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Zwischen Prag und Budapest

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Die Aufgabe, das schwierige Verhältnis zwischen Ungarn und Tschechen in Ordnung zu bringen, hat eine tausendjährige Vergangenheit. Zeitweise stand sie im Vordergrund geschichtlicher Ereignisse, vorübergehend versdiwand sie, wie ein Fluß in den Bergschluditeh einer Karstlandschaft, um bald wieder stärker und breiter zum Vorschein zu kommen. Im Wesen aber war sie immer vorhanden und es mußte zu ihr in irgendwelcher Form Stellung genommen werden. Die Stellungnahme fiel ber sowohl auf ungarischer als auch auf tschechischer Seite zumeist negativ aus. Beide Völker litten darunter.

Seit dem Beginn der Verfassungsära in dem österreichisdien Teil der alten Mon-ardiie, verschärften sich die Gegensätzlichkeiten, zumal, als es im „Ausgleich“ des Jahres 1867 offenbar wurde, daß das gesamtstaatliche System sowohl diesseits wie jenseits der Leitha auf der Führerstellung einer Minderheit aufgebaut war. Machte dafür die magyarische Nation ihr altes Staatsrecht geltend, so beriefen sich die Tschechen auch auf die Gültigkeit eines ebensolchen Rechtstitels. Aber, obwohl sie dafür die Anerkennung durch ein kaiserliches Reskript und in der Kremsierer Verfassung eine hoffnungsvolle Verheißung empfangen hatten, blieb ihr Verlangen unerfüllt, denn immer wieder stießen sie auf den Widerspruch der beiden Führernationen, und wenn schon die österreichischen Deutschen zu einer Verständigung gewillt waren, so meldete sich immer lauter und gebieterischer der Widerspruch der herrschenden magyarischen Klasse in der Furcht, es werde dadurch das in der Tat künstliche Gleichgewicht der Kräfte im Gesamtstaate gestört und in Ungarn selbst das Verhältnis zu den Slowaken gestärkt. So geschah es, daß die ungarische Politik allmählidi immer stärker den Charakter einer antislawischen Politik annahm, ein? Entwicklung, die das Verhältnis der beiden Nachbarn auf das schwerste belastete. Es mußte sdiließlich von einer bis zur Gehässigkeit ausgearteten Feindschaft gesprochen werden. Es fehlte augenscheinlich auf beiden Seiten unter den Berufenen an der Einsicht, wie viel auf dem Spiele stehe, und an der Fähigkeit, das zu tun, was der Engländer „put himself on the others place“ nennt, die Fähigkeit zur Einfühlung in die Mentalität des andern. Das war nach dem ersten Weltkrieg, nach dem die beiden Nachbarn kurze Zeit sogar in Waffen gegenübergestanden waren, besonders schlimm. Der Durchschnittstscheche erblickte im Ungarn den Stuhlrichter und den Gendarmen der keinen anderen Lebenszweck kannte, als die Slowaken zu schikanieren und zu unterdrücken, der Ungar dagegen hatte für die tschechische Lebensform nur Geringschätzung und Ironie. Selbst ein Europäer, wie Graf Stephan Bethlcn, erklärte einst — mit Dr. Benesch polemisierend — im ungarischen Abgeordnetenhaus, daß der Demokrat und Professor Benesch mit einem Gast zu vergleichen sei, der im Salon ohne Halsbinde erscheine nd sich um die gesellschaftlichen Gepflogenheiten recht wenig kümmere. Es soll gerechterweise nicht vergessen werden, daß in jener Konflik'speriode Präsident Masaryk einen Versuch einer Verständigung machte, indem er über Wien gesprächsweise wissen ließ, daß an eine, gewisse Grenzregulierung zugunsten Ungarns gedacht werden könne. Und auf ungarischer Seite war es der bedeutende Schriftsteller Sigmund Mcric, der durch die Städte der Slowakei eine Vortragsreise unternahm, um die Kluft zwischen Ungarn und Slowaken zu überbrücken Die katholische Zeitschrift „Korunk Szava“ suchte an einzeln* tschechische katholische Kreise Anschluß zu finden, um einem Frieden der beiden Nachbarn vorzuarbeiten. Aber alle diese Versuche kamen nicht über das Anfangsstadium hinaus. Sie wurden von einer chauvinistischen Propaganda planmäßig hintertrieben, die durch alle Straßen lärmte und behauptete, es werde die magyarisdie Minderheit in der Tschechoslowakei in brutalster Weise unterdrückt. Schon damals gaben eingeweihte ungarisdie Persönlichkeiten von Rang in vertraulichem Gespräch ohne weiteres zu, daß jene Bezichtigungen unbegründet seien, wonach in der Tsdiedioslowakei die magyarisdie Minderheit in ihrem wirtschaftlidien und in ihrem völkischen Bestand bedroht sei. Als im Wiener Schiedsspruch die von Ungarn bewohnten Gebiete der Slowakei an Ungarn zurückfielen, hatte übrigens die Bevölkerung dieser Gebiete Gelegenheit, zwischen den sozialen Einrichtungen der beiden Staaten Vergleiche anzustellen, und es muß offen zugegeben werden, daß diese Vergleiche zumeist zum Vorteile der Tschechoslowakei ausfielen.

Der Ausgang des zweiten Weltkrieges hat eine neue Lage geschaffen. Ungarn paßte sich der neuen Ordnung der Dinge diesmal nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch aus Überzeugung an. Die zur Macht gelangte Opposition leitete einen politischen Kurs ein, der auch in der Natioalitätenfrage die herkömmlichen Begriffe umwertete und den einstigen magyarischen Chauvinismus aus dem Wörterbuch der neuen ungarischen Politik tilgte. Man nahm es mit dieser Wendung der Dinge so ernst, daß im Frühjahr 1946 eine Gruppe von 18 Abgeordneten aus der Regierungspartei entfernt wurde, weil ihr Wortführer an der Minderheitenpolitik der tschechischen Regierung eine Kritik übte, die wegen ihrer Schärfe als störend und schädlich empfunden wurde.Leider ereignete es sich dann, daß die Prager Regierung gegen die magyarische Minderheit immer schärfere Maßnahmen traf und schließlich die Umsiedlung Ton 200.000 Ungarn aus der Slowakei begann. Nun ging auch die sozialdemokratische und kommunistische Presse zum Angriff über, warf Prag unduldsamen Chauvinismus und Verrat an der Demokratie vor, ohne aber die Prager Regierung zur Einkehr bewegen zu können. Seitdem ist in Paris die endgültige Entscheidung zum Nachteile Ungarns gefallen. Trotzdem hält die ungarische Regierung an ihrem Entschluß fest, auf die Revisions- und Revindikationspolitik für immer zu verzichten und zu den Nachbarstaaten ein Verhältnis aufrichtiger Freundschaft anzubahnen, auch zur Tschechoslowakei. Außenminister Gyöngyösi hat sich nadi den Pariser Verhandlungen wiederholt in diesem Sinne mit ausreichender Eindeutigkeit geäußert.

Es könnte jemand sagen, diese Umkehr der ungarischen Politik sei Taktik ohne Aufrichtigkeit; sie beuge sich ohne inner seelische Überzeugung bloß der Macht. Der Einwand würde auf einer oberflächlichen Betrachtung der Ereignisse und der seelischen Auswirkungen der Kriegsfolgen beruhen. Der verlorene Krieg mit allen seinen sdimcrxlichen Folgen hat in diesem Lande eine Deprofundis-Stimmung aus tiefster Ersdiütterung hervorgerufen. Ist es nicht erklärlich genug? Dieser Sturz einer stolzen Nation, diese Not eines einst reidien Landes, diese Verlassenheit und Demütigung! In der Gewissenserforschung, die in diesen dunklen Tagen oft und oft angestellt wurde, verloren die politischen Schlagworte ihre verführerischen Zierate und wurden gewissermaßen auf ihren metaphysischen Inhalt geprüft.

Diese Gewissenserforschung stellte zu allererst und am gründlidisten — weil weltanschaulich — die katholische Welt Ungaras an. Das offizielle katholische Organ

„Uj Ember“ unterzog in mehreren Aufsätzen das Verhältnis zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei einer Prüfung. Das Blatt veröffentlichte unter den Titeln: „Der tschechische Katholizismus“ und „Tschechen und Magyaren: zwei Völker im Donauraum“ eine Artikelreihe, die auch außerhalb der Landesgrenzen Ungarns Beachtung verdient.

Die Darlegung verhehlte nicht, daß es sich um eine Umstellung früherer modischer Begriffe handle, die manche vielleicht nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen wollten. „Jene vor allem, die es bisher gewöhnt waren, das Magyarentum immer im Glorienschein der Idealisierung zu erblicken, während sie die übrigen Völker nur im unsicheren Zwielicht einiger Blicke würdigten. Schließlich aber auch jene, die zur sachlichen Denkungsart zwar fähig sind, aber aus Gründen der Politik, oft gegen ihre subjektive Überzeugung, zumeist nur die nachteiligen Charakterzüge der Nachbarvölker Ungarns sehen zu müssen glaubten.“ „Als eine der Ursachen der Katastrophe, die über das Donaubecken hereingebrochen ist, bezeichnen die Aufsätze, daß zwei geistig hochstehende Völker, die Tschechen und die Magyaren, sich im Laufe der Geschichte nicht verstanden haben, oder aber nicht verstehen wollten.“ Es sei nicht zu bezweifeln, daß zwischen beiden Völkern infolge ihrer geographisdien Lage Gegensätze bestanden und bestehen, auf die schon von Palacky hingewiesen wurde, doch gab es in ihrer Geschichte auch „Tatsachen und Epochen, die geeignet gewesen wären, zum Ausgangspunkt einer Annäherung zwischen Tschechen und Magyaren zu werden“. Es sei doch daran zu erinnern, daß es zumeist tschechische Benediktiner und Priester waren, die das Magyarentum diristianisiert haben, eine Tatsache, die freilich in der ungarischen Geschichte aus politischen Gründen nur oberflächlich behandelt oder' aber gänzlich verschwiegen worden sei. Dem englischen Historiker A. H. Fisher stimmen die Darlegungen bei, der sagt, daß die Geschichte Mitteleuropas einen anderen Lauf genommen hätte, wenn Georg Pod-jebrad und Matthias Corvinus sich anstatt zu bekämpfen, mit vereinten Kräften gegen den Halbmond gewendet hätten. Auch dürfe nicht vergessen werden, daß der junge ungarische König Ludwig IL, der 1526 in der Schlacht von Moh£cs fiel, zugleich auch König von Böhmen war. Mit Recht bezeichnet es der Verfasser der Aufsätze des „Uj Ember“ als eine Chance, welche die Verständigung der beiden Nationen hatte, als in der Aufbauzeit der österreichischen Verfassung der Kaiser und König Franz Joseph den Willen hatte, sich auch zum König von Böhmen krönen zu lassen, ein Akt, den Graf Julius Andr£ssy mit der Begründung verhinderte, eine Königskrönung in Prag werde die Slowaken Ungarns radikalisieren. Zwar seien im ungarischen Abgeordnetenhaus Töne angeschlagen worden, die einen Gedankenaustausch veranlassen sollten, doch nie sei ein konstruktiver Plan zugrunde gelegen.

Hier weisen nun die aufsehenerregenden Auseinandersetzungen des Organs des ungarischen Katholizismus den Katholiken beider Länder die große friedliche Mission zu. Alles eigne sie durch ihre grundsätzliche Auffassung, ihre Lage und ihre Organisationsformen zu dieser erhabenen Mission.

Es kann hier festgestellt werden: die Aufnahme, die diese Ideen und die gemachten Vorschläge in Ungarn gefunden haben, ist eine so außerordentliche, daß diese b e-kundete Einmütigkeit zu einer bedeutsamen Manifestation geworden ist. Man zögert auf sozialistischer Seite nicht, eine ähnliche Haltung einzunehmen. Wenn dem Versuch in der Tschechoslowakei ein ähnliches .Echo beschieden sein wird, wie in Ungarn, so wird im Verhältnis zwischen Tschechen und Ungarn eine Zeitperiode folgen, die beiden Völkern neue Möglichkeiten des Fortschritts, neue Sicherheit ihres Friedens und ihrer Freiheit eröffnen wird.

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