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Zwischen „Kapital" und Orgelbank

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Wenn ich ein Buch mitnehmen könnte auf eine Insel, dann wären es sicher die Psalmen", sagt Milan Machovec. Im nächsten Augenblick wägt er nüchtern ab, was man von Gott sagen und was nicht sagen kann - und verbleibt als Skeptiker. Aber auch die Skepsis sei nicht das Letzte, räumt er schließlich ein, man könne sie nicht als Weltanschauung nehmen. „Wenn man mich fragt, was ich eigentlich bin, Kryptojesuit, Protestant, Christ oder Jude, dann sage ich: Ich weiß es nichlj!"

Jenseits der Kategorien und im Spannungsfeld zwischen Glaube und Skepsis - so präsentierte sich der Prager Philosoph Milan Machovec, der nach 27 Jahren erstmals wieder zu Besuch in Wien war, im Rahmen eines vom „Forum St. Stephan" veranstalteten Symposions zum Thema „Die Frage nach Gott als Frage nach dem Menschen". Der hierzulande vor allem durch das Buch „Jesus für Atheisten" bekannte Philosoph genießt im allgemeinen das Image des Marxisten, der sich zum Christentum bekehrte. Daß ihn aber schon von Kind an der Glaube prägte, zeigte Machovec in einer ausführlichen biographischen Retrospektive. Während sein Onkel auf die Päpste schimpfte, nahm ihn sein Vater einfach immer in die Kirche mit. Ob er damit zeigen wollte, „daß die Kirche nicht reduzierbar ist auf die Sünden der Päpste"? Der Onkel, so der 1925 geborene Philosoph im nachhinein, war vielleicht gebildeter, der Vater hat aber mehr menschliche Weisheit besessen.

Noch im Vorschulalter hatte Machovec ein Erlebnis, welches er sein „Emmaus-Erlebnis" nennt. Beim Besuch eines Klosters wurde er - ähnlich wie die Denkerin Simone Weil - von der Schönheit des gregorianischen Chorals so berührt, daß er damals schon für den wahren christlichen Glauben gewonnen wurde. Dies ist ein Glaube, so Machovec, welcher Gott nicht zur Erfüllung privater Wünsche „benutzt", sondern Gott absichtslos und zweckfrei als Schöpfer anerkennt und lobt.

Ein Thema, das den Philosophen auch noch heute beschäftigt. „Gott ist kein kosmologischer Theaterdirektor", der alles ohne unser Zutun lenkt und das tut, wofür wir zu bequem sind.

Wenn jemand Gott um einen Lottogewinn bittet, so „ist das heidnisch, obwohl er christliche Begriffe benützt". Er warnt vor einem falsch verstandenen Augustinismus nach dem Motto „Wir sind Gottes Kinder -uns kann nichts passieren" und appelliert an die Verantwortung jedes Menschen.

Machovec war dann über Jahre hindurch Atheist („das heißt, sieben, acht Jahre lang hielt ich mich für einen - später entdeckte ich, daß ich mich getäuscht hatte") und Marxist und zählte in den sechziger Jahren zu den bedeutendsten Vertretern des christlich-marxistischen Dialogs. Aber schon an der Universität konnte er nie den Fanatismus so mancher Kollegen teilen, die meinten, das Paradies auf Erden errichten zu können. Im Rückblick sieht er den größten Irrtum des Atheismus darin, „daß der Mensch für den Menschen das Höchste darstellt". Dadurch steigen Egoismus und Gleichgültigkeit.

Zu den wichtigsten Tugenden zählt deswegen für ihn die Aktivität. Sie befreit von dem Hauptübel unserer Zeit, eben von der Gleichgültigkeit. Nicht der Fundamentalismus stellt seiner Ansicht nach die größte Zivilisationskrankheit des ausgehenden zweiten Jahrtausends dar, weil es sich dabei immerhin noch um eine Art von Glaube, wenngleich einen pervertierten und entstellten, handelt. „Die wirkliche Gefahr ist die Gleichgültigkeit". Wenn jemand sagt, daß er weder in der Partei war noch sich sonst irgendetwas zuschulden kommen ließ, weil er überhaupt nirgends aktiv beteiligt war, so sei das gefährlich. „Durch solche Menschen könnte unsere Zivilisation zugrunde gehen", ve-mißt der Philosoph das Heldentum in unserer Zeit.

Machovec weiß, wovon er spricht. Als ihm aufgrund seiner Beteiligung am „Prager Frühling" nach 17 Jahren Lehrtätigkeit an der Prager Karls-Universität im Jahre 1970 die Professur entzogen wurde, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Organist -bis er wegen der Unterzeichnung der „Charta 77" ein striktes Berufsverbot erhielt und seine Existenz nur mit der Unterstützung von Freunden aus dem Westen aufrecht erhalten konnte. Er zählte auch zu den Vorkämpfern und Mitorganisatoren der Prager Novem-her-Revolution 1989. Seit 1990 ist er wieder an der Universität in Prag tätig.

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus sank nicht nur der Be-kanntheitsgrad Machovecs rapide, sondern ebenso die Relevanz seiner Thesen. Atheismus oder Marxismus haben heute längst nicht mehr jenen Stellenwert wie vor zehn oder zwanzig Jahren, der Diskurs scheint müßig, so wie auch die Rede vom „Dialog" antiquiert wirkt. Allein der Begriff „ Dialog" hat sich überlebt, das Wort ist inflationär geworden, wie auch Machovec selbst feststellte. Die Begegnung mit dem Philosophen stellte deshalb eine Erinnerung in zweierlei Hinsicht dar: Zum einen war sie eine leibhaftige Erinnerung an eine vergangene Ära, zum anderen erinnerte sie daran, wie rasch Ideen zu Relikten und Begriffe zu Leerformeln werden können.

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der Furche.

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