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Zwischen Donau und Tatra

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Dank der Schwäche der Demokratischen Partei, der Aktivität der Kommunisten und der intransigenten Haltung der slowakischen Protestanten, die als Liebkinder der Tschechen die Verwaltung der Slowakei in den Händen hielten, gab es bereits Ende 1945 in der Slowakei nur mehr Staatsschulen. Die revolutionären Nationalausschüsse hatten es sich gleich nach Kriegsende angelegen sein lassen, die von der tschechoslowakischen Exilregierung lange vor 1945 beschlossene Verstaatlichung des konfessionellen Schulwesens Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Protest der katholischen Bischöfe blieb unbeachtet, und die Demokraten waren nicht in der Lage, den wirklichen Wünschen des Volkes auf Grund des Autonomiegesetzes Geltung zu verschaffen. Im Gegenteil, die Kommunisten gewannen immer mehr Einfluß auf dem Gebiet des Schulwesens und der staatlichen Jugenderziehung.

Nach dem Umbruch 1948 wurde die Schule zu einem Politikum ersten Ranges, da sie ja nach kommunistischer Auffassung die Jugend nicht nur zu unterrichten, sondern vor allem zu bewußten Sozialisten heranzubilden hat. Diese Wandlung des Unterrichtszieles spiegelte sich vorerst in der Aufnahme des Lehrfaches .Politische Erziehung“ in den Lehrplan aller Schultypen. Die Note, die dem Schüler aus diesem Unterridits-gegenstand zuerkannt wird, beeinflußt die Beurteilung des Gesamterfolges in der nachhaltigsten Weise: ein Abiturient zum Beispiel, der die Note „Gut“ aus Politischer Erziehung erhält, hat die Reifeprüfung trotz sonstiger ausgezeichneter Erfolge nicht mit Auszeichnung bestanden ...

So leidet der Unterricht vor allem unter der Sucht der Machthaber, der Politik überall und unter allen Umständen den Primat einzuräumen. Der Philosophieunterricht an den Gymnasien beispielsweise wird zur Unmöglichkeit, weil es die Kommunisten verstanden haben, ihre Anhänger unter den Schülern gegen solche „Dummheiten“ aufzuhetzen. Es ist vorgekommen, daß Schüler ihren Professoren mitten im Unterricht Vorhaltungen machten, weil diese nicht die Theorien des Marxismus-Leninismus an Stelle etwa der Lehren der Mystiker vortrugen. Die

Lehrer stehen derartigen Vorstößen der Schüler machtlos gegenüber, ja, in der Regel hat der also „gerügte“ Lehrer im nächsten Halbjahr keine Gelegenheit mehr, Philosophie zu unterrichten.

Die politische Überwachung obliegt nicht nur den Schulbehörden, sondern auch der Partei und natürlich der Staatspolizei, die die Lehrer für alles mögliche verantwortlich macht. So wurden vor längerer Zeit drei Professoren in einer westslowakischen Stadt direkt vom Unterricht weg verhaftet, weil ihre Schüler den politischen Vorgängen vollkommen interesselos gegenüberstünden; außerdem hätten sie kleinere antikommunistische Demonstrationen veranstaltet. Es sei so gut wie erwiesen, daß all dies auf den Einfluß der Professoren zurückzuführen sei. Da sich die Verhafteten des größten Vertrauens der Schülerschaft erfreuten, lege'man ihnen nahe, für eine Änderung dieser Verhältnisse Sorge zu tragen. Die drei wurden dann entlassen, nach vier Wochen jedoch abermals einem Verhör unterzogen. Mit Beginn des neuen Schuljahres wurden zwei von ihnen versetzt, der dritte aus dem Schuldienst entlassen.

So ist die Stellung der nichtkommunistischen Lehrer und Professoren wenig gefestigt. Der geringste Anlaß genügt, um den rigorosesten Maßnahmen ausgeliefert zu sein. Dies mußte ein Geschichls-professor in Leutschau erfahren, der nach einer mehrmaligen Inspektion seines Unterrichts durch den kommunistischen Direktor der Anstalt und durch Funktionäre der KP aus dem Schuldienst plötzlich entlassen wurde. Der überraschte rekurrierte und erreichte tatsächlich die Aufhebung der Maßregelung durch die Preßburger Zentralbehörde. Nun protestierte die Leutschauer KP gegen eine Wiederindienststellung des Professors, aber das Landesministerium in Preßburg beharrte auf seinem Beschluß. Zu guter Letzt wurde die Versetzung das Mißliebigen gefordert — weil sein weiteres Verbleiben in Leutschau das Ansehen und die Autorität der Partei schädige und die Reaktion stärkel Des Haders müde, nahm der Hauptbeteiligte selbst seine Entlassung aus dem Schuldienst und wurde städtischer Archivbeamter. Und warum (He ganze Komödie? Die „inspizierenden“ KP-Sekretäre hatten an dem Ausspruch des Professors AnsLoß genommen, daß sich das Volk geirrt habe, als es für die Reformen Kaiser Josephs II. kein Verständnis zeigte. Damit hatte der Vortragende seine reaktionäre Gesinnung verraten, denn das Volk als Ganzes irrt — nach kommunistischer Auffassung — niemals.

Von den Lehrern der Pflichtschulen gehören 70 bis 80 Prozent der Partei an. Sie stellen den größten Teil der Propagandaredner, Parteisekretäre und sonstigen Funktionäre. Der Rest der Pflichtschullehrer lehnt den Kommunismus ebenso ab wie der größte Teil der Professoren der Gymnasien, der Fachschulen usw. So sind zum Beispiel von den 78 Professoren der Trentschiner höheren Schulen nur neun Mitglieder der KP.

Die Zahl der kommunistischen Schüler war anfangs gering, ist aber derzeit im Ansteigen. Trotzdem sind an jeder Schule noch immer jene Schüler in der Mehrheit, die vom Kommunismus nichts wissen wollen. Die Polizei hat bereits wiederholt »Widerstandsgruppen“ unter der Schuljugend entdeckt, und es ist heute nichts Besonderes mehr, wenn Schüler vom Unterricht weg verhaftet werden.

Das Verhältnis Lehrer — Schüler hat sich, verglichen mit früheren Jahren, bedeutend geändert. Die Möglichkeit, den Lehrer zu bespitzeln, hat das Selbstbewußtsein, zumindest des kommunistischen Teils der Schülerschaft, gehoben. Die Schüler jeder Anstalt sind nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung organisiert, in den Schülerräten spielen natürlich die Jungkommunisten die führende Rolle. Die Kommunisten haben es verstanden, jede Tätigkeit des Lehrkörpers unter die Kontrolle der Schüler zu bringen; so nimmt zum Beispiel an jeder Lehrerkonferenz ein Vertreter des Schülerrates teil. Besonders schwierig war die Stellung der Professoren, als zu Beginn der neuen Ära die Schüler über 18 Jahren auf Grund einer neuen Schulordnung in den Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte gelangten. Es kam nicht selten vor, daß Schüler direkt von Bällen oder anderen Unterhaltungen, oftmals betrunken, zum Unterricht kamen. Diese und andere Vorfälle veranlaßten die Schulbehörden schon nach einem Jahr, die Freiheit der jungen Staatsbürger zu beschneiden, so daß jetzt solche sichtbare Verfallserscheinungen seltener geworden sind. Was aber nicht so bald verschwinden wird, das ist der Geist, der hier wie auch anderswo die heranwachsende Generation jedes moralischen Halts und jeder erprobten Stütze zu berauben sucht, um den jungen Menschen dann das zerbrechliche Rohr des Marxismus als Stütze und Stab auf den Lebensweg mitzugeben.

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