Lieberzeugung, daß die LIdSSR auf lange Sicht mit den Arabern gemeinsame Sache machen wird. Im Endresultat aber dürfen wir behaupten: Irrael wird sich in kein unbedachtes Abenteuer stürzen; vor den Zwang gestellt, sich bei einer kriegerischen Entwicklung der Suezaffäre zu entscheider., muß es sich aber auf die Seite der W'estmächte stellen. Dieser grundsätzlichen Haltung laufen auch die jüngsten blutigen Grenzzwischenfälle nicht zuwider.

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